Memoiren eines Lichtträgers / Eye Witness / Menschen, Ghule und Geister: Unterschied zwischen den Versionen

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Wir machten uns also gemeinsam mit ihr auf und waren ohne größere Probleme an einem riesigen [[Troll]] namens [[Balder]] vorbeigekommen, der als Türsteher nach eigenen Gutdünken entschied, wer "hot" genug für die Party war. Sicher hatten auch die 300NY Eintritt (pro Person), die wir anstandslos bezahlten, ihren Teil getan. Nach einigem Herumfragen gelangten wir an ein paar Ganger in den blauen Kriegsfarben und üblichen Kettenbehängen der "Iron Legion". Sie wirkten etwas mitgenommen und hatten schon einiges im Blutkreislauf, zwei von ihnen schienen Chips vorzuziehen, was sie nur noch weiter aus der Realität entrückte und uns, bzw. Carla, nur entgegen kam.<br>
 
Wir machten uns also gemeinsam mit ihr auf und waren ohne größere Probleme an einem riesigen [[Troll]] namens [[Balder]] vorbeigekommen, der als Türsteher nach eigenen Gutdünken entschied, wer "hot" genug für die Party war. Sicher hatten auch die 300NY Eintritt (pro Person), die wir anstandslos bezahlten, ihren Teil getan. Nach einigem Herumfragen gelangten wir an ein paar Ganger in den blauen Kriegsfarben und üblichen Kettenbehängen der "Iron Legion". Sie wirkten etwas mitgenommen und hatten schon einiges im Blutkreislauf, zwei von ihnen schienen Chips vorzuziehen, was sie nur noch weiter aus der Realität entrückte und uns, bzw. Carla, nur entgegen kam.<br>
  
Wir ließen Carla den Vortritt und mimten ihre Bodyguards. Nach wenigen Minuten und einem 1.500 NY-Credstick hatte Carla ihre Story über eine Schießerei zwischen einer Gang und einem blonden Kerl in braunen Cord, was doch sehr nach unserem neuen "Freund" Clean Steve klang. Damit war uns aber nicht wirklich geholfen, es hieß nur, daß die Konkurrenz nicht schlief. [[Overdrive]], wie sich Carlas Gegenüber genannt hatte, schien erst seit jener Schießerei einen Chefposten in der Gang zu bekleiden und wirkte in dieser Position etwas unbeholfen, wenn nicht gar überfordert.<br>  
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Wir ließen Carla den Vortritt und mimten ihre Bodyguards. Nach wenigen Minuten und einem 1.500 NY-Credstick hatte Carla ihre Story über eine Schießerei zwischen einer Gang und einem blonden Kerl in braunen Cord, was doch sehr nach unserem neuen "Freund" Clean Steve klang. Damit war uns aber nicht wirklich geholfen, es hieß nur, daß die Konkurrenz nicht schlief. Overdrive, wie sich Carlas Gegenüber genannt hatte, schien erst seit jener Schießerei einen Chefposten in der Gang zu bekleiden und wirkte in dieser Position etwas unbeholfen, wenn nicht gar überfordert.<br>  
 
Also mischte ich mich in das Gespräch ein. "Sag mal, kennst du nen Breaker? Hat mir mal geholfen und ich meine er gehörte auch zu Iron Legion…".<br>
 
Also mischte ich mich in das Gespräch ein. "Sag mal, kennst du nen Breaker? Hat mir mal geholfen und ich meine er gehörte auch zu Iron Legion…".<br>
 
Overdrive wandte seinen Blick zu mir. "Breaker? Klar, war 'n Chummer von mir, hat ihn aber erwischt. Da kommste zu spät.".<br>
 
Overdrive wandte seinen Blick zu mir. "Breaker? Klar, war 'n Chummer von mir, hat ihn aber erwischt. Da kommste zu spät.".<br>

Version vom 21. Februar 2016, 17:33 Uhr

Bei den folgenden Text handelt es sich um die Fortsetzung der Memoiren eines Lichtträgers aus dem Tagebuch des Runners Silencio, aus dem später die Aufzeichnungen des Teams Bulletproof wurden, welches schließlich den Orden der Lichtträger neu gründete.
Jedes initiierte Mitglied der Lichtträger erhält ein Exemplar dieser Aufzeichnungen unter der Auflage es nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, dennoch erschienen Ende 2075 erste Teile der Aufzeichnungen in verschiedenen Data Havens. Ob es sich um Verrat oder eine Art von Rekrutierungsflyer der Lichtträger handelt ist bislang unbekannt.
Der aktuelle Stand der Veröffentlichung hier, entspricht dem Stand der Veröffentlichung ingame vom 15.10.2076.

Bisher erschienene Kapitel:


Achtung Spoiler! SPOILERWARNUNG! Achtung Spoiler!
Dieser Text kann Informationen enthalten durch die der "Genuss" folgender Romane und Abenteuer eingeschränkt wird:

Romane:

Abenteuer:


Timecode 14.06.2054 / 20:00:00

Cover "Eye Witness"
© FASA

In den Tagen nach dem Urban Brawl Massaker war es wieder einmal zu vermehrten Übergriffen auf Metamenschen gekommen und wie immer hatte Lone Star seine Negativbilanz, was die Aufklärung solcher Übergriffe anging, verbessert. Während einige Metamenschen mit eingeschlagenem Schädel im Krankenhaus lagen, die Mehrheit aber in irgendeiner Gosse einfach verblutete, war ich bisher noch relativ unbeschadet davon gekommen. Vor zwei Tagen hatten ein paar Idioten “Verpiss dich, Freak!” auf mein Garagentor gesprüht. Darüber hatte ich nur müde lächeln können und ein ernstes Wort mit einem gewissen Gangboss gewechselt. Schließlich zahlte ich nicht umsonst einen nicht unerheblichen Teil meiner “Miete” an ihn, damit genau solche Dinge ausblieben.
Aber jetzt gingen diese Rassistenärsche eindeutig zu weit. Wie mir meine Überwachungskamera verriet, hatte sich eine kleine Gruppe, sechs oder sieben Mann dieser hohlen Glatzen, mit Mollis bewaffnet vor meinem Garagentor versammelt und führte ein Zielwerfen durch.
Ich warf mich in meine Panzerjacke, fuhr meinen Booster hoch, stellte die notwendige Kommunikation zu meinem Predator her und öffnete das Mannluk. Diesmal keine netten Worte.
Sechs Mann in der Einfahrt. Vier davon noch mit brennenden Pullen in der Hand. Ich entschied mich für einen der eher zentral stehenden Molliträger und schoß ihm das Knie weg. Wie zu erwarten, knickte der Hohlschädel ein und ließ dabei seinen Molli mitten in der Gruppe fallen, was eine nette Kettenreaktion erzeugte.
“Molliträger zu Aschehaufen”, dachte ich mir und behielt die Hohlschädel im Fadenkreuz meiner Smartgun. Die beiden, die ihre Mollis bereits gegen mein Garagentor geworfen hatten, schalteten am Schnellsten, suchten ihr Heil in der Flucht und rannten dabei in eine mir unbekannte Brünette, die gerade an der Einfahrt vorbeispazierte. Ich überlegte kurz mit meinem Predator nette Löcher in ihre Schädel zu stanzen, als ich mitbekam, daß dies wohl Munitionsverschwendung gewesen wäre.
Mit einer Reaktionszeit, die ich der Kleinen nicht zugetraut hätte, wich sie den Angriffen der Flüchtenden aus, um mit einer geschmeidigen Bewegung eine Monofilamentpeitsche zu ziehen und den beiden die Flucht unmöglich zu machen. Läuft sich echt scheiße auf blutigen Stümpfen.
Von den verbliebenen Vieren waren zwei schlau genug, sich auf den Boden zu werfen und sich hin und her zu wälzen, um die Flammen zu ersticken. Die anderen beiden rannten brennend davon.
"Hey, vergesst eure Kumpels nicht!" brüllte ich den Idioten hinterher.
Die Brünette bewegte sich ziemlich selbstsicher in meine Richtung und ich fragte mich, ob sie ein Problem werden würde. Ich schätzte sie auf Ende zwanzig. Etwas über einen Meter siebzig groß, mittellanges, brünettes Haar, ortsübliche Panzerjacke und Monofilamentpeitsche…hmm, da klingelte nichts bei mir.
"Hi, ich bin leon. Kleines Barbecue oder hast du ernsthafte Probleme?" Ein schelmisches Lächeln legte sich auf ihre Lippen, und ich war mir nicht ganz sicher, ob sie das sympathischer machte nach dem, was sie gerade mit der Mono abgezogen hatte.
"Silencio. Freut mich.", entgegnete ich, während ich die letzten beiden Arschgesichter dabei beobachtete, wie sie ihre "zurechtgestutzten" Kumpane davonschleppten.
"’n Bier dazu?", fragte ich und versuchte, sie mit Blicken nach weiteren Waffen abzusuchen.
"Aber nur wenn es kalt ist.", grinste leon zurück.
Damit war das Eis gebrochen, und ich winkte sie in meine Garage.

Wenig später, leon und ich waren noch beim ersten Bier, tauchte Jack auf.
"Was'n hier passiert?", wollte er wissen, als ich das Garagentor hochfuhr, um ihn vernünftig reinzulassen.
"Nichts weiter. 'n paar Idioten haben 'ne Grillparty veranstaltet." Ich zwinkerte dem Troll verschwörerisch zu. Die Schattengerüchteküche würde ihr Übriges tun.
"Darf ich vorstellen? Das ist leon. 'ne Expertin im Umgang mit der Mono und mit noch ein paar weiteren Talenten gesegnet. Sie ist neu in der Stadt und sucht Arbeit.", fasste ich zusammen, was ich bisher in Erfahrung gebracht hatte.
"’ne Braut? Wissen JD und Ator schon davon?" Offensichtlich war Jack etwas irritiert.
"Mach dir mal keine Sorgen, Großer. Du darfst weiter im Stehen pissen.", meldete sich leon zu Wort.
"Aber nicht auf meinem Klo!", warf ich ein, nur um keine Mißverständisse aufkommen zu lassen.
Bevor wir das Thema weiter vertiefen konnten, erschienen Ator und JD in der Einfahrt und begutachteten ihrerseits die Brandschäden.
"Ärger?", wollte JD wissen.
"Nö, jetzt nicht mehr.", erwiderte ich breit grinsend.
Ator schien leon mit den Augen auszuziehen, aber ich wusste, daß er sie lediglich einem astralen Check unterzog. Ich würde ihn später danach fragen, denn noch ehe ich die Vorstellungsrunde eröffnen konnte, klingelte mein Kom.
"Ich hätte da etwas Eiliges für euch." ertönte eine uns bereits bekannte Stimme. "Heute Abend in der Leichenhalle des Zentralfriedhofes – und bringt eure neue Lady mit." Dann wurde die Verbindung unterbrochen und vier Augenpaare richteten sich fragend auf leon.
Es war unzweifelhaft Mr. Brackhaus, der Johnson, mit dem wir vor dem Urban Brawl Massaker so erfolgreich zusammengearbeitet hatten, aber woher, bei allen Teufelsratten der Seattler Kanalisation, wusste er von leon?

Timecode 14.06.2054 / 21:30:00

Nachdem leon glaubhaft versichert hatte, weder einen Mr. Brackhaus zu kennen, noch zu wissen, woher dieser von ihrer Anwesenheit wusste, beschlossen wir, der Aufforderung unseres "Gönners" nachzukommen und nahmen sie mit zum Zentralfriedhof.
Ich hatte ja schon an einigen außergewöhnlichen Plätzen Geschäftsbesprechungen gehabt, aber eine Leichenhalle hatte bisher nicht dazu gehört. Und wenn ich ehrlich bin, gefiel mir der Ort gar nicht, denn zu schnell konnte man in meinem Biz selbst hier landen.
Wir suchten den Hintereingang der Halle und trafen dort auf Mietmuskeln, die deutlich über dem Durchschnitt zu arbeiten schienen. Offensichtlich hatte hier jemand in Sicherheit investiert, was meistens kein gutes Zeichen war.
Einer der beiden brachte uns in ein Hinterzimmer voller Särge, in dem wir von einer dunkelhaarigen Frau in blauem Leder erwartet wurden. Der Remington Roomsweeper in ihrer Hand und der Ausdruck in ihrem Gesicht verhießen nichts Gutes.
Mit einer lässigen Handbewegung entließ sie unseren Begleiter und nahm Augenkontakt zu mir auf. Ich kannte diesen Blick. Irgendwas war schief gelaufen, und diese Lady würde Einiges tun, um es wieder gerade zu richten. Sie legte den Roomsweeper auf einem der Särge ab. Ein Vertrauensbeweis?
"Danke, daß ihr gekommen seid. Entschuldigt die Umstände, aber ich habe meine Gründe.", begann sie. "Einige von euch kennen mich vielleicht als Alpha Blue."
Bei mir klingelte nix, aber das musste nichts bedeuten. Es gab eine Menge Runner in diesem Plex. Als auch die anderen kein Zeichen des Erkennens zeigten, fuhr sie fort.
"Ich bin eine freischaffende Spezialistin wie ihr, aber diesmal ist es privat, und deshalb brauche ich euch. Jenseits der Straßen kennt man mich als Erin Scott. Ich weiß, daß es unüblich ist, so offen zu sein, aber ich brauche euer Vertrauen und habe weder Zeit für die üblichen Spielchen, noch möchte ich, daß ihr welche darauf verschwendet. Ihr seid Profis und ich bin es auch. Belassen wir es dabei und beginnen mit der Arbeit."
Ich war mir nicht sicher, ob ich Einzelheiten wissen wollte, bevor wir handelseinig waren, aber bevor ich das einwerfen konnte, begann sie ihre Story.
"Letzte Nacht hat jemand kaltblütig meinen Bruder Neil auf dem Heimweg von seinem Büro erschossen. Heute Morgen las ich dann eine sehr interessante Mail, die er kurz vor seinem Aufbruch im Büro geschrieben haben muss."
Sie zog einen Ausdruck, eine Blaupause und eine Visitenkarte hervor und reichte sie mir. Ein kurzer Blick auf die Visitenkarte und Blaupause ergaben für mich keine Hinweise. Erstere gehörte zu einem gewissen "Vanian", scheinbar ein Antiquitätenhändler, letztere sagte mir gar nichts. Blieb der Brief.
Es stellte sich heraus, daß es sich um eine "Abschiedsmail" handelte. Der Bruder unserer Auftraggeberin schien, durch einen gewissen Vanian – mein Blick wanderte kurz zur Visitenkarte – in den Besitz einer Blaupause – mein Blick wanderte zu der uns von unserer Auftraggeberin ausgehändigten Blaupause – gelangt zu sein. Wenn ich es richtig verstanden habe, versuchte er, den Sinn und Zweck dieser zu ermitteln und stieß bei seinen Nachforschungen auf einen gewissen Dutch Donovan, der für Multitech International arbeitete.
Die Blaupause schien Teil eines Plans für einen optischen Chip zu sein, dessen Sinn und Zweck nicht eruierbar schien. Allerdings war die Art der Konstruktion dazu geeignet, die Herstellungs- und Programmierungskosten des Chips dramatisch zu senken, was zwar leider zu einer deutlichen Leistungseinbuße, gleichzeitig aber zu einer deutlichen Gewinnsteigerung führen würde. Das war Brüderchen zu heiß, da er glaubte, Beweise in den Händen zu halten, die einen multinationalen Konzern belasten könnten. Er beschloß also, den ganzen Dreck wieder an Vanian zu übergeben, nicht ohne vorab diese Mail zu schreiben, sollte ihm dies nicht gelingen. "Ich glaube, Multitech steckt hinter dem Tod meines Bruders. Neil schrieb, er habe etwas Belastendes in der Blaupause gefunden und ich denke, das hat ihn das Leben gekostet." Alpha Blue biß sich auf die Lippen. "Ich möchte, daß ihr rausfindet, wo Vanian den Dreck her hatte, und daß ihr genügend Beweise sammelt, um es für die Bastarde von Multitech teuer zu machen."
Ich war mir nicht so ganz sicher, wie sie Letzteres meinte, aber ich konnte ihre Motivation nachvollziehen.
"Ich habe ein paar Freunde bei Lone Star, die dafür sorgen können, daß sich die Ermittlungen um Neils Tod etwas verlangsamen, so daß ihr den Blauen nicht ständig über die Füsse stolpert. Aber ich wette, Multitech ist noch im Spiel und wird versuchen, jedes lose Ende zu kappen. Was bedeutet, daß dieser Vanian auf ihrer Liste stehen dürfte."
So langsam dämmerte uns, daß wir also im Wettstreit mit einem Polizei- und einem multinationalen Großkonzern lagen, was Informationsbeschaffung anging. Und ich fragte mich, was dabei rausspringen würde. Alpha Blue schien meine Gedanken lesen zu können oder hatte eben einfach genügend (eigene) Erfahrung mit den Bedürfnissen angeheuerter Runner. "Ich kann euch 200K anbieten. 20 im Voraus, den Rest bei Lieferung."

"Ich bin dabei!", platzte Jack heraus, und ich hieb mir innerlich vor die Stirn. Wieso musste dieser Troll immer so vorlaut sein?
"Wie sieht's bei euch aus?", fragte ich die anderen, insbesondere unseren Neuzugang leon.
"Klingt für mich nach einem Job, den wir erledigen sollten.", meinte JD.
Ator faßte sich als Zeichen der Zustimmung nur kurz an die Stirn.
"Euer Sandkasten, eure Regeln.", grinste leon mich an. "Ich bin dabei, wenn mein Anteil stimmt."
Damit war es abgemachte Sache und weiteres Feilschen um den Preis war dank Jacks Eloquenz ausgeschlossen.

"Ich würde vorschlagen", fuhr Miss Scott fort, "ihr beginnt eure Nachforschungen in Neils Büro. Ich gebe euch die Adresse und eine Zugangskarte, so daß ihr euch dort umschauen könnt. Wenn ihr persönlichen Kram findet, wäre es nett, wenn ihr mir den mitbringt. Außerdem solltet ihr schnellstmöglich diesen Vanian aufsuchen. Ihr habt ja seine Karte. Ich habe außerdem etwas Beinarbeit erledigt und kann euch die private Adresse von Dutch Donovan geben und die der Multitech-Niederlassung, in der er arbeitet." "Dann her damit und vergiß den Vorschuß nicht.", übernahm Ator die Gesprächsführung und beendete das Briefing.

Timecode 14.06.2054 / 22:45:00

"Gibson Hall", wo sich Neils Büro befand, erwies sich als Hochaus in einem Industriepark, in dem praktisch jeder, der in der Lage war, die Miete sechs Monate im Voraus zu bezahlen, ein Office mieten konnte. Wir waren ohne Probleme an dem Wachmann im Erdgeschoß vorbeigekommen und auf dem Weg zu Neils Büro.

"Was ist denn da vorhin in dich gefahren? Ist doch sonst nicht deine Art, dich in dieser Weise in Geschäftsbesprechungen einzubringen.", sprach ich Ator an.
"Weiß auch nicht genau. Aber irgendwie hat die Alte genervt und ich hatte plötzlich das Gefühl wertvolle Zeit zu verschwenden." Ator zuckte mit den Schultern. "Ich hab mir die Kleine", er warf einen Blick in Richtung leon, "übrigens mal angeschaut. Ist 'ne Ki-Adeptin, wenn ich mich nicht irre."
"Nicht jetzt!", schnitt ich ihm leise das Wort ab. Ich wollte nicht, daß unser Neuzugang mit bekam, wie wir uns über sie unterhielten. "Laß uns erstmal auf den Job konzentrieren."

Auf dem Weg zu Büroeinheit 213 stellten wir fest, daß wir nicht die einzigen waren, die zu dieser Zeit in dem Hochhaus unterwegs waren. Neben vereinzelten Wachleuten, die unmotiviert durch das Gebäude zogen, schien auch in einigen der vermieteten Büros noch Betrieb zu sein.
Wir erreichten Neils Büroeinheit, öffneten und wurden von einer weiblichen Stimme begrüßt, die uns fragte, ob alles in Ordnung sei, weil wir so spät noch hier wären.
Nach einem kurzen Moment der Überraschung wies JD uns darauf hin, daß es sich um ein automatisches System handelte, welches offensichtlich installiert wurde, um soziale Interaktion vorzutäuschen. Tech-Freaks waren mir schon immer etwas seltsam erschienen. Jetzt bekam ich fast Mitleid.
Wir durchsuchten die Büroeinheit, die im Wesentlichen aus drei Computerarbeitsplätzen, einer Elektronikwerkstatt und einem Lager bestand. Neben einigem persönlichen Schnickschnack, den wir einsteckten, um ihn Alpha Blue auszuhändigen, fanden wir einen Cyberwarescanner, eine Fernsteuerung für ein Scharfschützengewehr und einiges an Elektronikwerkzeug, was wir für den persönlichen Gebrauch einsteckten, da Neil sicher keine Verwendung mehr dafür hatte.
JD wandte sich schließlich den Computerterminals zu und fand im Wesentlichen Daten eines Wettersatelliten, mit denen wir wenig anfangen konnten. Während JD noch in die Daten vertieft war, stieß Jack mich mit dem Ellbogen an.
"Sach mal, für was hälst du das hier?" Er deutete mit seinem wulstigen Zeigefinger hinter einen der Schreibtische.
Ich musste ein paar Schritte machen, um hinter den Schreibtisch schauen zu können und blieb wie angwurzelt stehen. Ich war mir nicht ganz sicher, aber für mich sah es nach einer Sprengladung aus.
"Ähem, JD? Könntest du bitte mal kurz einen Blick hierauf werfen?" sprach ich den Ork an.
"Alter, nerv nicht! Eins nach dem anderen, jetzt kümmer ich mich erstmal um die Daten hier.", gab dieser zurück. Ich seufzte innerlich. Subtile Betonung war also nichts für unseren orkischen Denker.
"Ich will dich echt nicht stressen, aber ich glaube das hier kann nicht warten." Ich hob den kompakten, etwa fünf Kilo schweren Kasten hoch und in das Blickfeld des ehemaligen Sicherheitsmanns.
JD hob die linke Augenbraue. "Okay, du hast Recht. Das geht vor. Stell das mal bitte gaaanz vorsichtig ab. Betonung auf "gaaanz", okay?"
Ich tat wie mir geheißen, und JD griff zu seinem Werkzeug. Nach wenigen Augenblicken war die Verschalung des Objektes gelöst, und wir sahen auf das Innenleben einer mit einem Zeitzünder versehenen Höllenmaschine, deren Counter bei "00:57" stand.
"Rückzug, aber flott!", preßte er hervor.
"Ihr wollt das Ding doch wohl nicht hier lassen?", wandte leon ein.
"Wird uns nichts anderes übrig bleiben – und jetzt raus hier!" Ich stieß Ator an, der während unserer Durchsuchungsaktion astral Wache gehalten hatte, um uns unangenehme Überraschungen zu ersparen.
Der Schamane öffnete die Augen. "Was'n los?", entrüstete er sich über die grobe Behandlung.
Ich deutete Richtung Höllenmaschine, deren Counter mittlerweile bei "00:51" stand.
"Oh…laßt uns gehen." Mehr sagte er nicht, während er sich erhob und sich in Richtung Ausgang in Bewegung setzte.
"Wenn ich das richtig einschätze, ist da genug Bumms drin, um die komplette Etage zu zerbröseln.", gab JD zu bedenken, als wir das Treppenhaus erreichten (Verlaß dich niemals auf den Fahrstuhl, wenn du schnell aus einem Gebäude gelangen willst).
"Wir sollten die Jungs hier drin warnen. Was sagst du, Silencio?"
Meine innere Uhr sagte mir:"00:42". Ich hielt kurz inne und schlug dann mit der Faust auf den direkt neben der Treppenhaustür angebrachten Feueralarm. "Reicht das für dein Gewissen?", fragte ich im Tonfall eines Supermarktkassierers. JD zeigte mir den erhobenen Daumen.
"00:39"
"Na denn…", setze ich an, und wir beide rannten los.

Timecode 14.06.2054 / 23:50:00

Wir hatten unsere Fahrzeuge gerade rechtzeitig vor der Explosion und dem damit einhergehenden Regen aus Glassplittern, Metallfetzen und Betonbrocken erreicht. Wir wussten nicht, wieviele Personen noch rechtzeitig aus dem Gebäude gekommen waren, aber ohne uns wären es weniger gewesen. Ein dumpfes Gefühl der Wut machte sich in meinem Magen breit. Wieder einmal hatte ein Kon bewiesen, daß er einen Scheißdreck auf Menschenleben gab. Wer anderes als Multitech konnte hinter dieser Höllenmaschine stecken? Gleichzeitig bedeutete dies aber, daß wir uns ranhalten mussten, schließlich waren sie uns voraus.
Uns blieb also keine Zeit zum Durchatmen, und wir fuhren direkt zu Mr. Vanians Laden. Wie sich heraustellte, handelte es sich um einen Pfandleiher in einer eher heruntergekommenen Gegend Seattles. Eingeklemmt zwischen einem billigen Sexshop mit Live-Show und einem ranzigen Stuffer Shack wirkte das große und erstaunlicherweise unbeschädigte Fenster des Pfandleihers fast wie eine Provokation, es einzuwerfen. Es hatte zu regnen begonnen, und die sonst vor dem Stuffer Shack bettelnden Squatter hatten sich in einen Hauseingang verzogen. Ein Betrunkener wurde gerade aus dem Sexshop geworfen, als wir an diesem vorbeigingen, und kotzte uns direkt vor die Füße.
"Na super!", kommentierte Jack den Vorgang, um dann mit dem Betrunkenen die Kotze abzudecken. "Nich', daß da noch einer reintritt.", rechtfertigte er breit grinsend seine gute Tat des Tages.
"Leute, hier stimmt was nicht.", warnte JD, der gerade die Tür des Pfandleihers erreichte, sie mit einem Stupser aufstieß und gleichzeitig seinen Predator zog.
Meine Alarmsirenen schrillten in höchsten Tönen, und ich deutete Jack, die Klappe zu halten, was er schmollend mit verschränkten Armen tat.
leon huschte als Erste in den Laden, gefolgt von mir und Ator. Ein Geruch nach Kordit hing schwer in der Luft und ließ keinen Zweifel daran, daß hier vor Kurzem ein Feuergefecht stattgefunden hatte. JD und Jack folgten uns in den Laden und wir sahen uns um. Offensichtlich war uns abermals jemand zuvor gekommen. Im Büro des Ladens fanden wir einen Asiaten, dem mit einer großkalibrigen Waffe drei Mal in die Brust geschossen worden war. Wenig später stießen wir im Werkstattbereich auf einen zweiten Toten, bei dem Explosivmunition zur Anwendung gekommen war, weshalb von seinem Brustkorb deutlich weniger übrig war als von dem des ersten Verblichenen.
"Wenn's hier Kameras gibt", merkte John, auf eine wenig diskret angebrachte Kamera im Werkstattbereich deutend an, "dann gibt's auch 'ne Aufzeichnung." Während JD sich dem Computer des Laden widmete, beendeten wir die Durchsuchung und fanden im Lager zwei mit Magschlössern gesicherte Schränke, die offensichtlich unangetastet geblieben waren.
Ich hörte die Stimme unseres Krokomanten. "Dir ist schon klar, daß wir uns am Ort eines Gewaltverbrechens befinden und hier jederzeit die Bullen anrauschen können, oder?"
Ator sprach aus, was mir auch Sorgen bereitete.
leon drängelte sich an uns vorbei. "Laßt mich mal." Sie brachte eine kleine Werkzeugtasche zum Vorschein und machte sich daran, die Magschlösser zu öffnen.
Ich blickte von leon zu Ator. "Sie scheint's nicht zu stören…", versuchte ich eine Deutung ihres zielstrebigen Verhaltens.
"Jungs, ich hab die Aufzeichnung", rief JD von seiner Konsole herüber, während Jack leon interessiert über die Schulter schaute. "Und falls es euch interessiert, bis vor wenigen Minuten ging das Signal als Livestream raus. Aber fragt mich nicht wohin."
Wir ließen die Aufzeichnung durchlaufen. Leider war sie ohne Ton, so daß wir nur visuell mitverfolgen konnten, wie ein Dreier-Team Schlipse überraschend den Laden betrat, den Asiaten mit vorgehaltener Waffe ins Büro drängte, kurz befragte und dann sein Leben mit drei Schüssen in den Brustkorb beendete. Der hierdurch aufmerksam gewordene Techniker kam aus der Werkstatt und wurde Opfer einer Salve Explosivmunition aus einer MP. Die Schlipse filzten oberflächlich den Laden und machten sich dann, keine fünf Minuten vor unserem Eintreffen, aus dem Staub.
"News von der Magschlossfront", meldete sich leon aus dem Lagerraum. Ihrer Meldung folgte ein trollisches "Hui".
"Was Interessantes?", fragte Ator betont gelangweilt hinüber.
"Nüscht für dich, Zauberkugel", jubelte Jack zurück. "Zwei AK-97, ein verchromtes Scharfschützengewehr und Kleinkram. Aber nett." Der Troll schien in seinem Element.
"Und voilà", schummelte sich eine weibliche Stimme dazwischen, "offen ist der zweite Schrank." leon schien sichtlich stolz oder zumindest beruhigt, ihren Nutzen unter Beweis gestellt zu haben.
Im zweiten Schrank fanden sich neben allerlei elektronischem Alltagskram wie Taschensekretären und Datenlesern auch zwei rechte Cyberarme, ein Smartgun-Kit mit Maschinengewehr, montierbar auf einer Rapier, und ein noch eingepacktes Päckchen mit Adressaufkleber:
Jack Vanian
9280 Shady Hill Lane
Apt.# 2112
Redmond, Seattle, UCAS

Wir packten alles zusammen und wollten gerade den Laden verlassen, bevor doch noch die Blauen auftauchten, als ein Typ in braunem Cordanzug mit rosa Hemd, gefolgt von vier Miet-Guns den Laden betrat (private Mitteilung an mich selbst:"Immer die Umgebung im Auge behalten.").
"Guten Abend. Ich denke es gibt keinen Grund für unmotivierte Gewalt.", begann der Farbkontrast auf zwei Beinen. Der Blick des Unbekannten fiel auf Jack, der seine Wallacher gerade auf Betriebsgeschwindigkeit bringen wollte. "Mein Name ist Clean Steve, und wenn ich nicht irre, sind wir im gleichen Biz. Was uns eher zusammen als gegeneinander arbeiten lassen sollte."
Ich stoppte Jack mit einem Blick, konnte aber nicht verhindern, daß Ator einen Zauber auf die Neuankömmlinge warf. Die Miet-Guns fielen um wie Marionetten, denen man die Fäden kappt. Stevie schien auch zu kämpfen zu haben, blieb aber bei Bewusstsein. Ich steckte meinen Kopf durch die Tür nach draußen.
"Nicht…!", hörte ich Stevie stammeln, dann streifte ein Presslufthammer meinen Schädel und ich zog meine Birne zurück. Blut floß schwallartig meinen Körper herunter und ich musste mich schwer mühen, um nicht das Bewusstsein zu verlieren. Ich taumelte, dann setzte ich mich einfach hin und plätscherte ein wenig.
"Sniper?", hörte ich leon fragen.
"Rückendeckung. Ich bin doch nicht irre und komme ohne.", erwiderte der Runner.
Ator sprang in meine Richtung, kniete sich vor mich hin und kümmerte sich um meine Kopfverletzung. Kurz darauf war ich wieder halbwegs einsatzfähig. Manchmal finde ich Magie wirklich gut.
"Okay, wir haben eine klassische Pattsituation.", griff JD in das Gepräch ein. "Und wie lösen wir das jetzt auf?"
"Was'n das für 'ne Frage", regte sich Jack auf. "Die haben Silencio in den Kopp geschossen. Ich würd' sagen, damit haben sie ihren LBS verloren.", schloß er seine Meinung zum Thema ab.
"LBwas…?", echote es deutlich verwirrt von leon.
"LBS…Lebensberechtigungsschein", entgegnete der Troll, als wäre dieses Wissen eine Selbstverständlichkeit. "Bist echt nich von hier, waa?"
Ich wusste zwar nicht, wo Jack das wieder aufgeschnappt hatte, aber es gefiel mir, auch wenn ich nicht ganz seiner Meinung war. "Vielleicht sollten wir erstmal … reden….?", versuchte ich die Situation zu retten.
"Pah….reden. Sag bescheid, wennde damit fertig bist.", schmollte Jack.

Wie sich herausstellte war Stevieboy angeheuert worden, um ein Stück Hardware zu besorgen, welches er hier vermutete. Er hatte scheinbar mit dem Tod von Neil Scott nichts zu tun, schien aber durchaus bereit, Gewalt zur Durchsetzung seiner bzw. der Interessen seines Auftraggebers, über den er sich ausschwieg, einzusetzen. Auch wenn er es nicht direkt sagte, schien es naheliegend, daß er letztendlich die Blaupause suchte, die Alpha Blue für den Tod ihres Bruders verantwortlich machte.
Wir erzählten ihm, daß wir den gewaltsamen Tod eines freischaffenden Technikers untersuchten, ohne zu sehr ins Detail zu gehen.
Letztendlich lösten wir die Situation, indem wir gemeinsam Vanians Pfandhaus verließen, nachdem wir die vier Wasserträger wieder aufgepäppelt hatten. Clean Steve erwies sich als Ehrenmann und gab uns die Anschrift eines Clubs namens "Nosferatu" in Downtown, falls wir erneut mit ihm in Kontakt treten wollten.

Timecode 15.06.2054 / 01:20:00

Dank der Adresse auf dem Päckchen wussten wir, wo wir Mr. Vanian finden würden. Zumindest hofften wir dies.
Ator hatte die Zeit im Auto genutzt, um ein kleines Nickerchen einzuschieben, da er nach dem Schlaf- und dem Heilzauber, die bei der Begegnung mit Clean Steve notwendig geworden waren, etwas ausgelaugt war. Jack war voller Tatendrang und quasselte die ganze Zeit davon, wie einfach er uns alle aus der verfahrenen Situation hätte raushauen können, während JD versuchte ihm klar zu machen, daß Gewalt nicht immer die beste Wahl war. leon saß neben mir auf dem Beifahrersitz und schien sich ihr eigenes Bild von unserer Truppe zu machen. Mein Schädel dröhnte noch, aber zumindest hatte es aufgehört zu bluten, nachdem Ator seine Magie gewirkt hatte.

Shady Hill Apartments erwies sich als Gebäudekomplex für den gehobenen Anspruch. Entweder war Vanian deutlich besser im Geschäft, als wir bisher gedacht hatten oder wir hatten uns in der Adresse geirrt. Die weite, offene Lobby war eindeutig nicht dazu geschaffen, auf Leute wie uns einladend zu wirken, aber wir waren ja auch nicht aus touristischen Gründen hier. Die beiden Sicherheitsleute zeigten wenig Interesse an uns. JD schien zu wissen, was erwartet wurde, trug sich ins Gästeregister ein und wünschte ihnen einen schönen Abend.
"Scheinen nicht sonderlich motiviert, sind aber mit schweren Pistolen bewaffnet, können also im Ernstfall eingreifen. Wir sollten das hier ruhig über die Bühne gehen lassen.", kam die Einschätzung des ehemaligen Renraku-Sicherheitsmannes.
Als wir vor Apartment 2112 standen wechselte Ator kurz in den Astralraum, um uns etwas Klarheit über die Situation im Inneren zu verschaffen.

"Der Junge ist ordentlich nervös. Hat sich 'ne Knarre geschnappt. Ich denke, er erwartet ein Hitteam. Was kein Wunder ist, wenn er mitbekommen hat, was in seinem Laden passiert ist.", fasste Ator seine Erkenntnisse zusammen.
"Wir wollen nur reden.", ich blickte Jack in die Augen. "Nicht, daß da aus Versehen jemand zu Schaden kommt.".
"Wieso guckst du mich dabei so an?", fragte Jack mit völligem Unverständnis.
Ich sparte mir die Antwort und drückte den Klingelknopf. Keine Reaktion. Ich drückte erneut, diesmal etwas länger. Abermals keine Reaktion.
"Vanian, wir wissen, daß du da bist. Mach die verdammte Tür auf!". Irgendwie konnte ich ja verstehen, daß er sich tot stellte, aber es würde weder seine, noch unsere Situation verbessern.
"Laß mich mal.", mischte sich JD ein und schob mich von der Tür weg. "Wenn ich mich nicht irre, hast du gesehen, daß wir deinen Chummern nix getan haben. Also reiß dich zusammen und rede mit uns, daß ist vielleicht die einzige Chance, die du hast.".
Es dauerte ein paar Sekunden, dann öffnete sich die Tür einen Spalt. Der Lauf eines Predators schob sich nach draußen, gefolgt von dem verschwitzten Gesicht von Mr. Vanian.
"Was wollt ihr?". Vanians Stimme klang alles andere als selbstsicher und ich sah aus dem Augenwinkel, wie JD seinen Fuß in die Tür schob. Vanian würde sie nicht ohne Weiteres wieder schließen können.
"Wir ermitteln im Auftrag der Schwester von Neil und haben da ein paar Fragen.", begann JD.
Vanian wurde noch etwas blasser. "Was ist mit Neil?", wollte er wissen.
"Er ist tot und wahrscheinlich stecken die gleichen Leute dahinter, die in deinem Laden waren.".
"Drek, Drek, verfraggter Drek! Ich wusste gleich, daß Geschäfte mit Gangern Ärger bringen. Wieso musste ich mich auch darauf einlassen?". Vanian hieb sich mit der freien Linken vor den Kopf und seine Wohnungstür öffnete sich weiter. "Okay, kommt rein. Vielleicht sollten wir das lieber in meiner Wohnung besprechen.".

Vanian berichtete, daß vor einigen Tagen ein Ganger namens Breaker in seinen Laden gekommen war. Den Farben, die er trug, nach gehörte er zur "Iron Legion". Er hatte ein Cyberauge bei sich, daß er zu Cash machen wollte. Vanian hatte noch kurz gezögert, da noch Reste von Blut und Gewebe an dem Stück Hardware hafteten, da es aber ein vernünftiges Modell war und sich sicher schnell zu Geld machen ließ, hatte er sich breitschlagen lassen und den Deal gemacht.
Als er den Speicher des Auges überprüfte fand er die Blaupause, welche er an Neil schickte, mit der Bitte mehr darüber heraus zu finden. Seitdem habe er aber nichts mehr von Neil gehört und hatte mit Schrecken mitansehen müssen, was seinen beiden Angestellten passiert war.
"Wenn ich das richtig mitgeschnitten habe, hast du Aufzeichnungen deiner Kameras im Laden.", setzte JD nach. "Wäre es möglich ein Bild von diesem Breaker zu bekommen? Und die Jungs, die deine Angestellten erledigt haben, würden wir auch gern mal sehen…".
Vanian zögerte nicht eine Sekunde und ließ uns die Aufzeichnung des Überfalls sehen, während er in seinen Dateien nach einem geeigneten Bild von Breaker suchte.
Die Aufzeichnung brachte keine wesentlichen Informationen, außer, daß die Angreifer offensichtlich keine Skrupel besaßen Leben zu beenden. Das Bild von Breaker zeigte einen gehetzt wirkenden Ganger, vielleicht Anfang 20, in den blauen Kriegsfarben der "Iron Legion".
"Ich habe auch noch das Auge, falls ihr es gebrauchen könnt. Für kleines Geld könnte ich es euch überlassen.". Offensichtlich kam der Geschäftsmann in Vanian wieder durch und er verkannte komplett die Situation.
"Ich glaube nicht, daß du in der Position bist zu verhandeln. Rück's raus und wir machen uns dünne.", versetzte ich seinem Handelsversuch ein direktes Ende.
Er wollte noch irgendwas einwenden, aber Jack ließ nur seine Finger knacken und Vanian schluckte kurz, um uns dann ohne Gegenleistung das Cyberauge zu überlassen. Es handelte sich um ein Modell mit integrierter Kamera und weitgehend natürlichem Aussehen. Wir packten zusammen und verließen den Hehler, ohne ihn jemals wieder zu sehen.

Timecode 15.06.2054 / 04:00:00

Bei einer unserer Deckerconnections ließen wir das Auge überprüfen und erfuhren relativ schnell, daß es einem gewissen Griffin Moore gehört hatte. Gegen einen geringen Aufpreis erfuhren wir, daß dieser vor wenigen Tagen bei einem Autounfall ums Leben gekommen war und im Hammond Necroplex seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Zuvor hatte er bei Multitech im Qualitätsmanagement gearbeitet. Der Kreis schloß sich.

Unsere Suche nach der "Iron Legion" zeigte sich als ebenso problemlos. Dank Carla Harrots, einer Tridreporterin aus dem Bekanntenkreis von Ator, erfuhren wir, daß die Strassengang heute sicher auf einer sogenannten "Blitz-Party" in der Brighton Mall zu finden sei. Sie selbst war an der Gang interessiert, weil sie vor wenigen Stunden in eine Schießerei verwickelt waren und sich im Trid ein Beitrag über zunehmende Ganggewalt noch immer gut machte.
Wir machten uns also gemeinsam mit ihr auf und waren ohne größere Probleme an einem riesigen Troll namens Balder vorbeigekommen, der als Türsteher nach eigenen Gutdünken entschied, wer "hot" genug für die Party war. Sicher hatten auch die 300NY Eintritt (pro Person), die wir anstandslos bezahlten, ihren Teil getan. Nach einigem Herumfragen gelangten wir an ein paar Ganger in den blauen Kriegsfarben und üblichen Kettenbehängen der "Iron Legion". Sie wirkten etwas mitgenommen und hatten schon einiges im Blutkreislauf, zwei von ihnen schienen Chips vorzuziehen, was sie nur noch weiter aus der Realität entrückte und uns, bzw. Carla, nur entgegen kam.

Wir ließen Carla den Vortritt und mimten ihre Bodyguards. Nach wenigen Minuten und einem 1.500 NY-Credstick hatte Carla ihre Story über eine Schießerei zwischen einer Gang und einem blonden Kerl in braunen Cord, was doch sehr nach unserem neuen "Freund" Clean Steve klang. Damit war uns aber nicht wirklich geholfen, es hieß nur, daß die Konkurrenz nicht schlief. Overdrive, wie sich Carlas Gegenüber genannt hatte, schien erst seit jener Schießerei einen Chefposten in der Gang zu bekleiden und wirkte in dieser Position etwas unbeholfen, wenn nicht gar überfordert.
Also mischte ich mich in das Gespräch ein. "Sag mal, kennst du nen Breaker? Hat mir mal geholfen und ich meine er gehörte auch zu Iron Legion…".
Overdrive wandte seinen Blick zu mir. "Breaker? Klar, war 'n Chummer von mir, hat ihn aber erwischt. Da kommste zu spät.".
"Shit! Du weißt nicht zufällig was über ein Cyberauge, daß er verhökert hat?", versuchte ich einen Schuß ins Blaue.
"Nee, aber wo ich so drüber nachdenke, haben die Freaks ihn ordentlich drangenommen…", ein gewisser Argwohn machte sich in seinem Gesicht breit, ich musste also vorsichtiger sein.
"Frag mal Emma, wenn er was erzählt hat, dann ihr.", kam es aus der zweiten Reihe der Ganger.
Overdrive fuhr wütend herum. "Halt die Fresse, Beam. Das ist der Grund, warum ich hier der Boss bin und nicht du: Du laberst zuviel!".
"Ich will mich ja nicht in eure Belange einmischen, aber wir würden für die Infos zwei Riesen berappen. Wer ist denn diese Emma? Vielleicht kann sie die Kohle ja gebrauchen.".
"Du hälst die Fresse!", fuhr Overdrive den eingeschüchterten Ganger abermals an und wandte sich dann wieder mir zu. Ich wusste, daß meine Chummer mehr als bereit waren, die Ganger innerhalb von drei Sekunden auszuschalten und blieb dementsprechend extrem cool, was Overdrive wohl ein wenig verunsicherte. Letztendlich bekamen wir die Info und verließen die Blitzparty als Lone Star gerade anrückte, um sie zu beenden.

Timecode 15.06.2054 / 16:30:00

Wir hielten uns an die Anweisungen des Gangers, fragten im "Jackson's", einer heruntergekommene Kneipe in Puyallup, nach Emma, beriefen uns dabei auf "Beam" und bekamen die Adresse einer abrissreifen Mietskaserne in Puyallup.
"Was genau machen wir hier eigentlich? Wollten wir nich Multitech drankriegen?", fragte Jack, der irgendwie unzufrieden damit zu sein schien, wohin unsere Nachforschungen uns führten.
"Wir schließen die Beweiskette.", antworte JD, bevor ich unser Vorgehen erklären konnte. "Am einen Ende haben wir den toten Neil Scott, der mutmaßlich umgebracht wurde, weil er Nachforschungen über die Blaupause aus dem Cyberauge machte, am anderen Ende haben wir Multitech, bzw. Griffin Moore, der für Multitech gearbeitet hat und dem das Auge gehörte. Neil hat die Blaupause von Vanian. Vanian wiederum behauptet, daß Auge von Breaker bekommen zu haben. Gleichzeitig sollte es aber eigentlich gemeinsam mit Griffin Moore im Hammond Necroplex liegen. Wie also kommt Breaker in den Besitz des Auges?".
"Und wieso fahren wir nicht bei diesem Necroplex vorbei und schauen uns da mal um?", wandte leon ein.
"Unser Sandkasten, unsere Regeln, um dich an dieser Stelle zu zitieren, meine Beste.", ich wandte den Kopf zu leon. "Wir versuchen so wenig Aufmerksamkeit, wie möglich auf uns zu lenken, zumal mindestens zwei weitere Parteien im Spiel sind.". Damit war meines Erachtens alles gesagt und ich stieg aus dem Wagen aus.

Die marode Tür von Emmas Wohnung wollte schon bei unserem ersten Anklopfen aus den Angeln fallen und leistete daher wenig Widerstand, als wir sie, nachdem auf unser Klopfen keine Reaktion erfolgte, gewaltsam öffneten.
Eine Katze kam uns im Flur entgegen und schlich Ator zwischen den Beinen umher, während wir die Wohnung in Augenschein nahmen. Im Wohnzimmer fanden wir Emma. Sie lag angestöpselt an einen SimSinn-Player auf einem abgeranzten Sofa, daß mehr Flecken als Ursprungsfarbe zeigte und schien weit entrückt zu sein. Einige der Flecken schienen noch feucht und es war naheliegend, daß es sich um Ausscheidungen von Emma handelte. Wie lange lag die schon eingestöpselt hier?
"Die Mieze ist mehr, als sie zu sein scheint.", gab Ator zum Besten, der ein wenig genervt von seinem neuen Anhänger war. "Astral ist sie deutlich größer. Muss sich um irgendeine erwachte Form von Katze handeln, wir sollten sie nicht unterschätzen.".
"Ator hat Schiß vor 'ner Pussy!", gröhlte Jack. "Ich werd' sie für dich im Auge behalten, nich' das Miezi dir noch die Augen auskratzt. Harharhar…".
JD war mittlerweile an Emma herangetreten und zog den Stecker, durch den Emmas Gehirn mit programmierten Sinneseindrücken gefüttert wurde.
Es dauerte eine Weile bis sich Emmas Blick ein wenig klärte. "Ihre Vitalzeichen sind nicht gerade doll. Ich glaube, sie ist kurz vor dem Verdursten.", sagte Ator und ging in die Miniküche der Wohnung, um kurz darauf mit einem dreckigen Glas voll Wasser zurück zu kehren. "Und ich bin mir sicher, sie hält nichts von Hausarbeit!".
"Sagt der Kerl, der immer auswärts ißt und Bier nur aus Flaschen trinkt.", gab ich eine kleine Spitze zurück.
Ator ging nicht darauf ein, setzte sich neben Emma auf die Couch und flößte ihr schlückchenweise das Wasser ein. Zunächst schien Emma lethargisch alles nur über sich ergehen zu lassen, aber als das Glas etwa zur Hälfte leer war, schien sie in der Realität anzukommen und schob das angebotene Glas beiseite.
"Wer seid ihr und was wollt ihr? Ich habe nichts.". Sie hatte offensichtlich Schwierigkeiten sich zu artikulieren.
"Wir sind Freunde von Breaker und hätten nur ein paar Fragen…". Ich zog einen Credstick hervor und ließ die Summe von 1500 NY erscheinen.
"Breaker ist tot…", begann sie zu schluchzen.
"Das wissen wir. Aber wir hätten ein paar Fragen zu einem Cyberauge, daß er vor einigen Tagen an einen Schieber verhökert hat und es soll dein Schaden nicht sein.", versuchte ich die Gönnermasche.
"Möglicherweie hat das sogar etwas mit seinem Tod zu tun.", ergänzte Ator, der fasziniert die Katze von Emma im Auge behielt, während JD sich dem Simsinn-Player widmete.
Emmas Blick hing am Display des Credsticks. "Ja, ich erinnere mich. Breaker ist mit 'n paar von der Legion losgezogen. Ghuljagd, hat er gesagt. Sie mussten Creds besorgen, weil Lone Star Kaution für 'n paar Ganger verlangte.", sie schluckte. "Verdammte Biester! Aber 'ne einfache Methode, schnell die notwendige Kohle aufzutreiben. Jedenfalls tauchte Breaker mit diesem Cyberauge wieder auf. Er meinte, er hat es in 'nem Ghulnest gefunden. Hätte in 'nem halb abgenagten Schädel gesteckt. Bäh…, wenn ich nur dran denke, der Geruch und das Blut, ich könnt' kotzen!".
Ich reichte ihr den Stick, hielt ihn aber noch fest. "Du hast nicht zufällig 'ne Ahnung, wo sich dieses Ghulnest befindet?".
Die Braut versuchte tatsächlich, mir den Stick zu entreißen. "Inner Kanalisation. Wo sonst?".
Ich spreizte den kleinen Finger vom Credstick. "Und die ist ja hier nicht gerade klein.".
"Wennde glaubst, ich steig da mit euch runter, haste dich geschnitten.", sie zog mit beiden Händen an dem Stick.
"Aber vielleicht zeigst du uns zumindest, wo Breaker reingestiegen ist….", ich spreizte nun auch den Ringfinger, um meine grundsätzliche Bereitschaft, ihr den Stick zu überlassen, zu demonstrieren.
"Okay, ich bring euch hin. Aber laß endlich den verfraggten Stick los!", ein feine Wolke Speichel und Rotz begleitete ihre Äußerung, aber ich war nicht nachtragend, wenn ich bekam, was ich wollte.

Emma lotste uns durch die langsam dunkel werdenden Straßen Puyallups und jeder von uns spürte die Blicke der Verzweifelten, die überlegten, ob wir Jäger oder Beute waren. leon blickte sich immer wieder um und schien beunruhigt.
"Mach dir keine Sorgen, Kleine. Solange Jack bei dir ist, passiert dir hier nichts.", versuchte Jack sie ein wenig zu beruhigen und gleichzeitig aufzuziehen.
"Ich mach mir keine Sorgen, ich frage mich nur gerade woher sie wissen, wann sie lieber in ihren Verstecken bleiben?".
"Instinkt, Erfahrung, natürliche Auslese!", versuchte JD eine Erklärung. "Wer nicht genügend Instinkt hat, macht so seine Erfahrungen und die führen wiederum zu natürlicher Auslese.", seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß es sich hierbei um seine professionelle Einschätzung handelte.
"Hier überlebst du nur, wenn du weißt, auf wen du dich verlassen kannst und wem du besser aus'm Weg gehst.", warf Emma ein. Damit schien alles gesagt und wir schwiegen den Rest des Weges.
Schließlich erreichten wir eine Kreuzung und Emma deutete auf einen Gullydeckel. "Da sind sie rein!". Ohne ein weiteres Wort drehte Emma sich um und ging davon.
leon machte Anstalten sie aufzuhalten, aber JD hinderte sie. "Laß sie. Ich hab' mir ihren Player angesehen. Sie hat ihn manipuliert. Dreamchips, BTL, daß ist ihre Realität. Wir können froh sein, daß sie in der Lage war, uns hierher zu führen.".
leon warf ihr einen traurigen Blick nach, dann wandte sie sich dem Gullydeckel zu.
An der Ecke der Kreuzung saß eine gepardengroße Katze, maunzte und wandte sich dann ab, um Emma zu folgen…

Quellen

Die geschilderten Geschehnisse beruhen auf den Erlebnissen der SC-Gruppe von Benutzer Goronagee. Neben den oben genannten Romanen und Abenteuern fanden folgende Sourcebooks Verwendung:

Liste der Sourcebooks: