Memoiren eines Lichtträgers

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Bei den folgenden Texten handelt es sich um das Tagebuch des Runners Silencio, aus dem später die Aufzeichnungen des Teams Bulletproof wurden, welches schließlich den Orden der Lichtträger neu gründete.
Jedes initiierte Mitglied der Lichtträger erhält ein Exemplar dieser Aufzeichnungen unter der Auflage es nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, dennoch erschienen Ende 2075 erste Teile der Aufzeichnungen in verschiedenen Data Havens. Ob es sich um Verrat oder eine Art von Rekrutierungsflyer der Lichtträger handelt ist bislang unbekannt.
Der aktuelle Stand der Veröffentlichung hier, entspricht dem Stand der Veröffentlichung ingame vom 15.10.2076.


Achtung Spoiler! SPOILERWARNUNG! Achtung Spoiler!
Dieser Text kann Informationen enthalten durch die der "Genuss" folgender Romane und Abenteuer eingeschränkt wird:

Romane:

Abenteuer:


Inhaltsverzeichnis

Der Auftakt

Timecode (01-07-2053 / 21:00:00-22:00:00)

Wie immer, wenn die Zeit drängt, war auch bei diesem Job das Geld am Ende der ausschlaggebende Punkt gewesen. Es hatte einfach geklungen, als dieser Johnson aufgetaucht war und uns für einen einfachen Kurierjob 30.000 NY angeboten hatte. Zu einfach?
Mittlerweile umrundete ich die Baustelle des Konsulats von Tir Tairngire zum dritten Mal. Cloud reckte neben mir den Hals und verdrehte die neuen künstlichen Augen.
"Also, wenn ich der Scharfschütze wär', wüßt' ich, wo ich sitzen müsste, um das ganze Gelände zu überwachen."
"Jetzt mach dem Kurzen mal keine Angst. Wird schon schief gehen. Der Junge hier hinten macht jedenfalls keinen Mucks", kam es aus dem Laderaum des Fahrzeugs zurück, wo Jack die Überwachung der Fracht übernommen hatte.
"Ich verstehe nur nicht, wieso ausgerechnet hier? Ich meine, es gibt besser geeignete Orte für eine Übergabe, insbesondere wenn man einen Elfen übergibt." Ich war wirklich ein wenig gereizt, denn diesen Punkt hatte ich bereits vor einigen Stunden, bei der letzten Besprechung, mehrfach geäußert, ohne dass der von den anderen beiden im Team aufgenommen worden war. Waren die so naiv?
Andererseits war es eigentlich kein so großes Wunder. Cloud war nach der letzten OP ziemlich abgebrannt, und es gab immer noch ein neues Stück Hardware und ein noch nicht verstärktes Körperteil. Soviel hatte ich über den elfischen Samurai gelernt, mit dem ich seit einiger Zeit, gemeinsam mit Jack, den ich auf einem Trollrock-Konzert im Underworld 93“ kennen gelernt hatte, ein loses Team bildete.
Nachdem die Elfen 2052 beschlossen hatten, ihren Seehandel über Seattle abzuwickeln, hatte das Geschäft deutlich angezogen und die Risiken waren nicht geringer geworden.
"Jetzt fahr endlich auf diese verdammte Baustelle! Ich muß meine neuen Augen noch unter Einsatzbedingungen testen", nörgelte Cloud.
Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt und überzog die Windschutzscheibe mit einem schmierigen Film aus Wasser und Umweltgiften.
"Okay, Jungs," seufzte ich, "dann wollen wir mal." Ich fuhr rückwärts durch die mit Maschendraht versperrte Einfahrt und brachte den Wagen neben einem halb fertig gestellten Bauwerk zum Stehen. Cloud sprang aus dem Wagen, ehe der Motor aus war, und sicherte mit seinem LMG, während ich hinter dem Lenkrad sitzen blieb. Irgendetwas behagte mir nicht, und wenn es nicht unbedingt sein musste, würde ich keinen Fuß auf die Baustelle setzen.
"Clean!" kam von Cloud über Helmfunk.
Jack öffnete die hintere Tür des Lieferwagens, der uns gemeinsam mit der Fracht übergeben worden war, und verließ den Laderaum.
"Ich glaub da kommt was", meldete Cloud.
"Wird der Heli sein, der unsere Fracht übernimmt. Ich stell die Lieferung mal vors Auto, damit sie sehen, dass wir es sind." Mit einer Hand griff Jack in den Laderaum und holte den bisher erstaunlich ruhigen Elfen mit der Maske hervor.
Plötzlich ging alles ganz schnell! Aus dem Augenwinkel sah ich ein einzelnes Mündungsfeuer auf einem der Baugerüste. Aus der Richtung, in der ich Jack und die Fracht vermutete, hörte ich ein Geräusch, als würde eine überreife Melone zerplatzen. Fast zeitgleich explodierte eine Sprengladung und zerstörte die Rückwand einer der Baubaracken.
"Kontakt!" schrie Cloud in sein Mikro, dann schoß eine Rakete aus der Baubaracke Richtung anfliegendem Helikopter. Mir fuhr der Schreck eiskalt durch alle Glieder. Scharfschützengewehr, Raketenwerfer ... wo waren wir da nur hineingeraten? Verdammte Geldgier! "Jack!", schrie ich, "was ist da los? JACK!"
Cloud eröffnete das Feuer, hoffentlich zur Sicherheit erstmal auf den Scharfschützen. Jack antwortete langsam "Ich glaub, der Magier hier hat mir ganz schön die Jacke eingesaut. Ich hab hier überall Schädelsplitter kleben. Bwäh!"
Das reichte mir. Ich startete den Wagen. Der sich nähernde Helikopter verwandelte sich in einen rotglühenden Feuerball, der mindestens ebenso rotglühende Fragmente in alle Richtungen verteilte und das Cockpit des Transporters in einen farbigen Schimmer tauchte. Cloud eröffnete erneut das Feuer. "Baracke. Troll. Rakwerfer!", stieß er hervor. Die Salve aus seinem LMG zwang den von ihm entdeckten Troll in Deckung. Er warf sich in den Lieferwagen, ohne aus dem Ziel zu gehen, und Jack nutzte die gewonnene Sekunde, um ebenfalls in den Wagen zu hechten. "Abmarsch", schimpfte ich. "Hier gibt es für uns nichts mehr zu holen. Festhalten jetzt." Ich trat das Gaspedal bis zum Anschlag. Die Räder des Lieferwagens drehten kurz durch, fassten dann aber doch auf dem sandigen Untergrund der Baustelle und beschleunigten den Wagen. Kurz hatten wir alle drei das mulmige Gefühl im Magen, das jeder kennt, der schon mal vor einem Wetworker mit Scharfschützengewehr weggerannt ist, ohne Deckung in Reichweite zu haben, aber es kam keine zweite Rakete und kein Schuß. Und als der Lieferwagen hinter der nächsten Häuserecke eingebogen war, konnte ich nicht umhin, meinem gesteigerten Frust Luft zu machen:
"Ich habs ja gleich gesagt: Zu wenig Aufklärung und keine Rückendeckung auf unserer Seite. Das war Scheiße, Jungs!"

Das Chal'han

Cover
© FanPro

Körper

Timecode (04-07-2053 / 21:00:00-22:00:00)

Nach dem, was wir vor wenigen Tagen abgeliefert hatten, waren wir natürlich in aller Munde. Zu viele Neugierige hatten von der Schießerei auf der Baustelle und der missglückten Übergabe gehört. Es war also an der Zeit, es etwas ruhiger anzugehen. Da kam uns der Anruf von Empty Space, meinem Schieber, gerade recht.
Ein Typ namens Morlock suchte ein paar Runner für einen Job, bei dem es eher um Eleganz und Raffinesse ging. Und soweit Empty Space informiert war, handelte es sich bei Morlock um einen Schieber, dessen Johnsons Dienstleistungen der diskreteren Art bevorzugten. Also genau das, was wir als Team jetzt brauchten.
"Also", schnaufte ich, "Mitternacht im Penthouse vom Laubenstein Plaza, Ecke 6th und Pike Street. Das ist Downtown. Nur damit wir uns verstehen. Keine dicken Plempen und nichts, was nach schwerer Panzerung aussieht, sonst sind wir draußen, bevor wir Morlock auch nur getroffen haben." Ich war noch immer ziemlich angepißt, weil ich mich mit meiner Forderung nach einer besseren Erkundung der Baustelle nicht hatte durchsetzen können. Diesen Fehler wollte ich nicht wiederholen.
"Jetzt mach mal halblang, Kurzer. Wir sind auch nicht erst seit gestern im Biz", entgegnete Jack, während er angestrengt versuchte, mit einem Zahnstocher die Reste des früher am Abend zu sich genommenen Fast-Foods zwischen seinen Zähnen zu bergen. "Meine Kontakte sagen übrigens, Morlock ist ein Zwerg. Vielleicht solltest du das Reden übernehmen, Silencio."
"Kein Problem", knurrte ich. Zufällig war ich ja auch ein Vertreter der Subspezies Pumilionis. Momentan konnten vielleicht sogar solche Lappalien wichtig werden. "Habt ihr sonst noch was ausgegraben?", versuchte ich, die beiden Mitstreiter zu etwas mehr Informationsoutput zu bewegen.
Verwirrt warfen sich die beiden Messerklauen Blicke zu, zuckten mit den Schultern und schüttelten verneinend die Köpfe. Offensichtlich war ihnen gar nicht die Idee gekommen, mehr über Morlock in Erfahrung zu bringen. Nun war es zu spät dafür. Wenn wir rechtzeitig um Mitternacht im Plaza sein wollten, war es an der Zeit, sich entsprechend in Schale zu werfen und sich ein Taxi zu nehmen.

Timecode (04-07-2053 / 23:47:00)

23.47 Uhr zeigte der Handgelenkchronometer von Jack, als wir dem Taxi vor dem Laubenstein Plaza entstiegen. Mehr als genug Zeit, um noch einen Blick auf das Gebäude zu werfen, das mit seinen zahlreichen, kleinen Balkonen an der runden Außenfassade aussah wie eine lila Seegurke.
Keine 150 Meter von uns entfernt hielt gerade eine Lone Star-Patrouille neben einer Gruppe Biker, die sich wohl im Stadtteil geirrt hatten, und die wenigen Fußgänger, die um diese Zeit noch unterwegs waren, schienen Wichtigeres im Kopf zu haben, als uns seltsam heterogenem Grüppchen ihre Aufmerksamkeit zu widmen.
Cloud schien sich in seinem nagelneuen navy-blauen Anzug unwohl zu fühlen, obwohl er für mich perfekt nach Stifthalter aussah, während Jack in seinem langen gepanzerten Mantel und mit der dunklen Sonnenbrille zielsicher und beabsichtigt den Eindruck eines Leibwächters hinterließ. Wir hatten uns schnell darauf festgelegt, mich von vornherein als Ansprechpartner zu deklarieren, daher war mir die Schlipsnummer zugedacht worden, während Cloud und Jack Sekretär und Leibwächter mimten. Da wir nicht mit Ärger rechneten, blieben die Knarren zuhause. Sollte es hier Ärger geben, wären sie kein Vorteil und würden die Haftstrafe nur um einige Monate wegen illegalen Waffenbesitzes verlängern.
Ich straffte mich, setzte mein bestes „Schlipsgesicht“ auf und ging auf die sich bei meiner Annäherung selbständig öffnende Tür des Laubenstein Plaza zu.
Die Empfangshalle des Hotels sah glänzend, groß und sauber aus. Klimatisiert und plüschig war sie auch. Im Hintergrund konnte man bereits die Batterie Aufzugtüren erkennen, die zum Kontrakt führten. Auf Clouds Gesicht trat ein wehmütiger Ausdruck. Auch ohne Gedanken lesen zu können, wußte ich, daß er über Sachen nachdachte wie: "Wieviel Muni würde man wohl in den wenigen Dutzend Runs verballern müssen, die man erledigen müßte, um vom Erlös hier ein paar Tage Urlaub machen zu können?"
Erst als wir an den Aufzügen ankamen, fing er sich und setzte seine grimmige Profimaske auf. Als wir im Penthouse ausstiegen, wähnten wir uns bereits am Ziel. Leider war diese Einschätzung etwas verfrüht, wie sich zeigte, als klar wurde, daß der Vierertrupp in unterschiedlichen Kleidungsstilen gewandete Orks nicht zufällig dort herumstand.
"Ey, ihr da. Verzieht euch. Eure Sorte braucht hier keiner, verstanden?", quetschte der vorderste der vier an seiner Zigarre vorbei. Seine Melone, ein nicht wirklich gut an orkische Physiognomie angepaßtes Modell, sah aus, als wolle sie sogleich seitwärts von seinem Schädel rutschen. Die drei Sidekicks hinter ihm machten finstere Mienen und schienen bereit, den Vorschlag mit dem "Verziehen" durch eigene Muskelarbeit zu unterstützen.
Ich blieb verblüfft stehen und hob eine Augenbraue. Bevor ich etwas sagen konnte, hatte Jack sich vor mich geschoben, den Mantel geöffnet und seine beeindruckende Streitaxt aus dem Körperhalfter gelöst.
"Mach mal's Öhrchen auf, du Kasper", grollte er. "Wir haben da drin eine Verabredung. Und wenn du keine Verabredung mit der hier haben möchtest, dann nimmst du jetzt deine Spielplatzbubis und siehst woanders scheiße aus. Muß ich irgendeinen Teil der Ansage wiederholen?"
Der Melonen-Ork hatte offensichtlich Mühe, seine Zigarre bei sich zu behalten. Die drei hinter ihm herumtippelnden Schläger sahen plötzlich deutlich danach aus, als wollten sie ohnehin gerade nach hause gehen.
"Äh", räusperte er sich, "es, äh, handelt sich wohl um eine Verwechslung. Äh, schönen Tag noch." Nach diesen Worten zog sich das Grüppchen zurück, dabei stehts bemüht, den Eindruck einer Flucht zu vermeiden.
Als das erfolglose Quartett außer Sichtweite war, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten.
"Bwahaha ... der war gut: "und siehst woanders scheiße aus" ... du Komiker. Denk doch mal an Leute, die seriös aussehen sollen, Mensch." Ich rang nach Luft. Dann fiel mir etwas ein. Ich zwang mich, wieder normal zu atmen. "Aber was anderes: ich sagte doch ausdrücklich "keine Waffen". Bist du wahnsinnig, hier mit einer Wallacher einzureiten?"
Jack zuckte unbekümmert mit den Achseln. "Nein, Massa. Jack nich dumm. Jack sich merken, was Massa gesagt hat. Und Massa hat gesagt "keine Plempen". Jacks Hacki-Hacki keine Plempe, Massa." Dabei grinste er breit.
Cloud schmunzelte ebenfalls und nickte beifällig. "Stimmt. Haste gesagt."
Ich verdrehte die Augen. "Boah, ihr seid ja schlimmer als die Redneck-Rekruten im CFS. Werd ich jetzt schon gemobbt?" Mein Blick fiel auf die offene Suitentür an demjenigen Ende des Ganges, das nicht den Orks als Fluchtweg gedient hatte. "Okay, Schluß mit der Alberei. Wir sind da. Formation."
Wir setzten uns in Bewegung, um nun endlich Mister Morlock zu treffen und ihn von unseren Qualitäten zu überzeugen.

Timecode (05-07-2053 / 04:30:00)

Das Gespräch mit Mr. Morlock war kurz und professionell verlaufen. Wie sich herausstellte, waren die Orks von Morlock engagiert gewesen, und wir hatten den Test wohl bestanden, denn er kam ohne weitere Umschweife zur Besprechung des Jobs. Wir sollten in die hiesigen Verlagsräume einer Firma namens Sylvan Information Systems eindringen und das Manuskript eines elfischen Schreiberlings namens Ehran stehlen. Danach sollte noch ein kleines Virus in deren Computersystem eingeschleust werden und - schwupps - wären wir wieder draußen.
Ein schneller Job, bei dem zehn Riesen für jeden von uns rausspringen sollten. Morlock würde noch zwei drauflegen, damit wir unsere Finger von den sonstigen Daten der Firma ließen. Das klang mehr als fair.

Und jetzt standen wir hier in Bellevue vor dem Zaun, der den Park, in dessen Zentrum das Verlagsgebäude lag, umgab. Drei Meter hoch und vor Elektrizität knisternd.
"Cloud, du meintest sowas wäre kein Problem!" Mir war etwas unbehaglich zumute angesichts der viel zu vielen Ampere, die schon Schlange zu stehen schienen, um eine kleine Rallye durch meinen Körper zu veranstalten.
"Momentchen, Silencio, das haben wir gleich." Cloud schien die Ruhe selbst.
Er legte eine Reihe von mit Drähten verbundenen Klammern am Zaun an und schnitt danach den Zaun mit einer kleinen Kabelschere einfach durch. Kein Stromschlag. Kein Alarm. Sehr gut!
Wir zwängten uns durch den schmalen Durchgang im Zaun, wobei Jack kurz hängenblieb, und überwanden die Distanz bis zum Gebäude ohne Aufsehen zu erregen.
"Und jetzt? Scheiße, wir hätten doch noch ein paar Infos einholen sollen!" Mir gefiel diese Augen-zu-und-durch-Methode immer noch nicht.
"Beruhig dich, Silencio. Morlock sagte, weitere Nachforschungen würden den Auftrag gefährden. Wir haben alles unter Kontrolle."
"Und ich hab diesmal auch ne Plempe dabei, also alles cool!" ergänzte Jack, während er beinahe andächtig seine Panther Sturmkanone streichelte.
Ich runzelte kurz die Stirn. Hier sollte niemand sein, außer einem Hausmeister und vielleicht ein paar Hunden, brauchte man da wirklich eine solche Flak?
"Wir sollten es durch den Lieferanteneingang probieren. Wenn ich mich richtig erinnere, ist der auf der Hinterseite des Gebäudes." Cloud hatte einen Blick auf den von Morlock gelieferten Grundriss geworfen und von vornherein ein Eindringen durch die Vordertür ausgeschlossen.
"Dann los! Und Jack, tu mir den Gefallen und versuch es leise zu halten." Ich warf einen Blick um die Ecke und stellte zufrieden fest, dass wir bisher unbemerkt geblieben waren. Jack schulterte seine Panther und zog die Axt, die uns schon bei den Orkbubis so gute Dienste geleistet hatte.
Wie Schatten huschten wir an der Hausmauer entlang, bis plötzlich der Wind drehte und Cloud auf eine der heruntergefallenen Walnüsse trat, die unter seinem Stiefel geräuschvoll ihr Dasein beendete.
Plötzlich kam Leben in die nächtliche Parkanlage mit ihren Walnuss-, Apfel- und Kirschbäumen. Von dem kleinen See her, der in der nordöstlichen Ecke angelegt worden war, drang ein unheimliches Heulen zu uns herüber und Jack ließ beinahe seine Axt fallen, während Cloud nahezu geräuschlos seine Cyberklingen ausfuhr. Ich zog meinen Predator, dann waren sie auch schon da: zwei tiefschwarze, fast schattengleiche Hunde mit rot leuchtenden Augen hetzten auf uns zu. Cloud ging in eine leicht gebeugte Kampfstellung, während Jack fast wie in Zeitlupe seine Axt hob, um sich den Biestern entgegen zu stellen. Meine Smartgunverbindung meldete eine hohe Wahrscheinlichkeit, die beiden Biester zu erledigen, ohne meinen beiden Chummern, die sich zwischen mir und den tierischen Angreifern positioniert hatten, Löcher in den Leib zu stanzen.
Cloud tauchte unter dem ihn anspringenden Vieh weg und brachte sich in Angriffsposition, während Jack, der sich immer noch bewegte, als würde er durch Gelee gehen, von dem anderen zu Boden geworfen worden wäre, wäre er nicht ein wahrer Koloß von einem Troll gewesen. Das Tier prallte von ihm ab, als wäre es gegen eine Mauer gelaufen und fand ein schnelles Ende, als die Wallacher meines Chummers sein Rückgrat durchtrennte. Cloud umtanzte mit blitzenden Klingen seinen Gegner, als ein erneutes Heulen mir fast das Blut in den Adern gefrieren und Cloud offensichtlich ebenfalls nicht unbeeindruckt ließ. Eben noch mit einer Geschwindigkeit, die die Cyberklingen verschwimmen ließ, unterwegs, wurde er plötzlich zögerlich und zum Opfer des Barghests. Als habe dieser nur auf die veränderte Situation gewartet, schoß er hervor und versenkte seine lumineszierenden Zähne in den Nackenbereich des Elfen. Mir blieb keine Wahl. Zwei schnelle Schüsse aus dem Predator beendeten sein Leben, während Jack sich des dritten Angreifers annahm, indem er das springende Tier wie einen Apfel vom Baum aus der Luft pflückte und dessen Schädel in seiner riesigen Pranke in Hundskopfsülze verwandelte.
"Verfraggter Drek! Cloud?" Ich klatschte ihm eins meiner Antidot-Patches auf die blutende Bisswunde. "Wie lange ist deine letzte Impfung her?"
Die Cyberaugen meines Chummers vermittelten keine Emotionen, aber sein Gesicht sprach Bände.
"Impfung? Was soll der Drek? Wir sind in Seattle, nicht in Mittelamerika! Ich kipp' nachher nen Brandy drüber und gut ist's. Mach nicht so'n Gescheiß wegen ner Fleischwunde!"
Jack, der sich zu einem der Barghests heruntergebeugt hatte und dessen Gebiss in Augenschein nahm, schien nicht ganz so zuversichtlich.
"Ich hab gehört, dass Leuchten der Zähne kommt von irgendwelchen Bakterien in ihrem Sabber. Nicht, dass du dich in nen Glühwürmchen verwandelst, sowas ist echt schlecht fürs Geschäft in den Schatten."
"Fuck you, Trog!", zischte der sichtlich gereizte Elf.
Jeder andere hätte für solch einen Spruch mit zwei bis vier Schneidezähnen bezahlt, bei Cloud ließ Jack das aber durchgehen.
"Kein Trouble jetzt! Cloudie, wie siehts aus? Abbruch?" Jack sah wirklich fast rührend besorgt aus.
"No way!", gab Cloud erbost zurück. "Ich lass mich doch nicht als Hundeknochen benutzen und marschiere dann hier ohne Beute raus!"
Jack zuckte mit den Schultern und zeigte den erhobenen Daumen.

Das Verlagsgebäude war menschenleer und weder das Heulen der Barghests, noch die beiden Schüsse aus meinem Predator schienen irgendwen in Alarm versetzt zu haben. Dennoch drängte ich zur Eile. Nachdem Cloud im dritten Anlauf das Schloss der Laderampe geknackt hatte, waren wir durch Lager- und Empfangshalle zu Treppen gelangt, die uns in den ersten Stock und damit zu den Büros der hochrangigen Schlipse geführt hatten.
"Laßt uns beim Big Boss anfangen.", schlug Jack vor und trat die Tür eines gewissen Malachi Morgan auf, der laut Türschild "Präsident und Geschäftsführer von Sylvan Information Systems" war.
Ich zuckte ob des erzeugten Lärms zusammen. "Hey, die Dinger haben Klinken, damit man sie öffnen kann. Hat dir das noch keiner gesagt?"
"Hähä, klar, aber schau dir die doch mal an, da kann ein Troll wie ich nun echt nix mit anfangen." Ich musste ein wenig schmunzeln, als ich die Klinke, die Jack mit zwei Fingern aus den Trümmern der Tür barg, in seiner Hand erblickte.
Ich konzentrierte mich wieder auf unsere Mission. "Okay, wir suchen ein handschriftliches Manuskript. Irgendwelche Ideen?"
"Ich würd's mal hier probieren." Cloud hatte ein verschiebbares Wandpanel gefunden, hinter dem sich ein altmodischer Safe befand. "Aber mit Elektronik kommen wir da nicht weiter. Die stammen eindeutig noch aus dem letzten Jahrhundert. Sehen ziemlich stabil aus. Wieviel Sprengstoff hast du bei dir, Silencio?"
Ich sah mir den in die Wand eingelassenen Safe an. "Hmm, ich denke ich krieg das Ding auf. Aber was mit dem Inhalt passiert, kann ich nicht sagen. Wenn da echt das Manuskript drin ist, könnte es Schaden nehmen."
"Jetzt mach hier nicht den Schwarzseher. Besser probieren als ohne Beute gehen", meinte Jack, während er mit roher Muskelkraft formidabel erfolglos versuchte, den Safe aus der Wand zu reißen.
"Jepp, du hast Recht", nickte ich zustimmend, "aber hör jetzt auf mit diesen Kindereien. Cloud, meinst du, wir können das Virus über den Rechner hier ins System einschleusen?"
"Ich denke, das ist kein Prob", entgegnete der Elf, der es sich bereits im Sitzmöbel von Malachi bequem gemacht hatte. Vielleicht war seine Verletzung doch schlimmer, als er zuzugeben bereit war. Ich sah jedenfalls mit Beunruhigung, dass er weiter Blut verlor.
"Dann machen wir uns mal ans Werk." Ich schätzte die Dicke der Safewände und bastelte mit dem mitgebrachten C4 eine handliche kleine Ladung, die ich mit einem Funkzünder versehen plazierte. Cloud hatte unterdessen das Virus ins System injiziert.
"Ich gehe davon aus, dass wir nach der Explosion Besuch bekommen werden", schärfte ich meinen Mitstreitern ein. "Die mittlere Reaktionszeit dürfte hier in Bellevue deutlich unter der in Tacoma liegen, also keine groß angelegten Aktionen mehr danach. Ich will 90 Sekunden nach der Explosion hier raus sein. Mit oder ohne Beute!"
Wir zogen uns in den gemeinsamen Vorraum der Büros zurück, und ich drückte den Zünder.
KAA-WUMM!!!
Cloud, der dank seiner Cyberaugen am wenigsten durch den sich nur langsam legenden Staub im Büro in seiner Sicht eingeschränkt war, eilte zum Safe und begann zu jubilieren.
"Jungs, Jackpot!!! Hier sind beglaubigte Sticks drin....ich fass es nicht, bestimmt 'ne halbe Million!"
Ich hatte mit dem Zünder den Countdown 90 Sekunden gesetzt, und meine Uhr würde mich 30 Sekunden vor Ablauf erinnern. Ich versuchte den Staub zu ignorieren und gelangte zu Cloud, während Jack an der Türschwelle stehenblieb und nach Ärger Ausschau hielt.
"Super, irgendwelche Spuren von dem Manuskript?" Ein erster Blick ließ mich neben den Sticks einige lose Ausdrucke und ein paar Chips entdecken, aber nichts, was nach einem handgeschriebenen Manuskript aussah.
Cloud, der jeden Stick kurz begutachtete, bevor er ihn in seinen Taschen verschwinden liess, warf einen Blick in den offenstehenden Safe. "Nö, nix zu finden.....Moment, dass hier sieht wie eine ... oooh ... Inventar- und Codeliste aus." Seine Miene erhellte sich deutlich. Ohne ein Wort zu sagen, verließ er Malachis Büro und öffnete die Tür mit der Aufschrift "Sylvia Green, 3.Herausgeberin". Ich warf einen kurzen Blick auf meinen Chronometer (noch 63 Sekunden), dann folgte ich ihm.
Cloud öffnete einen dem ersten Safe nicht unähnlichen zweiten, allerdings unter Zuhilfenahme der notierten Codes, griff triumphierend hinein und holte ein offensichtlich handschriftlich verfasstes Manuskript mit dem Titel "Mankind Revealed" hervor. Ich warf einen kurzen Blick hinein und stellte fest, dass dieser Ehran eine widerliche Sauklaue hatte, das Manuskript aber in Englisch und nicht in dieser angeblich uralten Elfensprache Sperethiel verfasst war. Wir hatten alles, was wir wollten.
"Rückzug!", befahl ich daher.
"Aber Silencio", nörgelte Cloud, "wir könnten hier noch dick absahnen!"
Da meldete mein Chronometer die letzten 30 Sekunden. Ich hob nur andeutungsweise das Handgelenk und der Elf verstand meinen Einwand.
"Okay, dann raus hier, mein Nacken bringt mich sonst noch um!", Cloud legte eine Hand auf die blutende Stelle und grinste breit.

Timecode (05-07-2053 / 23:30:00)

Diesmal sahen wir keine Orkbubis, als wir Mr. Morlock am folgenden Abend im Laubenstein Plaza besuchten. Wie verabredet erhielten wir pro Person 12 Riesen. Auch wenn einiges davon für die Rechnung von Dr.Pille, einem Kumpel von mir, der als Strassendoc arbeitete, für die Versorgung von Clouds schwerer Verletzung drauf gehen würde, hatten wir mit den rund 500.000NY in Sticks einen mehr als ordentlichen Profit gemacht.
"Und sie haben wirklich sicher alle anderen Dateien unberührt gelassen?", wollte Mr. Morlock abermals versichert bekommen, als er uns auf einen Drink einlud.
"Klar, Mr. Morlock! Sie haben Profis gebucht und sie haben Profis bekommen." Meine beste Profimiene rundete die schönen Worte elegant ab.
"Naja, Silencio, auf den Sticks sind ja irgendwie auch Dateien, nichwah?", erinnerte mich unser trollisches Genie im zielsicher unpassendsten Moment an seine rudimentären Kenntnisse in Datentechnologie.
In diesem Moment hätte ich Jack mit einem Teelöffel erschlagen können. Mr. Morlock's Gesicht nahm einen fragenden Ausdruck an.
"Wenn wir es ... ähm ... genau nehmen, konnte mein Chummer Cloud die Finger nicht von einigen beglaubigten Credsticks lassen." Ich hielt innerlich den Atem an, gespannt, wie Morlock reagieren würde.
"Ach, es handelt sich nur um Geld?" Unser Gegenüber zeigte einen leisen Anflug von Erleichterung. "Behalten Sie es! Sie haben gute Arbeit geleistet."


Hass

Timecode (28-07-2053 / 21:30:00)

Nachdem Cloud seine Verletzung auskuriert hatte, wollten wir es uns einige Zeit gut gehen lassen, gleichzeitig aber nicht den Eindruck erwecken wir wären "satt", denn nichts bringt einen in den Schatten schneller aus dem Biz. Als mich der Anruf einer gewissen "Charlie" erreichte, blieb uns also nichts anderes übrig, als der Aufforderung zu einem "Geschäftsessen" im Takuri nachzukommen. Wie warfen uns in unser nobelstes Oufit und trafen pünktlich zu unserem Termin im Takuri ein.
Ein hochgewachsener Japaner in einem traditionellen Kimono begrüßte uns, und ich war mehr als glücklich, Jack davon überzeugt zu haben, auf Bewaffnung zu verzichten. Wie vereinbart fragten wir nach "Charlie" und wurden in einen kleinen Nebenraum geführt. Hier erwarteten uns neben Charlie, deren Alter ich auf Ende 30 schätzte - wobei ich mir bei Menschenfrauen da nie so ganz sicher war - ein Typ namens Wyrd, den ich als "Messerklaue" mit einiger Erfahrung kategorisierte und ein Jungspund names Trey, der sich offensichtlich etwas unbehaglich fühlte und beinahe minütlich möglichst unauffällig die Existenz seiner Streetline Special im Schulterhalfter überprüfte.
Nachdem die Vorstellungsrunde absolviert war, in der "Charlie" sich als Charlie Tarrow vorstellte, kamen wir nicht wie von mir erwartet sofort zum Geschäft, sondern zu einem wirklich hervorragendem Abendessen, das keinerlei Wünsche offenließ, sofern man auf asiatische Küche steht. Während Jack sich einen Spaß daraus machte, die nach dem Essen servierten Glückskekse in seine Taschen verschwinden zu lassen, schickte Charlie Trey vor die Tür, um Wache zu stehen und kam endlich zum Grund unseres Treffens.
Ein Seattler Policlub namens Para Nobilis Gesellschaft hatte wohl ein wenig über die Stränge geschlagen und eine Reihe von Elfen mit archaischen Waffen wie Schwerten und Bögen in die Ewigen Jagdgründe geschickt. Charlie zeigte uns eine Reihe von Fotografien (die noch ganz ohne Elektronik gemacht worden waren), auf denen einige der Opfer zu sehen waren. Cloud warf einen kritischen Blick auf die Fotos und kam schließlich zu der Einsicht, dass sie wohl nicht manipuliert worden waren.
"Mein Klient möchte, dass diese Gruppe von der Bildfläche verschwindet und ist bereit, hierfür 20.000NY zu zahlen. Wie Sie dies im Einzelnen erreichen, bleibt ihnen überlassen, allerdings gibt es bei diesem Auftrag einige Boni."
Cloud wurde hellhörig. Boni für das Verschwinden von Elfenmördern waren eigentlich nicht notwendig, würden aber natürlich gern mitgenommen werden.
"Zum Einen bietet mein Klient für die linke Ohrspitze jedes der sechs Führungsmitglieder der PNG 3.000NY, zum Anderen sollen sie dem Anführer der PNG, einem Kerl namens Xeric, diesen", sie zog einen versiegelten Umschlag hervor, "Umschlag in den Schoß legen. Wie sie sich vielleicht denken können, interessiert sich mein Klient nicht im Geringsten für den Zustand der PNG, solange die sechs Führungsmitglieder niedergeschossen, die sechs Ohrenspitzen eingesammelt und der Umschlag abgeliefert wird. Wie siehts aus, Alsobs?".
Ich überschlug im Geiste schnell die Gesamtsumme. 20 Riesen plus zweieinhalb für das Abliefern des Umschlags, plus 18 Riesen für sechs Ohrspitzen. Kein schlechter Deal für einen Abend Arbeit, aber was meinte Charlie mit "Alsobs"?
"Wir machen den Job!" kam von Cloud, noch ehe ich meine Überlegungen zuende geführt hatte. Damit gab es kein Zurück mehr.
"Das freut mich zu hören. Ich bin autorisiert, ihnen 5.000NY als Vorschuß am heutigen Abend auszuzahlen. Den Rest plus die eventuellen Boni erhalten sie nach Abschluss des Auftrages.".
Was blieb mir anderes übrig als den Deal zu akzeptieren. Wir erhielten unseren Vorschuß und wurden verabschiedet, ohne dass ich erklärt bekam, was Charlie mit "Alsobs" gemeint haben könnte. Irgendwie klang es für mich nach einer Beleidigung, aber wieso sollte ein Johnson uns engagieren und gleichzeitig beleidigen?

Timecode (29-07-2053 / 00:45:00)

Wir hatten beschlossen, diesmal ein wenig Beinarbeit zu leisten, bevor wir uns unserem Ziel näherten, also trennten wir uns, um unsere Connections abzugrasen. Als wir uns schließlich wieder trafen, waren wir nicht viel schlauer als zuvor.
Die PNG hatte wohl ein wenig Rückendeckung durch einige Konzerne, aber es war leider nicht herauszufinden, welche. Auf der Strasse gab es nur zwei Gruppen, die sich mit der PNG anlegen würden. Ein anderer Policlub namens Young Elven Technologists und ein kleines Medienbüro mit dem Namen Sceptre Productions, welches vor einigen Monaten ein Kamerateam verloren hatte.
In der politischen Datenbank Seattles fand sich ein kurzer Eintrag zur PNG. Diesem konnten wir die Namen der Führungsriege entnehmen: Xeric, Allair, Ehrendahl, Thiran und Blaine Deathedge. Daneben fand sich die Adresse ihres Hauptquartiers.
Jack berichtete noch, dass eine seiner Connections meinte, zur Führungsriege würde eine Magierin namens Fierelle gehören, die den Spleen habe, sich stets mit Rot zu umgeben. Damit hatten wir also unsere sechs primären Ziele.
Cloud kam auf die Idee auch nach den YET zu suchen und wir erfuhren, daß dieser Policlub sich wohl diametral zur Elfen-zurück-zur-Natur-Philosophie der PNG positioniert hatte und durch den elfischen Autoren und Soziologen Ehran unterstützt wurde.

Shadowtalk Pfeil.png Hinterher fragt man sich dann ab und zu, wie blöd man eigentlich war ...
Shadowtalk Pfeil.png --Silencio

"Vielleicht sollten wir uns das Ganze mal aus der Nähe angucken", meinte Jack, der offensichtlich für Planung und strukturiertes Vorgehen wenig übrig hatte.
"Wir können zumindest das Hauptquartier mal in Augenschein nehmen, vielleicht ergibt sich irgendwas", stimmte Cloud dem Troll zu.
"Okay, in Augenschein nehmen! Keine unüberlegten Aktionen, bitte. Wir fahren da hin und schauen uns die Sache an und, nein, Jack du darfst deine Panther nicht mitnehmen!" Ich würde ihn nur schwer davon abhalten können, das HQ zu stürmen, sollte er auf diese Idee kommen und ausreichend bewaffnet sein. Wehret den Anfängen, nicht wahr?

Timecode (29-07-2053 / 01:30:00)

Wir erreichten Downtown und ich parkte meinen GMC Bulldog nahe des ehemaligen Feuerwehrhauses, das unseren Informationen zufolge den PNGlern als Hauptqaurtier diente. Ein gutes Dutzend Motorräder war hinter dem Gebäude geparkt, bewacht von einer einsamen Hohlbirne, dessen glimmende Kippenspitze ziemlich genau den Aufenthaltsort seines Kopfes verriet.
"Ich dreh mal schnell ne Runde", erklärte Cloud und war aus dem Bulldog heraus, ehe ich noch Einwände erheben konnte.
"Wieso darf Cloud raus und ich muss hier mit dir in dieser stinkigen Karre hocken?" Jack war heute wieder nörgelig.
"Hey, du kannst gern nach Hause laufen, wenn mein Bulldog nicht fein genug für dich ist!" Wenn ich etwas wirklich nicht leiden konnte, dann Kritik an meiner Ausrüstung.
"Is' ja schon gut, aber ein bischen Bewegung würde mir echt gut tun", brummte der Troll relativ leise.
"Jepp, und ne Dusche hinterher würde dir auch nicht schaden. Du kriegst noch deinen Einsatz, mach dir mal keine Sorgen." Ich machte es mir wieder im Sitz bequem und versuchte vergeblich, möglichst lässig den Rückspiegel im Auge zu behalten.
Cloud erschien kurz darauf wieder am Seitenfenster und ich hätte ihn beinahe weggeblasen, so angespannt war ich. Hier im Schatten der Renraku-Arkologie war jederzeit mit dem Auftauchen von Sicherheitspersonal der Japsen zu rechnen und irgendwie behagte mir das gar nicht.
"Alles easy, Jungs! Da läuft noch ein zweiter von den Typen draußen rum, aber sonst habe ich keinerlei Sicherheitsvorkehrungen gesehen. Ich bin dafür, dass wir uns ausrüsten, wieder herkommen und den Job erledigen. Je schneller wir arbeiten, umso schneller werden wir bezahlt."
Zumindest letzteres ließ sich nicht von der Hand weisen, und ich war geneigt, Clouds Idee des schnellen und unkomplizierten Zugriffs aufzugreifen, als plötzlich das Geräusch schwerer Stiefel auf nassem Asphalt zu uns herüberdrang. Cloud wirbelte herum. Ich folgte seinem Blick und sah aus einer der Nebenstraßen einen in urbanes Tarnmuster gekleideten Ork ziemlich genau auf unsere Position zulaufen.
"What the fuck!?", sprach ich aus, was mir durch den Kopf ging.
Dem Ork schien auch gerade aufzugehen, in welcher Situation er sich befand, den er verlangsamte seinen Schritt und hielt die leeren Hände deutlich vom Körper weg.
"Was'n los?", kam von hinten und ich deutete Jack mit einer Handbewegung, sich still zu verhalten.
Der Ork hatte sich bis auf drei Meter meinem Bulldog genähert und Cloud wirkte wie eine aufgespannte Schnappfalle, bereit, seine Cyberklingen in Kopf und Oberkörper des Unbekannten zu versenken.
"Ich weiß, es klingt unwahrscheinlich, aber ihr kommt mir wie gerufen", eröffenete der Ork seine Ansprache, die aller Wahrscheinlichkeit nach über sein Weiterleben entscheiden würde. Cloud entspannte sich in keinster Weise. Jack schien sich an meine Weisung zu halten und gab keinen Ton von sich.
"Wie könnten wir dir denn weiterhelfen, Fremder?", versuchte ich möglichst lässig von mir zu geben, um die angespannte Situation nicht eskalieren zu lassen.
"Ich müsste einfach nur echt schnell hier weg und ihr seht auch nicht so aus, als gehörtet ihr hier hin!"
"Verpiß dich und such dir ein Taxi!", knurrte Cloud.
"Wer ist hinter dir her?", wollte ich wissen. Immerhin wäre eine solche Zusatzinfo entscheidend für die Übereinstimmung mit unseren Allgemeinen Beförderungsbedingungen oder zumindest der Höhe des zu entrichtenden Fahrpreises.
"Niemand, und das soll auch so bleiben. Hier sind 2000 NY, und ihr könnt mich John Doe nennen. Wie siehts aus?"
Die Situation schien mir so absurd, dass es unmöglich eine Falle sein konnte, zumal niemand wusste, dass wir hier waren. Also gab ich mir innerlich einen Ruck und machte mental einen Haken hinter "Jeden Tag eine gute Tat".
"Cloud?"
"Ich mag ihn nicht," zischte der noch immer sehr kampfbereite Elf. "Der stinkt nach Kon, aber es ist deine Karre."
Ein Blick über die Schulter zeigte mir Jacks breites Grinsen und seinen erhobenen Daumen.
"Dann steig mal ein, Mr. John Doe. Wir wollen hier nicht ewig bleiben.".

Timecode (29-07-2053 / 02:30:00)

Wir hatten John Doe aus Downtown mit nach Tacoma genommen und uns in einer Kneipe, die wir sonst nicht aufsuchten, niedergelassen. Er erzählte eine Geschichte von Metamenschenverachtung und Rassismus innerhalb des Renraku-Konzerns, der seine Heimat gewesen war, bis er vor wenigen Stunden seinen Tod inszeniert hatte, um dem Konzernleben den Rücken zu kehren und in die Schatten Seattles einzutauchen. Mit allem, was das so bedeutete, inklusive eines neuen, nicht ganz so legalen Jobs.

Shadowtalk Pfeil.png Hätte er noch die Story von seiner Schwester erzählt, hätten wir möglicherweise etwas mehr tun können und die Geschichte hätte einen etwas anderen Verlauf genommen. Hätte hätte auf Toilette. Fuck.
Shadowtalk Pfeil.png --Silencio

Seine Geschichte klang insgesamt glaubhaft und Jack hatte ihn eh gleich ins Herz geschlossen. Cloud blieb noch einige Zeit kritisch, musste aber nach kurzer Fachsimpelei zugeben, das JDs Elektronikkenntnisse seine eigenen weit übertrafen. Nachdem wir ihn für eine Nacht in einem Sarghotel untergebracht hatten, hielten wir zu dritt Kriegsrat und beschlossen kurzerhand, da wir sowieso vor hatten unser Team zu erweitern, ihn am Überfall auf die PNG als eine Art Bewerbungsrun zu beteiligen.

Timecode (29-07-2053 / 16:30:00)

Nachdem wir JD von unserem Plan, die PNG anzugreifen und unseren bisherigen Vorbereitungen (die ihn nicht sonderlich zu beeindrucken schienen) berichtet hatten, schlug er vor, zumindest zu versuchen, an Daten über das Feuerwehrhaus zu gelangen. Also machten Cloud und ich uns auf zum Katasteramt, wo es Unterlagen über alle städtischen Gebäude geben sollte.
Nach einigen Belehrungen darüber, dass wir keinerlei Vollmachten hätten, irgendwelche Daten abzufragen und dass die Shiawase Corporation als jetziger Betreiber des Katasteramtes keinerlei Informationen an Unbefugte herausrücken würde, gelangten wir schließlich an eine freundliche blonde Elfin, die Clouds Charme erlag und uns den Hinweis gab, dass, wenn überhaupt jemand Informationen über das betreffende Gebäude hätte, eine gewisse Harriet Taylor im Archiv darüber verfügen würde.
Wie sich herausstellte, war das Archiv ein Kellerraum von ca. 150*40 Metern Größe, in dem sich die Akten in bis zu 5m hohen Regalen türmten. Und ja, ich meine Akten aus Papier, ziemlich unsortiert, ohne Suchfunktion, brennbar und allgemein so praktisch wie ein halber Tanker. Verwaltet wurde dieser Alptraum aus totem Wald von einer kleinen Lady Mitte 60.
Glücklicherweise zeigte sich diese mehr als erfreut von unserem Besuch in ihrem Refugium und war nach ein wenig Smalltalk nur zu bereit, uns die gewünschten Grundrisse herauszusuchen. Wie sich logischerweise darstellte, war dies jedoch keine Frage von Millisekunden, wie man es bei einem vernünftigen Datenbanksystem heutiger Zeit erwarten dürfte, sondern dauerte geschlagene zwei Stunden, in denen sie uns kiloweise Akten hin- und herschleppen ließ. Letztlich bekamen wir aber, was wir wollten und verabschiedeten uns mit dem Versprechen, Harriet bald wieder zu besuchen. Mit dem Grundriss, der bestimmt noch aus dem vorherigen Jahrtausend stammte, hatten wir nun alles, was wir für unseren nächtlichen Überraschungsbesuch brauchten.

Timecode (30-07-2053 / 03:00:00)

Wir wollten schnell und gnadenlos zuschlagen, die möglicherweise durch ein Feuergefecht herbeigerufenen Sicherheitskräfte wurden von uns als das größte Risiko angesehen. Zeit war also wieder einmal der limitierende Faktor.
Ich "parkte" meinen Bulldog mit quietschenden Reifen im Hof der PNG. Jack war aus der Tür und in Richtung des Wächters unterwegs, ehe der Wagen richtig zum Stehen gekommen war. Der Wächter kam noch dazu seine Kippe aus dem Mundwinkel fallen zu lassen, dann traf ihn Jacks Rechte und er ging still zu Boden.
Cloud und JD folgten Jack und ich sprang ebenfalls aus dem Wagen, den schallgedämpften Predator im Anschlag.
RUMMS!!!
Jack trat die Tür zum Hauptquartier ein und marschierte durch den Regen aus Splittern ins Innere des Gebäudes. JD folgte ihm, während Cloud die Rückendeckung übernahm. Ich erreichte die Eingangstür und bemerkte, dass meine beiden Chummer offensichtlich an zwei Türen vorbeigerannt waren. Ich öffnete die erste und überraschte einen PNGler unter der Dusche. Zwei schnelle Schüsse und er war Geschichte. Von weiter vorn hörte ich das Geräusch, das Jacks Axt gewöhnlich erzeugt, wenn sie durch schwach geschütztes Gewebe fährt.
Vor der zweiten Tür entdeckte ich den bewusstlosen Körper einer weiteren PNG-Wache. Sein Gesicht berichtete von einem Zusammenstoß mit Jacks Fäusten. Ich öffnete die zweite Tür und erblickte ein völlig in Rot gehaltenes Zimmer. Eine Frau, völlig in Rot gekleidet, hob abwehrend die Hände. Das musste die Magierin sein! Ich nahm mir einen Moment, um den Schuss sicher ins Ziel zu bringen, "KILL THE MAGE FIRST!", hallte es durch meinen Schädel und drückte ab.
Eine Salve aus einer MP zwang mich in Deckung. Verdammte Kacke! Wo waren eigentlich Jack und JD?
Das Geräusch der fliegenden Wallacher beantwortete meine Frage. Blaine Deathedge verlor seinen rechten Unterarm, als sie ihr Ziel fand. Ich schoß ihm in den linken und schaltete ihn damit aus.
Zwei von sechs erledigt.
Ich schaute den Flur hinunter, während Jack seine Axt wieder an sich nahm. Eine Treppe führte entsprechend dem Grundriss ins Obergeschoß. JD war an dieser bereits vorbei und schien ein kleines Mädchen entdeckt zu haben. Von oben hörte ich schnelle Schritte. Cloud rückte auf, behielt aber den Eingang im Auge. Zwei MPs bellten uns von der Treppe entgegen. Jack warf sich in Blaines Zimmer in Deckung. Die zweite traf JD in den Rücken. Kein Stellungskampf jetzt!
Aus Blaines Zimmer kam eine Granate geflogen. Ich zog mich ins rote Zimmer zurück.
KA-WUMMS!!!
Die beiden MP-Schützen taumelten desorientiert die Treppe herunter. Jack erschien grinsend aus Blaines Zimmer.
"Bist du irre? Granaten im Treppenhaus?", fuhr ich Jack an.
"Mach halblang! Waren nur Stun-Granatos, alles halb so wild." Dem Troll schien das Kegeln mit Explosivkörpern richtig Spaß zu machen.
"Hey Jungs, mich hat's schwer erwischt!", stöhnte JD in unsere Richtung.
Ich sicherte die Treppe nach oben, während Jack einen Blick auf die Verletzung von JD warf.
"Alter, das is' voll durchgegangen! Ich hab dir gleich gesagt: Sicherheitsmantel is' Scheiße!", Jack hatte einen besorgten Unterton, konnte sich die Ermahnung aber nicht verkneifen.
"Was habt ihr mit der roten Frau gemacht?" Das kleine Mädchen, das dank JDs Einsatz schadlos aus der Sache herausgekommen war, meldete sich zu Wort.
"Können wir das alles später klären? JD, Jack, wie siehts aus?", mischte ich mich ein.
Cloud erschien auf der Bildfläche. "Laßt mal, ich kümmere mich um unseren Rookie hier und Jack und du mischen das Obergeschoß auf!"
Manchmal fragte ich mich, wer die Führung in unserem Team inne hatte. Das war so ein Moment.
Oben angelangt setzte Jack mittels zweier weiterer Granaten, die er aus dem persönlichen Vorrat von Blaine entwendet hatte, ein halbes Dutzend PNGler außer Gefecht, bevor wir auf Aaron Mitchell aka "Der verrückte Xeric" trafen. Ein gezielter Schlag von Jack auf den Kopf des Anführers, der dabei bedenklich knackte, setzte ihn außer Gefecht.
Drei von sechs erledigt.
Ich legte ihm noch den von Umschlag, den wir von Charlie erhalten hatten, in den Schoß, als eine Tür aufging und ein in einen schwarzen Umhang gekleideter, fast kahlköpfiger, spitzohriger Mensch den Raum betrat.
"Kniet nieder vor dem großen und mächtigen Magier des Todes!", donnerte er uns eine unangemessen großspurige und langatmige Ansprache entgegen.
Jack glotzte so verdutzt, dass ich nicht anders konnte und lauthals loslachte.
"Ein einziger Blick vermag alles Leben aus euch entfleuchen zu lassen. Kniet nieder, Unwürdige!" Hatte ich bereits "großspurig" erwähnt?

Shadowtalk Pfeil.png Das war aber auch echt blöd. Einen axtschwingenden Troll hält man nicht mit Gelaber auf, sondern mit einem

a) Geschoß aus einer Panther,
b) Raketchen, bevorzugt AFR,
c) Manaball (mehr heftig, mehr gut).

Nichts davon hatte der Aushilfs-Gandalf in seiner Kutte. Was dann passierte, war nicht ganz überraschend.
Shadowtalk Pfeil.png --Silencio

Jetzt hatte Jack genug. Ein Frontalzusammenstoß mit seiner Faust verwandelte das Gesicht des "Magier des Todes" aka Allair in einen Todesacker.
Vier von sechs erledigt.
Wir machten kehrt und hörten Pistolenschüsse von unten.
Cloud hatte, nachdem er JD und das Mädchen aus dem Gebäude gebracht hatte, Position am Eingang des Hauptversammlungsraums der PNG bezogen, aus dem nun auf ihn gefeuert wurde. Als er bemerkte, dass wir zu ihm aufschlossen, war er das in Deckung gehen leid, richtete sich auf und hielt sein LMG in den Raum. Wenige kurze Salven ließen die Gegenwehr erlöschen. Wir stürmten den Raum, als ein blendend heller Blitz uns die Orientierung nahm.
Schritte. Zwei kurze Salven aus einem LMG. Dann legte sich Clouds Hand auf meine Schulter.
"Alles klar bei euch? Die Jungs haben nicht mit meiner Blitzlichtkompensation gerechnet."
Während Jack und ich von der Blendgranate voll erwischt worden waren, hatten Clouds Cyberaugen fast alles kompensiert und ihm erlaubt, die letzten beiden Führungsmitglieder der PNG auszuschalten.
Langsam kehrte meine Sehfähigkeit zurück. Ein Blick auf die Uhr. 78 Sekunden seit Eindringen in das Gebäude. Sehr gut! Wir schnitten den entthronten Führungsmitgliedern noch ihre falschen Ohrenspitzen ab und machten, dass wir davon kamen.

Timecode (30-07-2053 / 04:15:00)

Nachdem wir John Doe bei meinem Strassendoc vorbeigebracht hatten, trafen wir uns mit Charlie, unserer Auftraggeberin, und erhielten wie vereinbart die restliche Kohle inklusive aller Boni. Interessanterweise hatte sie uns bei dem direkt im Anschluss an unseren Run geführten Telefonat darum gebeten, die Ohren zu kühlen und war nun mehr als erfreut zu sehen, dass wir ihrer Bitte nachgekommen waren. Ich konnte mir zwar beim besten Willen nicht vorstellen, welche weitere Verwendung man für abgeschnittene, künstliche Ohrspitzen haben könnte, sollte es aber bald erfahren.


Vergangenheit

Timecode (30-10-2053 / 03:30:00)

Nachdem wir es den Sommer über etwas ruhiger hatten angehen lassen, schliesslich hatten wir bei dem Sylvan-Run unerwartet gut verdient, war es an der Zeit, die Fühler nach einem neuen Job auszustrecken.
John Doe hatten wir noch im August, nachdem er sich von den Verwundungen, die er sich bei der PNG zugezogen hatte, erholt hatte, zum vollwertigen Teammember ernannt und dies auch gleich in der Sports Bar ordentlich begossen.
Ich selbst hatte einige Upgrades, die mir schon länger vorschwebten, durchführen lassen und war nun bereit, sie unter Einsatzbedingungen zu testen. Jack war sowieso immer einsatzbereit und Cloud und JD schienen ihre anfängliche Aversion gegeneinander langsam beigelegt zu haben.
Es war also einfach genau der richtige Moment, den sich diese drei Mietschläger ausgesucht hatten, um in der uns mittlerweile lieb gewordenen Sports Bar morgens um halb vier aufzutauchen und mit Bildern von uns rumzuwedeln.
Jack stieg behäbig von seinem Barhocker, legte zweien der überraschten Hoschis jeweils einen seiner kunstmuskelbepackten Arme auf die Schulter und beschleunigte ihre Os frontale auf gegenläufigem Kurs auf derselben Bahn. Das Ergebnis sah unappetitlich aus und ließ dem Dritten im Bunde das Blut aus dem Schädel in die Beine fließen und umkippen.
"Kennt ihr die Pfeifen?" Jack hatte alle drei außer Gefecht gesetzt und hielt nun einen kleinen versiegelten Umschlag in den Händen.
"Nie gesehen, die Nulpen." JD hob den Arm eines der Bewusstlosen und liess ihn achtlos zu Boden plumpsen. "Denen haste aber sauber eine mitgegeben, Jack."
Cloud hob nur fragend die Schultern, und auch mir kamen die Gesichter der drei nicht bekannt vor.
"Okay, aber irgendwer muss sie auf unsere Spur gesetzt haben. Stehen unsere Namen drauf." Jack reichte mir den Umschlag.
Tatsächlich standen auf diesem mit vielfarbiger Tinte und in verschnörkelten Schriftzügen unsere vier Namen. Ich öffnete vorsichtig den Umschlag und entnahm ihm eine weiße Karte mit einem filigranen Wasserzeichen. Darauf war in selber Handschrift und mit selber Tinte wie auf dem Umschlag zu lesen:

Ort: Nachher
Zeit: Heute abend um neun
Grund: Ein Angebot

Klang irgendwie nach einem Job, aber wieso schickte jemand, für den wir arbeiten sollten, solche Dilettanten?
"Kann einer von euch was damit anfangen?" Ich blickte fragend in die Runde.
"Nachher? Klingt nach 'ner Bar, würde ich sagen." Cloud bemühte bereits seinen Taschensekretär, konnte jedoch auf Anhieb nichts finden.
"Wir hören uns mal um und treffen uns gegen 1800, würde ich vorschlagen." JD schien gewillt, den Abend zu beenden, und da mit den anderen auch nicht mehr viel los war, tranken wir aus und gingen.

Timecode (30-10-2053 / 20:55:00)

Ein wenig Nachforschung hatte enthüllt, dass es sich beim "Nachher" um einen privaten kleinen Club wenige Blocks von der Washington-Universität entfernt handelte. Nicht teuer, aber exklusiv. Ein Hauch von Snobismus lag in der Luft, als wir am Ende der Kellertreppe vor einer massiven Eichentür Halt machten.
Man schien uns zu kennen, denn der Türsteher liess uns ohne weiteres ein, und wir wurden durch einen Raum, der aussah, als wäre in ihm gerade eine Bombe explodiert, zu einem der Tische geführt. Lose von der Decke herabhängende Kabel und Rauch verstärkten den Eindruck, in eine Krisenzone gelangt zu sein, während scheinbar ferne Blitze das schummrige Dunkel des Clubs kurz erhellten.
Am Tisch erwartete uns eine Lady. Ihr gesamtes Gehabe und die beiden Bodyguards am Nebentisch sprachen eine klare Sprache: Konzern!
"Setzen Sie sisch, wenn sie möschten. Isch freue misch, dass sie meine Einladung angenommen 'aben."
Ihr offenbar europäischer Akzent liess mich kurz aufhorchen. Französisch? Ich bemerkte die Spitzen ihrer Elfenohren, die aus ihren elegant frisierten, blonden Haaren hervorschauten und fragte mich kurz, wie sie wohl ohne Konchic aussähe.
Wir nahmen Platz und sie sagte ihren Spruch auf. Sie hatte es wirklich drauf, und zwischenzeitlich hatte ich manchmal das Gefühl, sie meinte, was sie sagte. Im Wesentlichen lief es darauf hinaus, dass wir in die ADL reisen sollten, um ein überfälliges Buch zurück zu holen. Nebenbei sollten wir noch ein versiegeltes Köfferchen - garantiert ungefährlich - anstelle des Buches zurücklassen. Irgendwie klang das, als habe sich rumgesprochen, dass wir mit unseren letzten Runs gute Arbeit hingelegt hatten.
Die Reisearrangemants waren bereits getroffen. Einziger Haken: es sollte morgen früh um 0600 losgehen, und wir müssten auf unsere gewohnte Ausrüstung verzichten. Blondie bot uns 40K NY pro Person, aber JD konnte sie noch auf 45 hochtreiben. 50K gab es als Anzahlung sofort, den Rest sollte es bei Ablieferung des Buches geben. Wir waren natürlich dabei und kamen zu den Details des Runs.
Blondie zeigte uns das Köfferchen. Graues Aluminium, ca. 20*25cm, nicht viel größer als ein kleines Schmuckkästchen. Laut Aufschrift bestückt mit medizinischen Gütern. Eine digitale Anzeige zeigte den Wert "250" und aus einem kleinen Ventil an der Unterseite kamen ab und an kleine weisse Wölkchen, die sich schnell auflösten.
"Keine Sorge, es 'andelt sisch lediglisch um eine Kühlfunktion, die den In'alt schützen soll", begegnete Blondie unseren skeptischen Blicken.
"Okay, und was ist das für ein Buch, das wir besorgen sollen?"
Blondie verstaute das Köfferchen wieder in ihrer Aktentasche, was uns ein wenig verwunderte. Sollten wir es nicht abliefern?
"Es 'andelt sisch um ein mittelalterlisches Manüskript, beina'e 15cm dick, gebunden in 'olz und etwa 30cm im Quadrat gross. Es trägt den Titel "Pandaemonicus Faustus" und den Untertitel "Collectanea Occultica". Beide sind in den Umschlag des Buches eingeprägt. Der Umschlag zeigt den Erzdämonen Asmodeus, gemalt in einer alten Teschnik, welsche die blutrote Tinte nach wie vor nass erscheinen läßt."
"Klingt irgendwie unheimlich. Brauchen wir da nicht 'nen Magier?" wollte Jack wissen.
"Keine Sorge, das Buch selbst stellt keinerlei Gefahr dar, dennoch möschte isch Sie bitten, außerordentlisch vorsischtig mit dem Werk umzuge'en, da es aufgrund seines Alters extrem empfindlisch ist. Es befindet sisch momentan in der persönlischen Bibliothek des Barons von Waldmünschen, von wo aus sie es extra'ieren sollen. Das Köfferschen stellen Sie einfach anstelle dessen dort ab."
Nachdem wir die Details des Transfers nach Waldmünchen besprochen hatten, die unter anderen solch unangenehme Dinge wie "Sie können keine ihrer gewohnten Ausrüstung mitnehmen, werden aber vor Ort in ausreichendem Maße von mir ausgestattet" oder "Es ist notwendig, dass sie während des Transfers Cyberwareunterbrescher tragen" beinhaltete, machten wir uns auf, die letzten Stunden vor dem Abflug zu geniessen.

Timecode (04-11-2053 / 17:55:00)

Endlich fuhr der Zug in Waldmünchen ein. Die letzten Tage waren ein ordentliches Chaos gewesen. Noch auf dem Flug von Seattle nach Berlin, ADL, war es zu einem unliebsamen Zwischenfall gekommen.
Eine Gruppe Idioten, die sich "Vereinigung der Schicksaladler" getauft hatte, war zu der Überzeugung gelangt, wir wären ein wichtiges Ziel. Die Schwachköpfe zündeten gerade zu Beginn der Schwerelosigkeitsphase des Transorbitalfliegers eine Rauchgranate und fielen über uns her. Dummerweise kam Jack mit der einsetzenden Schwerelosigkeit alles anderes als gut zurecht und gab den Inhalt seines Seattler Frühstücks, ich schätze zwei Kilo Bohnen mit einem Kilo Speck, von sich. Die in der Schwerelosigkeit davontreibende Kotzeblase traf den ersten der Angreifer mitten ins Gesicht. Das gab Cloud die notwendige Zeit, seinen Gurt zu lösen und seine Cyberklingen hervorschnellen zu lassen.
Vor meinem inneren Auge sah ich schon seine Handgelenke explodieren. Man hatte uns sicherlich nicht umsonst davor gewarnt, unsere Cyberware zu aktivieren, nachdem man uns die entsprechenden Armbänder umgelegt hatte. Die Fluggesellschaft war sogar so nett, einen kleinen Einspieler zu zeigen, der das Resultat einer solchen Explosion offenbarte. Aber nichts geschah. Zumindest nicht Cloud.
In einer eleganten, die Schwerelosigkeit ausnutzenden Bewegung, schwang sich Cloud über den Sitz und rammte dem sich Trollkotze aus den Augen wischenden Angreifer seine Klingen in den Hals. Ein feiner, roter Sprühregen verwandelte sich in kleine, rote Perlen, die durch die Kabine trieben. Cloud machte einen Salto über den ausgeschalteten Angreifer und sprang, die Füße voran, in Richtung eines weiteren Lebensmüden. Leider hatte er seinen Schwung nicht gut berechnet, so dass er gegen die Kabinenwand knallte und sich dabei einen Knöchelbruch zuzog.
Ich schaute noch immer fasziniert nach den roten Perlen, die begannen, ein abstraktes Muster an der Kabinenwand zu bilden, als Jack trotz deutlichen Anzeichen von Übelkeit einen weiteren Angreifer, der nicht einsehen wollte, dass er mit seinen Spornen keinen Eindruck bei ihm schinden konnte, in den Schwitzkasten nahm und einem Dritten deutete, sich ruhig zu nähern. Plötzlich schoß ein Netz aus dem durch die Granate hervorgerufenen Rauch und hüllte Jack ein. Gemeinsam mit dem im Schwitzkasten befindlichen Angreifer wurde er zu einem netten kleinen Paket verschnürt, was sein Gegenüber nutzte, um ihm mit den Spornen die Weichteile zu löchern. Keine gute Idee!
Ich hatte ja schon immer meine Zweifel an der Reissfestigkeit der Netze gehabt. Nun wurden sie bestätigt. Mit einem Schmerzensschrei zeriss Jack das Netz, als wäre es Spinnweben und landete einen Zwei-Hand-Jackhammer bei seinem Widersacher. Irgendwie erinnerte ich mich plötzlich wieder an angedaute Bohnen mit Speck.
Das beherzte Eingreifen einer Luftpolizistin machte dem Durcheinander ein Ende. Ich konnte Jack mit Mühe und Not davon abhalten, auf sie loszugehen, als sie offenbarte, dass sie das Netz abgeschossen hatte, aber immerhin sprang für uns eine kostenlose Behandlung im an den Flughafen angegliederten Hospital bei der Sache heraus.
So kam es, dass wir erst am Morgen des 04.11.2053 Berlin mit dem Transrapid verlassen hatten, um in Nürnberg in ein Gefährt umzusteigen, dass wirkte, als sei es aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende. Unterwegs erhielten wir dann noch die eine oder andere Lektion in moderner Zugräuberei, als wir von den verschiedensten Milizen/Zollbeamten/Söldnern nach zu verzollenden Gütern befragt wurden oder auch einfach nach einer "Durchreisegebühr" verlangt wurde.
Nun endlich aber fuhren wir in den Zielort ein, und ich konnte meine Bedenken bezüglich der Zuverlässigkeit der alten Diesellok getrost vergessen. Waldmünchen bot einen ungewohnten Anblick. Auf den Straßen und Feldern, die den kleinen Ort umgaben, sah man Leute in Lederhosen und Hemden, die wirkten, als seien sie zweihundert Jahre aus der Vergangenheit. Das Dorf selbst lag malerisch, umgeben von mehreren Bergen, auf dessen höchstem Gipfel das Schloss des Barons lag. Dominiert wurde das Dorf durch sein Rathaus und die alte Kirche, umgeben von mittelalterlich wirkenden Häusern, aber das Irritierendste war das Fehlen jeglicher Form von moderner Zivilisation: Keine Werbung, keine Neonreklame, keine Graffitti.
Am Bahnsteig nahm uns ein Begrüßungskomitee bestehend aus der blonden Tourismusdirektorin des Ortes, Goldi Schönbauch, und einigen Soldaten in Empfang. Sie verhalf uns zu unseren Gepäck und sorgte für unsere Unterbringung in der Jugendherberge des Ortes. Sie schien uns für normale Touristen zu halten und überschwemmte uns mit Tips zur Freizeitgestaltung und Bergtouren.
Nachdem wir sie endlich losgeworden waren, öffneten wir mit leichtem Unbehagen und gleichzeitiger Vorfreude das von unserem Auftraggeber vorausgeschickte Gepäck.
In der mit der Aufschrift "Zuerst öffnen" versehenen Kiste fanden sich neben vier Ares Predator mit Schalldämpfern das Alu-Köfferchen, ein Taser, zwei Magschlossknacker, ein Wanzenscanner, ein White-Noise-Generator, Micro-Tranceiver, sowie einiges an Muntion und anderem Kleinkram.
Natürlich griff jeder von uns nach einer Waffe, kontrollierte ihre Funktionalität, lud sie durch und steckte sie ein.
Mit dem Gefühl, nicht mehr ganz unbewaffnet zu sein, öffneten wir die weiteren Gepäckstücke. Nach einer Viertelstunde hatten wir uns einen Überblick über das uns zur Verfügung stehende Material verschafft und waren einigermaßen zufrieden. Wir hatten ausreichend Waffen und Munition, um einen kleinen Krieg anzufangen und waren, dank eines Granat- und des Rakwerfers mit vier AFR sogar in der Lage, es mit schwerem Gerät aufnehmen zu können. Daneben waren wir mit einer Kletterausrüstung und geeigneter Kleidung für die herschenden Witterungsbedingungen ausgestattet - immerhin war es Anfang November und auch wenn es im Dorf selbst noch relativ warm war, waren die Berge um uns herum schneebedeckt.
"Ist euch aufgefallen, dass es eine Seilbahn zum Schloss gibt?" Während Jack noch dabei war, den Rakwerfer wieder zu verstauen, hatte Cloud bereits eine erste Bestandsaufnahme der Umgebung gemacht.
"Gesehen ja und dann gleich wieder gestrichen." entgegnete JD. "Dürfte für uns nicht in Frage kommen. Ich gehe davon aus, dass die ordentlich überwacht wird. Außerdem habe ich wenig Lust, an einem Stahlseil zu hängen, wenn irgendwo ein Alarm losgeht."
"Stimmt schon, aber vielleicht kann man sie ja für den Abgang im Auge behalten? Wir sollten uns auf jeden Fall erstmal im Dorf umsehen. Nach Möglichkeit unauffällig. Momentan hält man uns wohl für dumme UCAS-Touristen, die einfach neugierig sind. Lasst uns das ausnutzen."

Timecode (07-11-2053 / 20:30:00)

Das erste, was wir über Waldmünchen in Erfahrung gebracht hatten, war, dass es hier absolut keine Fahrzeuge zu mieten gab. Wir waren also auf "Laufarbeit" im wahrsten Sinne des Wortes angewiesen.
Dies war innerhalb des Dorfes nicht weiter wild, da man es innerhalb von 20 Minuten bequem durchlaufen konnte. Die Annäherung an das Schloss stellte aber eine ganz andere Herausforderung.
Am zweiten Tag unserer Anwesenheit war es zu einem "Test der Verteidigungsanlagen", wie es ein Dörfler nannte, gekommen, als eine vom Schloss abgefeuerte Rakete eine Drohne zerstörte. Wie man uns erklärte, war dies Teil eines fast schon rituellen Wettstreits des Barons von Waldmünchen und einem gewissen Grafen Eisenstein, der wöchentlich eine solche Überwachungsdrohne schickte, die mit schöner Regelmäßigkeit von den Luftabwehrraketen des Barons abgeschossen wurde. Annäherung aus der Luft fiel damit aus.
Wie sich heraustellte, behielt JD mit seiner Einschätzung der Seilbahn Recht, und wir strichen sie schnell aus unserer Planung. Die verschneite Bergstraße bot zwar einen vernünftigen Weg zum Schloss, ließ sich aber aufgrund der regelmässigen Drohnenüberwachung nur schwer für eine heimliche Annäherung nutzen. So kam es, dass wir uns für die Klippe, die direkt unterhalb des Schlosses endete, als Weg hinein für uns entschieden. Cloud und JD hatten einen Nachmittag damit verbracht, ihre Kletterkünste zu üben, während Jack dies für nicht notwendig erachtete. Ich selbst hatte ein Auge auf die von Johnson gelieferte Kletterausrüstung geworfen und war zu dem Schluss gekommen, dass sie mehr als ausreichend für unser Vorhaben war.
Wir hatten gegen 1600 unsere Sachen zusammengepackt und uns aus der Jugendherberge verabschiedet, um angeblich zwei Tage Klettern zu gehen. Die Einheimischen warnten uns noch davor, eine Nacht in den Bergen zu verbringen, da es nachts bereits deutliche Minustemperaturen gab und Städter wie wir dies sicherlich nicht vertragen würden. Auch Goldi, die in meinen Augen ihren Tourismusposten dazu nutzte, stets ein Auge auf Fremde im Dorf zu werfen, musste ihren Senf dazugeben und riet uns von einer geplanten Übernachtung ab. Wir gaben uns als unbelehrbare Amis, was uns sofort abgenommen wurde, und machten uns dennoch auf den Weg.
Nachdem wir das Dorf verlassen hatten, kamen wir in einem großen Bogen zum Fuß der Klippe unter Schloss Waldmünchen zurück. Die Sonne war bereits untergegangen und leichter Schneefall hatte eingesetzt. Nachdem wir unsere Karabiner in die Kletterausrüstung eingehakt hatten, begannen wir den Aufstieg. Cloud kletterte vor und trieb Haken in die Klippe. JD folgte, dann kam ich und schließlich Jack, der als Schwerster der Gruppe logischerweise den Abschluss bildete.
Das war vor ungefähr anderthalb Stunden gewesen und jetzt hingen wir ca. 200m über dem Boden in dieser halbgefrorenen Felswand und wehrten uns gegen den zunehmenden Schneefall.
"Jungs, da kommt was", kam über Microtranceiver von Jack. Er hatte als Letzter der Gruppe die Aufgabe übernommen, nach Drohnen und sonstigen Überwachungssystemen Ausschau zu halten.
"Keine Sorge, der Schnee sollte uns ausreichend tarnen, aber vielleicht machen wir eine kurze Pause." Meine Finger waren trotz der schützenden Handschuhe ordentlich durchgefroren.
"Wenn ich das richtig einschätze, haben wir ungefähr die Hälfte", meinte Cloud.
"Und jetzt Funkstille, sonst kriegt die Drohne uns nicht wegen der Körperwärme, sondern wegen unserem Gelaber." JD sprach aus, was mir auch gerade durch den Kopf ging. Cloud und Jack schienen zu einem ähnlichen Schluss gekommen zu sein, denn die nächsten Minuten kam nichts mehr über Funk. Im mittlerweile dichten Scheetreiben erkannte ich die "verwaschene" Wärmesignatur einer mittelgroßen Flugüberwachungsdrohne, der es offensichtlich nicht gelang, uns aufzuspüren, da sie ihren Flug unbeirrt fortsetzte.
"Okay, weiter", gab ich durch, als sie in der Ferne verschwand.
Es dauerte weitere zwei Stunden, bis wir am Schloss angelangt waren. Die Drohne war uns noch mehrfach begegnet, hatte uns aber anscheinend nicht entdeckt. JD war einmal abgerutscht und einige Meter gefallen, bevor er mit einem ordentlichen Schwung gegen die Felswand geknallt war. Die Sicherheitsleine hatte zwar verhindern können, dass er zu Tode stürzte, er hatte sich aber eine schwere Prellung am rechten Arm zugezogen. Nicht schön, aber nicht zu ändern.
Cloud war bereits unterwegs, um eine geeignete Stelle zum Überwinden der sieben Meter hohen Außenmauer zu finden. Ich machte mir Gedanken über Spuren im Schnee, die wir hinterlassen würden.
"Scheint so, als hätten wir mal Glück. Keine Wachen an diesem Teil der Außenmauer, und wenn wir uns nicht ganz dumm anstellen, sollten wir den Kameras ausweichen können." Cloud klang fast euphorisch.
"Na dann!" Jack hob die Enterpistole und setzte das Seil direkt unter die mit Zinnen versehene Aussenkante der Mauer.
JD mühte sich ein bißchen, aber wir gelangten unbemerkt auf die äussere Mauer, nur um die innere Mauer mit ihren gut 20m Höhe vor uns aufragen zu sehen.
"Klettern oder kämpfen?" kam über Funk.
"Wir sollten möglichst lange unbemerkt bleiben, also klettern wir?" Ich schaute fragend zu JD, der nickend sein Einverständnis gab.
"Jepp, aber runter", warf Jack ein. Er deutete auf ein Tor im Hof, welches unbewacht zu sein schien.
Irgendwie gefiel mir das nicht. Ein paranoider Schlossherr und keine Wachen an den Türen? Aber es war eine Einladung, die wir nicht ausschlagen konnten.
"Roger, wir gehen durchs Tor", entschied ich.
Wir seilten uns die sieben Meter in den Hof ab und lauschten am Tor. Totenstille. Durch den starken Schneefall wurden alle Geräusche gedämpft, Vor- und Nachteil in einem. Wir luden unsere MPs durch und Jack entsicherte den mit Rauchgranaten geladenen Granatwerfer. JD versuchte, das Tor zu öffnen. Es war nicht verriegelt. Meine Alarmsirenen gingen los, aber um mich herum blieb alles ruhig. Nacheinander betraten wir den Innenhof und gingen neben einer kleinen Kirche in Deckung.
Cloud machte die Aufklärung. Zwei Wachen schienen regelmässig, aber nicht ständig, ihre Spuren in den Schnee des Innenhofes zu trampeln. Auf den Mauern des Innenhofs entdeckte Cloud insgesamt vier weitere Wachen, die sich aber anscheinend lieber in den geschützten Türmen als auf dem Wehrgang aufhielten. Vier Fahrzeuge standen auf dem Burghof. Drei von der Klasse eines Ford Americar und ein Mitsubishi Galaxy. Kein Zeichen von Alarm.
Dennoch, meine privaten Sirenen wollten nicht ausgehen.
JD öffnete die Tür des Haupthauses und Wohnsitzes des Barons, in welchem wir das Buch zu finden hofften. Hier abzuschließen, erschien mir zwecklos, so dass der unverschlossene Zustand der Tür mich nicht weiter beunruhigte.
Wir traten ein und schienen in einem Mittelalter-Trid gelandet zu sein. Schwere dunkle Teppiche auf dem Boden, handgemalte Gemälde und Teppiche mit Bildern an den Wänden, dazwischen aufgestellte Ritterrüstungen und alles erhellt mit Fackeln an den Wänden.
"Lasst euch nicht einlullen. Wir haben gesehen, dass er über modernste Waffentech verfügt. Nur weil hier alles aussieht wie bei Uroma, heisst das gar nix." irgendwie wurde ich dieses ungute Gefühl nicht los.
Jack blieb vor einer eine Hellebarde tragenden Ritterrüstung stehen. "Was issn das? Irgendwie gefällt mir das", jubelte er.
"Lass die Finger von der Einrichtung. Das ist eine Hellebarde und wir sind beruflich hier", erinnerte ich ihn an unseren Job.
"Mann, Silencio, läuft doch alles super hier. Entspann dich! Ich nehm's als Andenken mit, okay?"
Ich verdrehte nur die Augen, abhalten würde ich ihn eh nicht können.
Ohne weitere Zwischenfälle gelangten wir bis zur Bibliothek des Barons. Ein Raum voller Regale mit echten Büchern an den Wänden, geheizt durch ein knisterndes Kaminfeuer, mit einen unbezahlbaren Kronleuchter an der Decke. Ein antiker Globus und ein Lesepult, auf dem ein dickes Buch in einem hölzernen Einband lag, waren neben einer primitiven Steinstatuette die einzigen Einrichtungsgegenstände. Mit wenigen Schritten war ich beim Lesepult.
"Pandaemonicus Faustus Untertitel Collectanea Occultica! Wir haben es!" Plötzlich wurde mir heiss.
"Das also wollten Sie! Ich bin ein wenig enttäuscht." Mit einem gemeinen Kichern auf den Lippen stand ein in mittelalterliche Kleidung gehüllter Troll mit einer mehr als seltsamen Kopfbedeckung aus buntem Stoff auf dem Kopf in der Tür. Gleichzeitig materialisierten zwei Feuerelementare in der Bibliothek, welche die beiden Sicherheitsleute des Trolls, vermutlich Baron Waldmünchen, als Bedrohung auf Platz 2 degradierten.
Cloud reagierte als Erster. Er warf das Aluminiumköfferchen, welches er gerade seinem Rucksack entnommen hatte, um es anstelle des Folianten zurück zu lassen, in Richtung Baron. Jack hieb mit seinem Souvenir nach einem der Elementare, was lediglich dazu führte, dass der uralte Holzstiel der Hellebarde in Flammen aufging.
"Bombe", kam von einem der Sicherheitsdudes.
Ich ging auf die Knie und ließ den Folianten in meinen Rucksack gleiten. JD zog seine MP und legte auf einen der Sicherheitsleute an. Seinem Kontrakt folgend, warf dieser sich gegen den Troll und beförderte diesen aus dem Türrahmen und damit aus dem direkten Schussfeld in den Flur.
"Wir müssen hier raus!" Cloud tauchte unter einem Angriff eines der Elementare weg.
Jack machte Bekanntschaft mit dem anderen Elementar und wankte dampfend einige Schritte zurück.
Ich verschaffte mir einen kurzen Überblick. Zwei Feuerelementare im Nahkampf mit meinen Chummern, mindestens zwei Sicherheitsleute und der Troll auf dem Flur davor. Wo war der verfraggte Magier? Eine Tür, ein mit Buntglas versehenes Fenster, ein Spiegel, der Kamin. Spiegel?
"JD, feuer auf den Spiegel und dann ab durchs Fenster!"
JD schwenkte den Lauf seiner MP um 90 Grad in Richtung Spiegel und gab zwei Salven in kurzer Folge ab.
Der Spiegel zersprang in Scherben und Goldi, die sich in einer kleinen Kammer hinter dem Spiegel versteckt hatte, brach getroffen zusammen.
Die Feuerelementare kehrten dahin zurück, von wo sie gekommen waren.
Cloud zerschoss das Buntglasfenster.
"Jack, wir brauchen sowas wie Deckung! JACK!?!" ich warf einen Blick auf den noch leicht qualmenden Troll "Alles klar?"
"Alles im grünen Bereich und jetzt mach ich mal Feuerchen!" Jack riß den Raketenwerfer aus seinem Trollrucksack.
"Cloud, JD beeilt euch, unser Freund sorgt für Deckung!" Ich überlegte kurz, dem Baron und seinen Sicherheitsleuten eine Warnung zukommen zu lassen, unterließ es dann aber.
Einer der Sicherheitsleute schoß blind eine Salve in die Bibliothek.
"Jungs, macht hin, die nerven hier ganz schön ab."
JD kletterte bereits an unserem mitgebrachten Seil die Aussenwand hinauf. Ich schoß zwei Mal mit meiner H&K in Richtung Tür und schwang mich dann ebenfalls nach draußen, Cloud folgte.
"Jack will nicht wirklich mit einer AFR im Gebäude rumballern?", fragte er hoffnungsvoll.
"Du kennst ihn..." eine schwere Explosion erschütterte das Schloß und riß mir das letzte Wort von den Lippen. "...doch!".
JD war auf dem Dach angekommen und hatte sofort erkannt, dass sich ein Teil des Daches einfahren ließ.
"Ich glaube, der Baron hat hier einen Landeplatz versteckt!", begrüßte er mich.
"Und wo?"
Ich sah mich um, konnte aber keinen zusammenklappbaren Landeplatz erkennen. Cloud kam über die Dachkante geklettert.
"Was ist mit Jack?", fragte ich.
"Kommt gleich!" Cloud brachte es selbst in dieser Situation fertig, optimistisch zu grinsen.
JD machte sich an einer Kontrollvorrichtung zu schaffen. Jack gelangte aufs Dach, aber ein herumfliegender Splitter hatte sich ihm bei der Explosion der AFR in die linke Schulter gebohrt.
"Ich glaub, ich kipp gleich weg", nuschelte er undeutlich.
Cloud zog den Splitter heraus und klatschte ein Patch auf die Wunde. Irgendwo unter mir sprang eine Mechanik an und ein Teil des Daches faltete sich zusammen. Aus dem Dunkel darunter kam eine Plattform mit einem Hughes Airstar gefahren.
"Kann den einer von euch fliegen?", fragte ich.
"Mach dir mal keine Sorgen." Cloud zwinkerte mit rechten Auge. "Euer Alleskönner fliegt euch nach Hause, aber lasst uns erstmal Jack verladen."
Der Troll hielt sich kaum noch auf den Beinen und musste von Cloud gestützt werden.
Wir eilten zum Helikopter, als eine Salve von irgendwoher meinen linken Fuss zerfetzte. Ich schlug der Länge nach hin, und mir wurde kurz schwarz vor Augen.
JD erwiderte das Feuer der Sicherheitsleute, die durch eine Luke aufs Dach zu gelangen versuchten.
Cloud hatte Jack fallengelassen und ebenfalls das Feuer eröffnet. Als ich meine Augen aufschlug, starrte ich genau auf Jacks Granatwerfer.
"Rein mit euch!" Ich griff nach dem Werfer, der mit Rauchgranaten geladen war.
Cloud zog Jack in den Heli. JD nahm auf dem Copilotensitz Platz und feuerte abermals auf die Dachluke.
Ich humpelte auf meinem rechten Bein in den Heli.
"Alles verladen!" Ich biss die Zähne zusammen, sammelte mich und schoss zwei Rauchgranaten direkt in die offenstehende Dachluke "Und ab!"
Der Heli setzte sich erst langsam, dann immer schneller werdend in Bewegung, während aus der Dachluke Sicherheitsleute auf das Dach vordrangen, denen aber der ebenfalls aus der Luke aufsteigende Rauch die Sicht nahm.
"Wir sind raus und haben das Buch", triumphierte ich.
"Noch nicht ganz!" kam von vorn. "Der alte Dreksack hat tatsächlich zwei seiner Boden-Luft-Raketen gestartet! Ich probier mal was." Der Heli schwenkte nach rechts und links. "Scheiße, die sind selbstsuchend! Macht euch auf 'nen Einschlag gefasst."
Der erste Einschlag folgte eine Millisekunde später und JD schlug schwer mit dem Kopf gegen die Aussenwand.
"Wir fliegen noch! Das Ding hier ist schwerst gepanzert!"
"Na super!"
Eine zweite Explosion schüttelte den Heli durch und ich verlor das Bewusstsein.

Timecode (05-12-2053 / 22:30:00)

Wir hatten Glück gehabt und Cloud hatte uns aus Waldmünchen bis nach Berlin fliegen können, wo es ihm gelang, mit der Luftpolizistin, die wir während unserer Anreise kennengelernt hatten, Kontakt herzustellen.
Nach einem fast vierwöchigen Aufenthalt in einer nicht ganz offiziellen Klinik in Berlin war mein Bein soweit wieder belastbar, dass wir die Heimreise antreten konnten. Jack hatte sich dank seiner Trollkonstitution deutlich schneller erholt und wohl die eine oder andere Nacht gemeinsam mit JD und Cloud in den Schatten Berlins verbracht.
Nachdem wir am 04.12. in Seattle gelandet waren, hatten wir Kontakt zu unserem Johnson aufgenommen und mit Blondie ein Treffen für den nächsten Tag ausgemacht.
Wir waren also voller Vorfreude auf unsere Bezahlung, als wir uns zum zweiten Mal dem "Nachher" näherten. Wie beim ersten Mal erhielten wir sofort Einlass und wurden zu Blondie geführt.
"Setzen Sie sisch, wenn sie möschten. Isch freue misch, dass sie den Auftrag erledigt 'aben." Beim zweiten Mal klang die Begrüssung irgendwie abgedroschen.
Wir nahmen Platz und ich legte den Aktenkoffer, in dem wir den Folianten transportierten, auf den Tisch.
"Isch glaube, es ist nischt nötig, dass ich den In'alt überprüfe."
Ich atmete innerlich durch. Klang genau nach dem, was meine Zwergenohren hören wollten.
"Wie mir berischtet wurde, befindet sisch das Original nach wie vor im Besitz des Barons."
Irgendeine dunkle Ahnung nahm in mir Gestalt an.
" 'aben Sie auf die von mir erläuterten Merkmale geachtet?"
FUCK!!! Ich vergaß für einen Moment meine ansonsten doch relativ guten Manieren.
Die Ahnung verwandelte sich in das blutrote Abbild des Erzdämonen Asmodeus.
Ich blickte zu meinen Chummern. "Jungs, wir gehen!"
Jack starte mich ungäubig an. JD und Cloud erhoben sich wortlos.
"Stop! Ihr wollt jetzt nicht wirklich ohne Kohle nach Hause, oder?" Jack klang fast ein bischen verzweifelt.
"Mach einfach den Koffer auf, Jack", gab ich resigniert zurück.
Jack riss den Aktenkoffer fast in zwei Hälften, aber auch das änderte nichts daran, daß auf dem Umschlag des von uns gestohlenen Folianten nicht das Abbild des Erzdämonen Asmodeus zu sehen war. Wir hatten eine Kopie gestohlen - und es war nicht einmal eine Gute.


Liebe

Timecode 11-12-2053 / 23:30:00

Der letzte Job hatte uns eine Menge Zeit und damit letztendlich auch Nuyen gekostet. So kam es, dass wir nun seid knapp 15 Minuten schweigend durch die Puyallup Barrens fuhren. Sandii, eine uns nur wenig bekannte Schieberin, hatte uns vor einer halben Stunde im Club Penumbra zu einer "Party" eingeladen und jedem von uns 250 NY in die Hand gedrückt, damit mir auch erschienen. Biz, dass war sofort klar!
Um uns keine Chance zu lassen, es uns anders zu überlegen, hatte sie uns direkt in ihren Chevy Vanguard gelotst und war in den abendlichen Stadtverkehr gestartet. Je tiefer wir in die Barrens vordrangen, umso stiller wurden wir und umso vulgärer wurden Sandii's Flüche ob der Fahrtalente der anderen Verkehrsteilnehmer. Schließlich hielt sie vor einem zweistöckigen Gebäude auf dem die Inschrift "Feuerwache 118" zu lesen stand. Die Vibrationen der drinnen gespielten Musik hätten sicherlich die Fensterscheiben des Gebäudes nach aussen gedrückt, wären diese nicht bereits zugenagelt gewesen.
"Endstation, Chummers. Johnson wird euch drinnen treffen. Er sagte, ihr sollt herumlaufen und die Party geniessen. Irgendwann heute Nacht wird er euch treffen. Habe ich schon gesagt, dass er keine Artillerie sehen will? An der Tür wird jeder gescannt. Ich schätze diese Elfen sind etwas pingelig in solchen Kleinigkeiten. Ihr könnt eure Sachen hier lassen; ich werde die Strasse rauf auf euch warten."
Schweren Herzens trennte ich mich von meinem Predator und dem Katana, beides stellte im Penumbra kein Problem für mich dar, würde hier aber die Scanner zum Leuchten bringen. Cloud und JD taten es mir gleich, nur Jack schien sich nicht wohl bei dem Gedanken zu fühlen, so ganz "ohne" auf einer Elfenparty zu erscheinen.
"Hab' dich nicht so, Großer! Du wirst dir doch vor ein paar Müslis wie mir nicht ins Hemd machen, oder?" neckte ihn Cloud.
"Grashalmknicker wie dich, puste ich zur Not auch ohne Wumme weg, aber wir sind in den Barrens und wenn Sandii nachher weg ist, wird's echt ein langer Weg nach Hause." Jack schien sich wirklich unwohl zu fühlen.
"Ich glaube kaum, dass die dich da mit deinem Hackebeil reinlassen, also lass es hier. Oder bleib selbst gleich hier, hast schon Recht, so ein paar Grashalmknicker sind keine Bedrohung für uns und wir fallen ohne dich bestimmt weniger auf."
"Ich glaube eh nicht, dass da mit Ärger zu rechnen ist, ist so 'ne Art Promo-Veranstaltung der Young Elven Technologists. Von mir aus kann Jack im Wagen warten."
"Dufte Sandii. Und im Notfall bin ich die Rückendeckung." Jack schien zufrieden mit der Lösung.

Wir verliessen den Wagen und näherten uns der alten Feuerwache. Auffallend war das Fehlen vom üblichen Strassendrek, sowohl metamenschlicher, als auch materieller Art. Die mit Drahtkörben geschützen Laternen links und rechts am Gebäude waren intakt und erhellten die Szenerie, ob die darunter montierten Kameras ihren Dienst taten, konnten wir nicht erkennen. Da wir in unserem Club Penumbra-Partyoutfit aber genau richtig gekleidet waren für eine Werbeveranstaltung eines Policlubs, machte ich mir darüber wenig Gedanken. An der Tür wurden wir einzeln mit einem Handscanner auf Waffen gescannt. Offenichtlich erfasste das Gerät Clouds Klingen nicht, denn er wurde problemlos eingelassen.
Drinnen angelangt, war klar, wer hier die Leitung übernahm. JD und ich stellten die einzigen Angehörigen unseres Metatyps oder es kam uns zumindest so vor. Was hatte ich auch erwartet: Young ELVEN Technologists.
Allerdings bot die Inneneinrichtung einen, nicht nur für Puyallup ungewöhnlichen Anblick. Wo vormals mutmasslich die Einsatzfahrzeuge der Feuerwache geparkt wurden, hatten die YET einen Wintergarten errichtet und sogar das Dach mit einem riesigen, gläsernen Fenster versehen, so daß die Bäume und Sträucher, die sie hier gepflanzt hatten, Sonnenlicht bekamen. Zwei Stege verliefen auf Höhe des ersten Stockwerks durch den Wintergarten und ermöglichten es den Sicherheitsleuten der YET, die Partygäste im Auge zu behalten. Eine breite Treppe führte im hinteren Teil des Wintergartens nach oben, aber auch ohne aufgestelltes Verbotsschild war klar, dass niemand der Gäste einfach so nach oben gelangen würde.
Wir versuchten also, als sowas wie Clouds Anhang durchzugehen und mischten uns unters Volk. Neben dutzenden von uninteressanten Gesprächsfetzen nahmen wir zur Kenntnis, dass unser Angriff auf die PNG offensichtlich den YET in die Schuhe geschoben wurde. Irgendwie fand ich Gefallen an der Idee und wollte sie weiter forcieren. Leider begegneten JD und ich dem, was wir die natürliche Arroganz der Elfen nennen und kamen einfach mit niemandem so richtig ins Gespräch. Dafür fiel JD ein besonders klassisches Model des Metatyps Nobilis ins Auge. Er kam gerade die Treppe im hinteren Teil des Wintergartens, in dem der Hauptteil der Party stattfand, herunter. Silbernes, langes Haar, gekleidet in eine lose fallende Tunika und Hosen aus echtem Leder, an der Seite ein filigranes Schwert, schien er nicht aus dem Obergeschoss, sondern direkt aus einem Fantasy-Trid zu kommen. Sein Blick traf kurz meinen und ich konnte geradzu spüren, wie ihn das Gefühl der eigenen Überlegenheit erfüllte. Er hatte etwas von einem Fürsten, der einen Blick auf seine Bauern wirft und erkennt, dass er zu etwas Besserem geboren wurde. Irgendwie bekam ich Lust auf Party-Crushing.
Cloud war mittlerweile an eine durchaus anziehende Elfe geraten, die sich bei ihm eingehakt hatte und versuchte, ihn für ihre Sache zu gewinnen. Wie Cloud berichtete, war die Kleine echt süss und er hatte, neben der Information, dass die YET Ehran in zwei Tagen erwarteten und er hier bei ihnen absteigen sollte, auch ihre Komnummer erhalten.

"Hallo, mein Name ist Johnson!" wurden wir von einer dezenten und kultivierten Stimme in unserem Erfahrungsaustausch unterbrochen.
Wir blickten in ein kantiges Gesicht, dass mit feinen, violetten Narben überzogen war und dessen Mund ein wenig zu klein schien, für die Menge an Goldzähnen, die sich darin befanden. Mr. Johnson sah sich kurz um und weihte uns dann in seine Pläne ein.
Er behauptete, die YET hätten einige Straftaten begangen und er wolle sie hierfür zur Rechenschaft ziehen. Hierzu sollten wir erstens einige Passcodes aus dem Computersystem der YET stehlen, zweitens eine Kopie der Passcodes gemeinsam mit einem versiegelten Paket auf dem Schreibtisch Ehrans, hier im Gebäude, hinterlegen und drittens einen schnellen Matrixrun gegen "Dassurn Securities and Investments" durchführen. Bei Letzterem sollten sich die gestohlenen Passcodes als nützlich erweisen, allerdings musste dieser Run aus dem System der YET heraus gestartet werden, um zu ihnen zurückverfolgbar zu sein.
"'tschuldigung, Mr Johnson, aber sind Sie sicher, mit den richtigen Leuten zu sprechen?". Ich hatte eigentlich immer gehofft diese Worte nie aussprechen zu müssen, aber ein Auftrag, der nicht nur einen, sondern gleich zwei Einbrüche in fremde Computersysteme beinhaltete, schien mir mit unseren Mitteln nicht möglich. Ich warf einen zweifelnden Blick in Richtung Cloud und JD, aber auch von dort kam keine Unterstützung.
"Ich glaube, sie bringen alles mit, was für diesen Job nötig sein wird und da ich weder Zeit, noch Lust habe mir ein anderes Team zu suchen, biete ich ihnen 35.000NY pro Person, bei Erledigung des Auftrages bis morgen Nacht." Mr Johnson schien ein bischen ungeduldig, aber es war auch echt ungewöhnlich, sich mit seinem Johnson am Ort des bevorstehenden Runs zu treffen. Vielleicht war er nur ein wenig nervös.
Plötzlich wurde es laut am Eingang.
"Meine Zeit drängt." Mr. Johnson warf einen Blick auf die teure, mechanische Uhr an seinem Handeglenk. "Ich denke wir sind uns einig?!" Es klang mehr nach einer Feststellung, als einer Frage.
"Das abzuliefernde Päckchen erhalten sie von unserer gemeinsamen Freundin Sandii. Mit ihr treffen sie sich auch nach Abschluss des Runs. Hier sind 4000NY Vorschuss für jeden von ihnen. Ich gehe davon aus, dass ihr Partner Jack ebenfalls dabei ist." Johnson drückte mir vier Credsticks in die Hand.
"Ich sage ihnen doch, ich bin Lee Corbin!", brüllte jemand am Einlass und aus dem Augenwinkel sah ich drei Trolle, den Weg in diese Richtung einschlagen. Als meine Aufmerksamkeit wieder voll bei Mr.Johnson war, war dieser plötzlich verschwunden. Ich drehte mich zu JD und Cloud um, aber beide schienen ebenso überrascht vom plötzlichen Abgang unseres Auftraggebers wie ich.
"Der Junge hat's drauf!", stellte JD fest.
"Allerdings, sich so einfach in Luft auflösen ist ein Trick, den ich auch gern drauf hätte.", stimmte Cloud zu.
Am Einlass war es mittlerweile zu einem kleinen Tumult gekommen, der sich aber schlagartig legte, als ein Elf, den Cloud, der damals die Nachforschungen über die YET betrieben hatte, als Alex Manke, Leiter der Sicherheit der YET, identifizierte, auf der Bildfläche erschien. Der vermeintliche Lee Corbin stellte sich als exakte Kopie unseres Johnsons heraus, was uns zu der Überzeugung brachte möglichst schnell von der Party zu verschwinden, bevor uns irgendjemand unangenehme Fragen stellen würde.

Timecode 12-12-2053 / 04:45:00

Nachdem wir zu Sandii und Jack zurückgekehrt waren, erhielten wir von ihr das abzuliefernde Päckchen und ließen uns zurück zum Penumbra fahren, wo wir unsere fahrbaren Untersätze früher am Abend geparkt hatten. Wir trennten uns von Sandii und fuhren zunächst zu mir, um unser weiteres Vorgehen zu planen. Jack war ein wenig besorgt, weil der Johnson seinen Namen kannte, ohne das ihm unsere Beschreibung des Johnsons irgendetwas sagte, aber die Idee bei einem Haufen Elfen für ein wenig Chaos zu Sorgen bereitete ihm offensichtlich Freude. Cloud lud die Aufzeichnungen, die er mittels seiner Cyberkamera während unseres Aufenthaltes auf der Party gemacht hatte, aus seinem Headwarememory runter und wir entwickelten recht schnell einen Plan zum Eindringen ins HQ der YET. Den Aufzeichnungen war zu entnehmen, dass die YET zwar Kameras einsetzten, um das Innere ihres HQ zu überwachen, es aber möglich schien, durch ein Fenster im hinteren Teil des Wintergartens einzudringen und zur Treppe zum 1.OG zu gelangen, ohne in den Erfassungsbereich einer dieser Kameras zu geraten und vor eben diesem Fenster standen wir nun.

"JD, wie sieht's aus?"
"Es geht nicht schneller, wenn du mich stresst, Silencio", antwortete JD, der gerade damit beschäftigt war, das Fenster zu öffnen.
Ich schaute zu Jack und Cloud, die jeweils links und rechts von mir, an einer Ecke des Gebäudes, standen und die Umgebung im Auge behielten.
"Clean!", kam von Cloud über Helmfunk, während mir Jack nur den erhobenen Daumen zeigte.
"Ich hab's!" verkündete JD wenige Sekunden später.
Ich winkte die anderen beiden herbei und ließ Cloud den Vortritt. Er kletterte behende in den dunklen Wintergarten. Jack und ich folgten ihm dicht auf, JD bildete den Abschluß.
Keine Sirenen, kein Alarm, alles sicher!
Wir erreichten die Treppe zum 1.OG, die nur wenige Schritte neben unserem Zutrittspunkt lag. JD hielt die Stellung am Fenster, während Cloud auf leisen Sohlen die Treppe erklomm. Jack hatte, kaum durch das Fenster, bereits seine geliebte Wallacher in der Hand, um eine eventuelle Opposition schnell und lautlos zu erledigen und ich hielt mit meinem schallgedämpften Predator ebenfalls nach Wachen Ausschau.
Und dann kamen sie über uns! Keine Ahnung, was uns verraten hatte, aber offensichtlich wurden wir erwartet.
Cloud erreichte das 1.OG und eine Salve aus einer MP zwang ihn in Deckung. Gleichzeitig erschienen auf den Lauftstegen über dem Wintergarten zwei Elfen und eröffneten das Feuer auf uns. Ihre Crusaders spien Blei und erhellten das sanfte gelbgrüne Licht, in das der Wintergarten getaucht war, mit ihren unheilvollen Feuerzungen. Mein Predator anwortete nahezu lautlos und Jack erklomm mit wenigen, großen Schritten die Treppe. JD's Panzerjacke bewahrte ihn vor einer Karriere als Kugelfang. Gut, dass er sich letztendlich als nicht ganz so beratungsresistent erwiesen hatte, wie ich zunächst gedacht hatte.
Cloud erhob sich aus seiner Deckung und ließ nun ebenfalls seinen Predator freundliche Rückantworten an die Elfen versenden. Der erste von ihnen ging zu Boden.
Ich schoß erneut und zwang einen der Elfen zum Rückzug. JD folgte Jack nach oben, was mich wiederum dazu zwang, meine Gedanken an einen geordneten Rückzug endgültig über den Haufen zu schmeißen.
Ein erneuter Feuerstoß zwang mich in Deckung und als ich wenige Sekunden später das 1.OG erreichte war von der Opposition nichts mehr übrig. Cloud hatte, nachdem er selbst von einer Salve getroffen worden war, seinen Gegner mit einem gezielten Kopfschuss ausgeschaltet und angesichts der Art der Überreste der anderen beiden Wachen, schien sich Jack mit seiner Wallacher dieser angenommen zu haben.
"Vorwärts!", kam von Cloud über Funk.
Im Vorbeirennen warf ich einen kurzen Blick auf ihn und musste feststellen, dass die letzte Salve seine Panzerung durchschlagen hatte und er offensichtlich verwundet worden war. Jack stand bereits einige Meter von mir entfernt an einer Ecke und checkte den dahinter liegenden Gang. JD folgte wenige Schritte hinter mir. Cloud, der trotz seiner Verwundung keinerlei Anzeichen von Rückzugsgedanken zeigte, preschte an mir vorbei, in den von Jack gecheckten Gang und direkt in den Feuerbereich eines dort lauerenden Profis. Zwei schnelle Schüsse liessen ihn ins Taumeln kommen, aber sein Schwung trug ihn noch bis zur gegenüberliegenden Wand, bevor er zusammenbrach und regungslos in sich zusammensackte.
"CLOUD!!!", hörte ich Jack's Stimme über Helmfunk, dann stürmte auch er, die Wallacher angriffsbereit über den Kopf erhoben, um die Ecke.
"Nein, Jack!" brüllte ich, doch es war zu spät, ein Strahl magischer Energie traf ihn und ließ die Wallacher aus seine Fingern gleiten.
"Wir müssen hier raus.", hörte ich JD über Funk.
"Nicht ohne Cloud!", gab ich kurz und bestimmt zurück.
"Okay, auf 3! 1....2....3!"
JD und ich kamen gleichzeitig um die Ecke. Während ich einen der Gegner in Deckung zwang, versuchte JD Cloud zu schultern, als ein weiterer knisternder Strahl magischer Energie ihn erfasste. Ich schoß auf den Magier und gab Jack und JD so die Möglichkeit, Cloud aus dem Gefahrenbereich zu bergen. Dann erwiderten unsere Gegner das Feuer mit Blei und Mana.
Irgendetwas davon traf JD und ließ ihn zusammenzucken. Zwei weitere Schüsse aus meinem Predator verschafften uns die Sekunden, die wir brauchten, um die Treppe zu erreichen.
Einer inneren Eingebung folgend riß ich das Päckchen, welches wir auf Ehrans Schreibtisch hinterlassen sollten, auf und starrte auf den Einband eines uns bekannten Buches: Pandaemonicus Faustus.
FUCK!!!
In was waren wir hier hineingeraten?
Einem Frisbee gleich, warf ich den Buchdeckel von mir und gab gemeinsam mit meinen Chummern Fersengeld.

Timecode 12-12-2053 / 05:10:00

Dr.Pille konnte nur noch bestätigen, was uns allen insgeheim eh schon klar war. Cloud hatte das Zeitliche gesegnet und nichts und niemand konnte noch etwas für ihn tun. Aber er konnte noch das Eine oder Andere für uns tun. Der Doc scannte seine Cyberware und machte uns ein Angebot, dass wir nicht ausschlagen konnten. Rund 300K NY würden seine Einbauten bringen, sofern wir bereit wären, diese dem Doc zur Weiterverwertung überlassen. Da keinem von uns der Sinn nach feilschen um die Überreste unseres Teamkollegen stand und wir auf die Hilfe des Docs angewiesen waren, stimmten wir zu und machten so letztlich doch noch Profit bei einem Run, der komplett in die Hose gegangen war.


Intermedium[1]

Timecode 20-12-2053 / 17:15:00

Die Trauerfeier für Cloud fand in kleinem Rahmen statt. Außer Jack, JD und meiner Wenigkeit war eigentlich nur mein Strassendoc anwesend, der, nachdem er alle verwertbaren Teile aus unserem ehemaligen Chummer geschnitten hatte, für die Verbrennung seiner Überreste aufkam.
Jack war sichtlich gerührt, als er seinen Anteil am “Erbe” erhielt.
“Wenn ich mal draufgehe, will ich, dass ihr aus mir alles rausholt, was noch brauchbar ist und euch mit der Kohle die Jungs schnappt, die mir das eingebrockt haben!”
“Versprochen, Jack!”, kam es nur mit einem gehörigen Maß an Selbstbeherrschung einigermaßen verständlich über meine trockenen Lippen.
“Ehrensache!” JD verdrehte zwar die Augen über die dahinter steckende Logik, konnte aber in dem Moment auch nicht anders.
“Jetzt werdet mal nicht unnötig weich”, warf Dr.Pille ein. “Ihr habt ein paar Runs mit ihm gemacht, klar, und er war echt ein zuverlässiger Kerl. Aber mal ganz unter uns, bei der Menge an Drähten im Körper, war es ein Wunder, dass er sich nicht schon längst in einem Anfall mit seinen Klingen selbst die Rübe abgeschnitten hat!”.
“Halt’s Maul und gib uns die Kohle!”, waren die letzten Worte, die mein Doc für lange Zeit von mir hörte.

Timecode 21.12.2053 / 21:35:00

JD hatte uns für den nächsten Abend in die Sports Bar in Downtown geladen und natürlich war keiner von uns abgeneigt, dass eine oder andere Bierchen zu Ehren unseres verstorben Chummers zu leeren. Außerdem hatte JD etwas von einer Überraschung gesagt, und auch wenn sich Überraschungen für einen Runner im Regelfall negativ auswirken, war ich ein wenig gespannt.
Als ich eintraf, hatte JD bereits einen Ecktisch mit halbrunder Sitzbank für uns reserviert, und die erste 5-Liter-Bierkaraffe stand wartend auf dem Tisch.
“Silencio. Schön, dass du gekommen bist.” JD schien einen Moment in alte Konzernphrasen zurückzufallen. Ich hob nur kurz zum Gruss die Hand, setzte mich und goss mir ein erstes Pint ein.
Jack kam nur wenige Augenblicke nach mir, und ich fragte mich kurz, ob er draußen in den Schatten gestanden hatte, um sich davon zu überzeugen, dass ich auch wirklich erschien. Ich konnte es ihm nicht verübeln: der Credstick mit den Nuyen, die wir für Clouds Hardware bekommen hatten, schien zentnerschwer, und ich selbst hatte kurz darüber nachgedacht, dem Team den Rücken zu kehren.
“Jack, nimm dir ein Bier und spül’ den bitteren Geschmack runter!” Irgendwie schien JD das Ganze nicht so mitzunehmen wie uns, aber er hatte zumindest Verständnis für unsere Lage.
“Ich wusste nicht, ob ihr kommen würdet, aber ich bin froh, dass ihr da seid! Ich habe einen neuen Job für uns an Land gezogen…” – er unterbrach sich, und es schien, als würde JD unsere Reaktion abwarten, bevor er fortfahren wollte.
“Hi Folks!”, tönte es plötzlich hinter uns.
Ich hob den Kopf und wandte den Blick, der bisher auf den Grund des Glases gerichtet war, auf den Neuankömmling. Schmutzig grau-grüner Trenchcoat, beide Hände tief in den Taschen vergraben, knapp über 1.80m groß, blasser Teint und Augen eines Raubtiers. Irgendwie lief es mir kalt den Rücken hinunter.
“Du bist zu früh!”, begrüßte JD den Neuankömmling. Er wandte sich an uns: “Das ist Ator. Ator Gilla. Ich weiß, der, ähm, Zeitpunkt ist etwas unglücklich, aber ich habe schon seit Längerem meine Fühler nach magischer Unterstützung für unser Team ausgestreckt…”.
Jetzt war ich voll da. Magische Unterstützung? Was hatte der Kerl drauf?
“Setz dich erstmal und nimm dir ‘n Bier, Ator.” Jack rutschte ein Stück und bot der unbekannten Zauberkugel einen Platz an unserem Tisch an.
“Wenn du nichts dagegen hast, Grosser, nehm ich den Stuhl hier.” Ator schnappte sich den einzelnen Stuhl, der an unserem Tisch wie für ihn vorbereitet stand, drehte ihn herum und setzte sich, die Hände nun auf der Rückenlehne ablegend, darauf.
“Okay,” flüsterte ich JD zu. “An Ego mangelt es dem Jungen schon mal nicht.”
“Und er kennt sich aus in dem was er tut, zumindest soweit ich gehört habe.”
Ich streckte Ator die Hand entgegen. “Ich bin Silencio.” Sein trockener, fester Handschlag sprach für einen Mann mit ausgesprochenem Selbstbewusstsein.
“Jack…”, gurgelte Jack irgendwie am Rand der 5-Liter-Bierkaraffe vorbei, die er gerade angesetzt hatte, um sie allem Anschein nach in einem Zug zu leeren.
“Keine Umstände, Jungs. JD hat mir von eurem Verlust erzählt und auch, dass ihr schon vorher ‘ne Lücke im Team hattet. Ich kann zwar euren Chummer nicht ersetzen, aber vielleicht eure Lücke schließen.”
Im Laufe des Abends erfuhren wir, dass Ator dem Klang des Namens entsprechend wenig überraschend dem Totem Alligator folgte und die meiste Zeit seines Lebens in der Seattler Kanalisation verbracht hatte. Die Antwort auf die Frage, was ihn nun dazu bewege, sich einem Team anzuschließen, blieb er zwar schuldig, aber schließlich hatten wir alle unsere Geheimnisse.
Nach einigem Smalltalk einigten wir uns schließlich darauf, es miteinander zu versuchen, und JD kam zum zweiten Tagesordnungspunkt: Der Job.

Timecode 26.12.2053 / 23:00:00

“Nochmal. Auch wenn ich hier der Neue bin, darf ich doch ein wenig Vertrauen in meine Fähigkeiten erwarten!” Ator war offensichtlich angepisst, weil Jack nun bestimmt zum zehnten Mal fragte, ob er ihn nicht lieber begleiten solle.
“Is’ ja gut! Ich hab’ mich ja nur angeboten…”, grummelte Jack zurück.
“Lass ihn mal machen”, versuchte ich den Troll zu beruhigen. “Wenn es nicht klappt, hab ich meine Narcoject und wir regeln das auf weltliche Art.” Das trug mir zwar einen bösen Blick von Ator zu, aber in letzter Konsequenz wollte auch ich mich nicht auf die unbekannten Fähigkeiten unseres Neuzugangs verlassen.
“Dann sind wir soweit?”, fragte JD nun etwas ungeduldig.
Wir standen in einer kleinen Seitengasse in Seattle Downtown und hielten den Hintereingang einer kleinen Bar unter Beobachtung, in deren Hinterzimmer heute Abend wie jede Woche ein illegales Pokerspiel stattfinden sollte. Der Auftraggeber hinter dem Job, den JD uns vor wenigen Tagen in der Sports Bar vorgeschlagen hatte, vermisste einen der Mitspieler, der nach dem Spiel in der letzten Woche verschwunden war.
Das klang für mich nach besorgter Exec-Gattin, also kein großes Ding. Wir hatten daher beschlossen, zunächst einen der Mitspieler zu befragen und ihn notfalls mit handfesten Argumenten zum Reden zu bringen. Ator hatte eingeworfen, da magisch vorgehen zu können, und wir hatten uns darauf geeinigt, ihm den ersten Versuch zu überlassen.
“Ey, da kommt einer von den Nasen”, zischte uns Jack zu, während er die Strasse hinunterdeutete.
Ein Mann, Archetyp mittlerer Konzern-Exec, war gerade in die Seitengasse eingebogen, nachdem er sich einige Male recht auffällig umgeschaut hatte.
“Dein Einsatz, Ator”, grinste ich unseren “Azubi” an.

Ator verließ unseren Wagen, schlug den Kragen seines Trenchcoats hoch, lenkte seine Schritte in Richtung Zielperson und sprach diese an, als er nur noch wenige Meter von ihr entfernt war.
“Mist, wir hätten an eine Audioverbindung denken sollen”, ärgerte ich mich. “Habe ich ihm vorgeschlagen”, verteidigte sich John Doe. “Aber er hat abgelehnt. Meinte, wir müssten ja nicht gleich jedes seiner Geheimnisse kennen.” Er zuckte nur mit den Schultern.
“Was macht der da? Der quatscht den an? Ich muss da raus, gleich wirds bitter….” Jack hatte bereits eine Hand am Türgriff und war kurz davor nach draußen zu stürmen, als Ator zwei, drei kleine Gesten mit den Händen beschrieb, die ich aufgrund der Entfernung nicht genau erkennen konnte. Sein Gegenüber entspannte sich aber sichtlich und schien nun bereit Ators Fragen zu beantworten. Das Gespräch endete, nachdem Ator eine kleine Karte von seinem Gegenüber erhielt. Während Ator direkt zu uns zurückkehrte, blieb der Exec ein wenig verwirrt aus der Wäsche guckend in der Gasse stehen.

“Ihr werdet’s nicht glauben, Jungs. Unsere Zielperson war gar nicht hier!” Ator schien mehr als zufrieden mit dem zu sein, was er in Erfahrung gebracht hatte. “Die Jungs hier benutzen den Pokerabend als Alibi für eine andere Form des Vergnügens. Und jetzt ratet mal…”.
“Wie jetzt, die pokern gar nicht?” Jacks Stimme zeugte von seiner Verwirrung.
JD schlug sich gegen die Stirn und stöhnte. “Naja, was könnte für einen Exec mit Familie wohl unangenehmer sein, als seiner Frau zu erzählen, er ginge pokern?” Er hatte die zugrundeliegende Logik durchschaut und blickte Jack und mich wissend an.
“Dass er … äh … alle Ersparnisse verspielt hat??”, mutmaßte Jack. Dann hellte sich sein Gesicht auf. “Nein Mann, ich hab’s. Die gehen in den Puff und erzählen Frauchen zuhause, sie hätten die Kohle beim Pokern verzockt.”.
“So sieht’s aus!” Ator nickte zufrieden. “Und unser Freundchen da draußen” – der Schamane deutete auf den noch immer etwas verwirrt in der Seitengasse stehenden Mann – “hat mir auch verraten, wo sich jenes Etablissement befindet. Also lasst uns da mal vorbeischauen.” Ator reichte die Visitenkarte, die er erhalten hatte, an uns weiter.
“Nette Adresse, wird wohl nich ganz billig sein. Meint ihr man kann da einfach vorbeischauen?” Jack kratzte sich unbewusst am Gemächt, was mir ein breites Grinsen entlockte.
“Ich glaube nicht, Jackielein. Aber vielleicht kann ich was arrangieren”, antwortete ich, meine Heiterkeit nur mühsam im Zaum haltend, und griff nach meinem hochtechnischen Kommunikationsgerät Marke “Telefon”, um bei Empty Space anzurufen. Auch wenn der Schieber für gewöhnlich nur mit Hardware handelte, sollte es ihm über seine Konzernkontakte möglich sein, ein entsprechendes Arragement zu treffen. Nach einigen süffisanten Sprüchen darüber, was wir Zwerge so “nötig” hätten, signalisierte er, etwas in die Wege leiten zu können.

Timecode 27.12.2053 / 22:00:00

Die Ladies waren ihr Geld echt wert gewesen. Ich saß gerade, nach anderthalb entspannenden Stunden in Begleitung einer wirklich aussergewöhnlich dehnbaren Zwergin, in einem der Ledersofas im Empfangsbereich des Etablissements, für das Empty Space für den heutigen Abend einen Termin hatte möglich machen können und wartete gemeinsam mit Jack und JD auf Ator.
“Ich hätte nicht erwartet sowas mal erleben zu dürfen, ‘ne Trollnutte in Downtown. Aber, ich bin echt begeistert, die Kleine läßt einen glatt vergessen, dass alles nur Biz ist.” Jack griff sich genüsslich in den Schritt und sank noch ein wenig tiefer in das Ledersofa.
“Hi Folks!” tönte es wieder einmal aus einer unerwarteten Richtung mit der mir noch nicht so richtig vertrauten Stimme. Irgendwie musste ich Ator diese Begrüssung abgewöhnen. “Alles fit im Schritt, Jack?”, zumal sie besonders in unserer aktuellen Situation völlig unangebracht ist, wie ich noch gedanklich hinterherschob.
“PING!“, das Geräusch des von der Rezeptionistin für uns gerufenen Fahrstuhls beendete unseren kurzen Dialog. Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und ein unangenehmer, feucht-modriger Geruch schlug uns entgegen.
Völlig unerwartet sprang uns eine riesige Kakerlake entgegen und riss Jack, der in ihrer Flugbahn stand, einfach um. Ators Gesicht hatte plötzlich etwas reptilienhaftes angenommen und ich spürte förmlich, wie er Magie zu wirken begann.
Die freundliche und attraktive menschliche Rezeptionistin verwandelte sich vor unseren Augen in eine gut zwei Meter große grünlich-schwarz schimmernde Gottesanbeterin, während weitere Kakerlaken, teilweise von der Größe eines ausgewachsenen Höllenhundes, aus dem Fahrstuhl in den Empfangsbereich sprangen. JD zog seinen Predator und feuerte auf eines der Viecher, schien aber keine Wirkung zu erzielen. Während ich mich nach optionalen Fluchtwegen umschaute, manifestierten sich drei weitere Mantiden und glichen das zahlenmäßige Ungleichgewicht zwischen Kakerlaken und Raubinsekten etwas aus. Jack erhob sich und griff nach seiner Wallacher Streitaxt. Ein gezielter Streich trennte einer der Kakerlaken eine Extremität ab, und aus der Wunde spritzte ein ekliger gelblichgrüner Sprühregen aus Insektenblut, oder was auch immer in denen floss, der den Troll von oben bis unten einsaute. Die Antwort der Kakerlake bestand aus einem schnellen Hieb, der Jack fast das Bewusstsein verlieren ließ.
“Wir müssen hier raus!”, brüllte ich.
Ator pflanzte einen Feuerball zwischen die Kakerlaken, schien aber auch damit wenig zu erreichen.
“Ab in den Fahrstuhl, ich decke uns astral!”, rief er und tatsächlich hatte sich der eigentliche Kampf zwischen Mantiden und Schaben vom Fahrstuhl entfernt und ließ uns die Chance zum Entkommen.
Die Fahrstuhltüren schlossen sich hinter uns und Ator sackte in sich zusammen. JD packte seinen Körper, während Jack und ich mit unseren mundanen Sinnen nach weiteren Angreifern Ausschau hielten. Die Fahrstuhlkabine bot mit ihren fast drei mal drei Metern mehr als genug Platz, um ein Dutzend hundsgroße Kakerlaken zu transportieren. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, sollten eine oder zwei von ihnen den astralen Weg an Ator vorbei in diese Kabine finden.

“PLING!“, das Geräusch des im Erdgeschoss angekommenen Fahrstuhls liess mich zusammenzucken, so angespannt war ich.
Plötzlich kam wieder Leben in Ator. “Vorsicht, wir werden erwartet…” – weiter kam er nicht, dann schlugen die Gasgranaten in den sich eben öffnenden Fahrstuhl ein und raubten uns das Bewusstsein…


Gegenschlag

Timecode 29.12.2053 / ??:??:??

Ich öffnete meine Augen, und das grelle Licht der Deckenbeleuchtung ließ mich das sogleich bereuen. Mein Schädel hämmerte, und ich hatte den eleganten Geschmack einer verwesenden Teufelsratte auf der Zunge. (Fragt bloss nicht!) Ich versuchte, den Schädel zu heben, scheiterte aber an dessen schier unglaublichen Gewicht, also blieb mir nichts, als mit geschlossenen Augen liegen zu bleiben und die Situation zu analysieren.
Wir hatten mit dem Fahrstuhl das Erdgeschoss erreicht. Ator hatte noch eine Warnung geäußert und dann… fehlte mir irgendwie alles.
Ein Geräusch neben mir ließ mich zusammenfahren. Ich schirmte meine Augen notdürftig mit den Händen ab, drehte meinen zentnerschweren Kopf Richtung Geräusch und erblickte einen bis auf die Shorts entkleideten Jack. Scheisse! Automatisch checkte ich meinen eigenen Bekleidungszustand und musste feststellen, dass mir bis auf meine Shorts auch nichts geblieben war. Zum Glück hatte ich wenigstens darauf verzichtet, ausgerechnet heute das peinliche Stück Wäsche am Leib zu tragen, dass mir vor einem halben Jahr aufgrund einer verlorenen Wette aufgezwungen wurde. Der Miss-Piggy-Aufdruck hätte in dieser Situation mit Sicherheit für einen riesigen Haufen hämischer Kommentare gesorgt.

"Alter, was 'ne Action war das denn?" Jack versuchte sich ebenfalls aufzurichten, gab allerdings fast ebenso schnell das Vorhaben wieder auf. Ich versuchte, mehr von unserer Umgebung zu erfassen und stellte fest, dass meine Augen sich so langsam an die grelle Beleuchtung gewöhnt hatten.
Wir befanden uns in einem ca. 3*4m grossem Raum. Nackter Boden, bis auf ein paar Matratzen, auf einer davon JD schlafend; hellgrüne Kacheln an Boden und Wänden; ein Waschbecken in einer der Ecken und eine Gittertür in einer der Wände. Ator lag zusammengerollt wie ein Hundebaby in einer anderen Ecke und sabberte vor sich hin. Ich schüttelte die letzten Auswirkungen der Betäubung ab und setzte mich auf.
"Kannst du dich noch an irgendwas erinnern, nachdem der Fahrstuhl aufging, Jack?", versuchte ich Licht in das Dunkel meiner Erinnerung zu bringen.
"Fahrstuhl? Was’n für’n Fahrstuhl?" Der geringe Level an artikulativer Eleganz seitens des Trolls machte mir klar, daß aus seiner Richtung noch eine Weile nichts Produktives zu erwarten war.
Ich mühte mich in eine halbwegs aufrechte Haltung und legte die zwei Schritte bis zu JD in einer Gangart zurück, die jeden Zombiedarsteller hätte noch grüner werden lassen, als es seine Maske eh schon vorgab.
"Hey Chummer! Aufwachen! Die Bullen stehen vor der Tür und reissen hier gleich die Bude ein!" JD sprang auf, machte zwei schnelle Schritte Richtung Wand und knallte mangels Abwehrreflex volle Möhre dagegen. Dann kippte er um wie ein Brett.
"Sachte, Alter", bremste ich ihn. "Ich wollt’ nur mal sehen, wie es um dich steht." Ich beeilte mich, dem desorientierten Ork auf die Füsse zu helfen.
"Uooaahh!" JD hielt sich den Schädel, an dem eine Beule im Entstehen war. "Nächstes mal bitte keine Bullenwitze, wenn ich noch penne!".
Jack, der sich mittlerweile auch aufgerappelt hatte, schaute besorgt nach Ator. "Leute,", merkte er beunruhigt an, "sieht nich’ gut aus, unser Neuer!".
"Lass mich mal!" JD wankte zu Ator, checkte dessen Puls und Augen. "Sieht so aus, als hätten sie ihn unter Drogen gesetzt. Hat irgendwer von euch eine Ahnung, wo wir sind? Und hey", er blickte auf seine Handgelenke, "ist euch aufgefallen, dass wir Cyberwareunterbrecher tragen?".
Wie als Antwort auf JDs Frage wurden Schritte hörbar. Kurz darauf erschienen zwei Kerle, mit Abzeichen verschiedener Wüstenkriege und anderer Söldnervergnügen auf der ansonsten anonymen Uniform und Schrotflinten im Anschlag, vor der Gittertür. Hinter ihnen ein Hüne von einem Mann mit vernarbtem Gesicht und einem LMG in einer Gyrohalterung im Anschlag.
Ich vernahm mit halbem Ohr, dass Jack ein überraschtes oder entsetztes Schnaufen ausstieß.
"O.K., keiner macht irgendetwas Dummes, dann kommt ihr vielleicht lebend hier raus!", begann der Hüne. Wir hoben langsam die Arme, um niemanden zu einer unüberlegten Reaktion zu veranlassen.
"Hey Kurzer, komm her!" Er meinte definitiv mich, und irgendwie hatte ich kein gutes Gefühl dabei, meine Chummer zurückzulassen. Der Hüne hob sein LMG und schickte eine kurze Salve in die Decke, so dass Kachel- und Steinsplitter auf uns niederregneten. "Heute!", blaffte er dazu.
"Is’ ja schon gut!", beeilte ich mich zu reagieren. "Ich komm’ ja." Was blieb mir anderes übrig? Hätte ich vollen Zugriff auf meine Ware gehabt, hätte ich es vielleicht auf einen kleinen vergleichenden Versuch ankommen lassen, aber so?
Die drei Unbekannten arbeiteten prima zusammen, soviel musste der Neid ihnen lassen. Während Söldner 1 meine Chummer im Auge behielt, zwang mich Söldner 2 in einen bereitstehenden Rollstuhl, während Narbengesicht sein LMG stets auf mich gerichtet hielt. Keine Chance! Ich mußte wirklich mordsgefährlich sein.
Kaum hatte ich Platz genommen, schnappten Metallbänder um meine Hüfte, Arme und Beine. Super! Aber immerhin konnte ich ihnen zur Not noch in die Augen spucken und sie blenden…
Söldner 2 schob mich mit dem Rollstuhl von dannen, den Hünen als Sicherheit einige Meter hinter uns, während Söldner 1 vor unserer Zelle in Position blieb. Ich hatte es mit Profis zu tun, soviel war klar. Aber wer hatte sie geschickt? Waren wir irgendwem so sehr auf die Füsse getreten oder hatten gar die Strafverfolgungsbehörden der UCAS Interesse an uns gefunden? Irgendwie passte hier eins nicht zum Anderen.

Meine Fahrt endete in einem diesmal weiß gekacheltem Raum, mit einer Spiegelwand, die geradzu nach Einwegspiegel schrie und ich fragte mich kurz, wer sich wohl dahinter verbarg. Ohne Vorwarnung kippte der Rollstuhl in eine nahezu waagerechte Position. Irgendwie kein angenehmes Gefühl. Auf einem kleinen Tischchen neben mir entdeckte ich einige feine Werkzeuge, die nach einer Mischung aus chirurgischen Instrumenten und Schraubenschlüsseln aussahen. Das Geräusch der sich öffnenden und wieder schließenden Tür kündete von einem Neuankömmling. Der LMG-Jockey wechselte einige unverständliche Worte mit jemandem, dann entfernte er sich aus dem Raum. Allein, das hiess, Söldner 2 war noch bei uns.
"Hoi. 'What' ist mein Name!", begrüßte mich, der sich über mich beugende Typ, der mich irgendwie an einen bartlosen Nikolaus erinnerte. Er schien über seinen eigenen Witz, wenn es denn einer war, in Verzückung zu geraten und grinste breit übers ganze Gesicht, während er einen weißen Kittel überzog.
"Wie geht’s uns denn heute, hmmmm?", fragte er, während er damit begann, Kabel an meinem Körper zu befestigen.
"Könnt’ besser sein, Alterchen. Und selbst?" Ich testete kurz die Haltbarkeit meiner Arm- und Beinfesselung, kam aber zu dem Ergebnis, dass ich sie nicht aus eigenen Kräften würde lösen können, ganz zu schweigen davon, dass ich damit dem Söldner, der nach Verschwinden des Hünen als Sicherheit zurück geblieben war, eine Art Vorwand für bestimmt recht unangenehme Handlungen zu meinen Ungunsten gegeben hätte.
Während ich weiter verkabelt wurde, laberte der 'Doc' irgendwas. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Schließlich endete er aber mit den Worten: "Ich glaube, jetzt sind wir soweit."
Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen schaltete er einen kleinen Kasten, aus dem all die Kabel zu kommen schienen, an die er mich angeschlossen hatte, ein und drehte an einem kleinen Rädchen.
SCHMERZEN!
Ich zuckte unkontrolliert in meinem Sessel, während mein Gesichtsfeld zu einem schmutziggrauen Lappen zusammenfiel.
"Oh, es sieht aus, als habe es funktioniert", freute sich mein Peiniger. "Wie ist es damit?" Er nahm einige Einstellungen an dem Kasten vor. Eine glühende Lanze fuhr in mein rechtes Auge und verbrannte meinen linken Unterarm.
"Was immer du wissen willst, Arschloch, vergiss es!", presste ich zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Oh, verzeihen Sie mir", erwiderte er mit leichtem Bedauern, "aber im Moment will ich gar nichts wissen. Vielleicht finden wir später etwas, worüber wir uns unterhalten können."
Wieder nahm er Einstellungen vor, drückte ein Knöpfchen. Ich schrie vor Schmerzen, und dunkelrote Wolken tobten in meinem Blickfeld. Super, nicht nur professionelle Sicherheit, sondern auch ein Profifolterknecht. Ich wusste nicht genau, wie lange es ging, aber schließlich wurde ich ohnmächtig und erwachte erst wieder in der grün gekachelten Zelle.

Das Erste was ich mit bekam, als ich wieder erwachte und die noch immer gereizten Nerven mich etwas anderes tun liessen als sirrende, sägende Restschmerz-Empfindungen in allen Körperteilen wahrzunehmen, waren die Meldungen meiner Ohren, dass das einem hochtourigen Bohrer nicht unähnliche Sirren, das sie wahrnahmen, wirklich von aussen zu kommen schien.
Nein, halt: kein Bohrer. Ein Motor. Das Geräusch schien, als ich mich darauf konzentrierte, eher von einem mobilen Teil auszugehen, da es sowohl in Lautstärke und Tonhöhe, als auch in der Richtungsortung deutliche Änderungen zeigte. Ich war recht froh, dass ich etwas hatte, womit ich meinen Geist beschäftigen konnte, konnte ich doch so versuchen, die Erinnerung an die letzten paar Minuten vor meinem Blackout zu verdrängen. Absurderweise klang das Geräusch nun wirklich wie ein … nun ja: ein Spielzeugauto. Eines von diesen funkferngesteuerten kleinen Biestern, mit denen so manche Riggerkarriere beginnt. Das reichte mir. Ich setzte mich ruckartig auf. Mein Schädel spielte zwar sofort wieder die Trollrock-Version des Radetzky-Marsches – natürlich in Trollrock-Lautstärke – , und mir wurde schwarz vor Augen, aber mein Interesse war geweckt. Ich liess einige Sekunden verstreichen, um wieder so etwas ähnliches wie ein Blickfeld zu bekommen und linste dann in die Richtung des elektromechanischen Gejaules, neugierig, was ich zu sehen bekäme und ob ich noch bei Trost wäre. So richtig sicher war ich mir nach den letzten Stunden ja nicht…

So komplett voll wach wurde ich erst, als ich die Stimme hörte. Eine Stimme, die unzweifelhaft einem Troll gehörte, gleichzeitig klang die arg rudimentäre Artikulation und die Sprachmelodie unzweifelhaft nach Kind. Ich versuchte, einen Sinn in dem Gebrabbel zu erkennen, das eben wieder eingesetzt hatte.
"… un’ dann kamman auch anne Wän’e hochfahn, aba nich weit, dann fällta imma um, kuckma, so hier…".
Das sirrende Geräusch des Motors stieg plötzlich an, um dann nach einem leisen Kollisionsgeräusch von Kunststoff auf Beton schlagartig abgewürgt zu werden. Jetzt schaffte ich es, einen optischen Eindruck vom Geschehen zu erhalten und wäre die Lage wenigstens nur hoffnungslos gewesen, hätte ich wahrscheinlich einen Lachanfall vom Feinsten bekommen.
JD und Jack standen an der Gittertür unserer Zelle und sahen sich mit einem Ausdruck irgendwo zwischen Verzweiflung und Skepsis an, während vor der Zelle ein, allem Anschein nach, noch nicht ganz ausgewachsener Troll allen Ernstes mit einem (Ha! Korrekt geschlussfolgert, Sherlock!) funkgesteuerten 1:25-Modell eines Ares Citymaster herumfuhr und offenbar einen Riesenspass hatte. Ich merkte meinen beiden Mitstreitern an, daß sie offenbar fieberhaft überlegten, ob es irgendeine Möglichkeit gäbe, den in seiner geistigen Entwicklung erkennbar massiv eingeschränkten Riesen zu irgendeiner Handlung zu verleiten, die uns die Flucht ermöglichen könnte. Hierzu tuschelten sie immer dann, wenn der Troll seine Aufmerksamkeit auf sein Spielzeug konzentrierte, ein paar Worte. JD gab sich zusätzlich Mühe, dem Jungen (ja, er war groß und kräftig, aber er war in meinen Augen ein Kind und würde es möglicherweise sein Leben lang bleiben) noch mehr Einzelheiten über seine Kunststücke zu entlocken, um Zeit zu gewinnen, mit Jack an einem Plan zu tüfteln. Jäh wurde mir bewußt, dass Ator nicht bei uns war. Scheißescheiße verdammte Scheiße!

"Geh da weg, Iggy! Die sind gefährlich!", hörte ich eine unbekannte, aber befehlsgewohnte Stimme.
"Aba da Ork sagt, er kamma helfen…ich glaub nich, dassa böse iss", gab Iggy, der Troll-Junge, weinerlich zurück.
Der Citymaster fuhr durch die Gitterstäbe in unsere Zelle und knallte gegen die gegenüberliegende Wand.
"Was war ‘n das?" Unser Aufpasser trat vor die Gittertür. (Feeh-ler!)
Eine gezielte Gerade von Jack verwandelte dessen Gesicht in ein Trümmerfeld. Irgendwie musste ich an die Schilder an den Raubtierkäfigen im Zoo denken:"Vorsicht, Tiere greifen durch das Gitter." Und bei einem Troll kamen da dann die langen Arme mal wirklich zum Tragen.
JD griff sich den Citymaster und machte sich an seinem Innenleben zu schaffen. Irgendwie musste ich etwas verpasst haben, denn Jack zerschmetterte die Abdeckung der Deckenbeleuchtung, während er mir zuraunte, ich solle mich um den Bewusstlosen kümmern.
Iggy stand wie versteinert, mit seiner Fernbedienung in der Hand, neben unserem ehemaligen Aufpasser."Ihr seid doch böse… tut mir nix…bitte".
Irgendwie hatte ich Mitleid mit ihm, und der Gedanke, ihn ausschalten zu müssen, behagte mir nicht. Ich griff durch die Gittertür und zog den bewusstlosen Aufpasser an mich heran, bis ich an seine Schrotflinte gelangte.
"Keine Sorge, Junge, wir werden dir nichts tun, aber wir müssen hier raus!" Ich checkte die Mossberg. 8 Schuss im Streifen und einer in der Kammer. Auf Profis war eben Verlass.[2]
JD hantierte an den Kabeln der Deckenbeleuchtung und verband sie mit dem, was er aus dem Citymaster gerissen hatte. Ein paar Funken sprühten, es klickte, und die Tür war offen.
"Super, Jungs!" Mein erhobener Daumen musste reichen. Keine Zeit für lange Gespräche. Wahrscheinlich war gerade irgendwo ein Alarm losgegangen und es dauerte nur noch Sekunden, bis Verstärkung eintraf.
Ich hatte mir den Weg zum Verhörzimmer gemerkt, wo ich nun Ator vorzufinden erwartete. Der Gedanke daran, dem bartlosen Nikolaus unter jetzt günstigeren Vorzeichen erneut zu begegnen, ließ mich meine Fäuste ballen.
"Wir müssen die hier loswerden!" Ich hob meine Hände, um JD auf die Cyberwareunterbrecher aufmerksam zu machen.
"Nichts zu machen, Chummer, die sind nicht gefahrlos ohne vernünftiges Werkzeug zu entfernen." JDs Enthusiasmus war schon was feines. "Solltest dich also dran gewöhnen, bis wir hier raus sind."
Das behagte mir zwar nicht, aber was sollte ich machen?
Jack kümmerte sich um Iggy, der zusammengekauert an der Wand des Ganges hockte. "Keine Sorge, Iggy. Wir tun dir nichts, aber du solltest jetzt zu Bonecrack laufen und ihm sagen, dass wir hier nur raus wollen und er es nicht persönlich werden lassen sollte!".
Ich schaute mich um. Bonecrack? Der Hüne mit dem LMG, natürlich, Jack hatte mal von einem Söldner mit vernarbten Gesicht und einem "kleinen" Bruder erzählt.
Tatsächlich stand Iggy auf, warf JD und mir noch einen schüchternen Blick zu, und verschwand dann in entgegengesetzer Richtung zu unserem Ziel, dem Verhörzimmer.

Der Weg zur Folterkammer war schnell zurückgelegt. Die Erinnerung an den Einwegspiegel liess mich kurz innehalten.
"Lasst uns mal die Tür hier nehmen." Ich deutete auf die neben dem Verhörzimmer liegende Tür.
Um die Ecke waren aus einiger Entfernung schnelle Stiefelschritte zu hören. JD ging in Stellung neben der Tür, und ich legte die Mossberg an. Ausser uns keine Freunde in diesem Gebäude.
JD öffnete die Tür und ich sah kurz das verblüffte Gesicht des arroganten Elfenschönlings von der YET-Party, bevor eine Ladung Schrot sein ungeschütztes Gesicht in einen matschigen Brei verwandelte und dem Raum eine neue Mottofarbe verpaßte.
Hinter mir schien Jack die ersten unserer Aufpasser in die Mangel zu nehmen, wie ich den Geräuschen entnehmen konnte.
"So Mädels, jetzt hab’ ich auch ne Wumme! Kommt spielen!" Eine kurze Salve aus einem erbeuteten Sturmgewehr unterstrich seine Worte.
Ich sah mich im Beobachtungszimmer um. Außer dem blutigen im Raum verteilten Ex-Schönling war niemand zu sehen. Dafür lag unser komplettes Equipment in einer Ecke aufgestapelt und schien nach uns zu rufen. Wunderbar!
Durch die tatsächlich von dieser Seite aus durchsichtige Spiegelscheibe konnte ich den Doc dabei beobachten, wie er eilig einige Gerätschaften zu verstauen suchte, während Ator mit einer Augenbinde im zurückgeklappten Rollstuhl lag.
JD schnappte sich seinen Predator und deckte meinen Rücken, während Jack auf dem Flur die Verstärkung dezimierte.
Ich schoss den Spiegel ein, sprang in den dahinter liegenden Raum und hielt dem Doc so unfreundlich wie möglich die Schrotflinte unters Kinn.
"So, Doc Whatever, die Karten sind neu gemischt! Ich würde vorschlagen, du machst meinen Chummer von dem Apparillo los - und zwar ganz vorsichtig - und dann schauen wir mal, was wir mit dir machen…"
Der Folterprofi tat, wie ihm geheissen und beteuerte dabei unentwegt, er habe keinen persönlichen Groll gegen uns und es wäre nur sein Job gewesen. Ich war mehr als gespannt, wie Ator darauf reagieren würde.
"Was hast du mit dem Elfenheini gemacht?", waren dessen ersten Worte, nachdem ich seine Augenbinde gelöst hatte.
"Oh, da muss ich dich um Verzeihung bitten, solltest du persönliche Rachepläne gehabt haben. Der liegt größtenteils nebenan und hat ein Gesicht wie eine geplatzte Blutwurst", antwortete ich breit grinsend.
"Na dann hat er wenigstens bekommen, was er verdient: Ordentlich eins in die Fresse! Und du, kleiner Mann", Ator spuckte dem Folterknecht fast ins Gesicht, "wenn du wirklich 'n Profi bist, verhälst du dich jetzt ganz ruhig und gehorsam, denn das steigert deine Überlebenswahrscheinlichkeit enorm!"
JD kam durch die eigentliche Tür des Verhörraums zu uns. "Wir sollten langsam an Rückzug denken. Jack hat die erste Welle zwar ausser Gefecht gesetzt, aber wer weiss, was da noch nachkommt."
Wir fesselten den Doc mit Kabelbindern, rafften unser Equipment zusammen, während Ator noch schnell den leblosen Elfen durchsuchte und das eine oder andere an sich nahm, dann machten wir uns auf den Weg nach draußen.

Wie sich herausstellte, waren wir in einer unterirdischen Anlage gefangen gehalten worden, deren oberirdischer Anteil sich als Bungalow erwies. Auf unserem Weg hinaus stiessen wir auf verschiedene Hinweise auf die UCAS-Regierung, so etwa einen Elektronik-Koffer mit CIA-Logo. Was für ein Scheiss! Hatten wir der UCAS-Regierung ans Bein gepisst, ohne es zu wissen?
Draussen war alles ruhig. Sollte tatsächlich die CIA hinter der ganzen Sache stecken, müssten eigentlich jede Sekunde Luft- und sonstige Unterstützungeinheiten eintreffen. Wir hatten also keine Zeit für Grübeleien. Wenige Meter vom Haus entfernt schien ein Wäldchen Schutz vor Entdeckung zu bieten.

"Wirklich beeindruckend!" Mit der Eleganz einer Filmdiva des letzten Jahrthunderts kam eine dunkelhaarige Schönheit die Treppe aus dem ersten Stock herunter. Wir fuhren herum, und sie sah sich vier verärgerten, aber hochmotivierten Runnern und deren Bewaffnung ausgesetzt. Allerdings zeigte sie keinerlei Zeichen von Furcht oder Zweifel.
"Sie haben nicht nur aussergewöhnliche Willenskraft unter Beweis gestellt, sondern waren auch in der Lage, aus dieser für sie scheinbar ausweglosen Situation zu entkommen. Mein Auftrag scheint an diesem Punkt gescheitert."
"Halt die Fresse, Tussi!" Ator schien irgendwie besorgt.
"Genau, wenn du nicht zu deinen Ahnen willst, machst du jetzt genau, was wir wollen. Los, Silencio, sach der Ollen, was wir von ihr erwarten!" Jack hielt sein erbeutetes Sturmgewehr im Anschlag und war bereit auf den kleinsten Wink von mir der Schönheit die Birne wegzublasen. Ich musste verdammt vorsichtig mit meiner Körpersprache sein, um das hier nicht in einem weiteren Blutbad enden zu lassen.
"Wenn du was zu sagen hast, dann tu es jetzt! Wir haben ein wenig Zeitdruck!" Aus dem Augenwinkel nahm ich war, dass JD die Umgebung draussen im Auge behielt.
"Irgendwas stimmt mit der Braut nicht", raunte Ator mir zu.
"Ich werde zu meinem Herrn zurückkehren und ihm mitteilen, welche Bauern sein Gegner erwählte, wie es sein Wunsch war." Sie machte eine nicht zu deutende Handbewegung, und ich wusste, was nun geschehen würde.
Jack zog durch, und eine Salve Hochgeschwindigkeitsmunition verliess den Lauf des Sturmgewehrs; Ator wirkte einen Feuerball; ich selbst liess die Mossberg ihr Werk verrichten.
Jede dieser drei Handlungen hätte ihr Ende bedeuten müssen, aber sie löste sich vor unseren Augen in Luft auf, bevor irgendetwas davon sie erreichte. Scheisse! SCHEISSE! SCHEISSE!
"Wenn die Braut zum CIA gehört, gehöre ich zum Tir-Geheimdienst! Lasst uns hier endlich verschwinden!" Ator hatte zwar mit den Nachwirkungen seines Feuerballs zu kämpfen, fand aber als erster seine Fassung wieder.
Mit deutlich mehr Fragen als Antworten im Kopf, blieb uns nichts anderes ürbig, als genau dies zu tun.


Geist

Timecode 01.01.2054 / 16:23:23

Nach dem, was wir kurz vor dem Jahreswechsel erlebt hatten, zogen wir es vor, uns zunächst bedeckt zu halten und uns wie brave Staatsbürger den Silvesterfeierlichkeiten hinzugeben, ohne irgendeine Form von Aufsehen zu erregen. So war es nicht weiter verwunderlich, daß ich mit einem gehörigen Kater aufwachte und mich nur rudimentär an die rothaarige Schönheit erinnern konnte, die friedlich schlafend nackt neben mir im Bett lag. Am liebsten hätte ich meine Neujahrsmorgenlatte in ihr versenkt, aber das blinkende, rote Icon meines persönlichen Schwarzen Brettes in der Matrix ging vor. Normalerweise hieß dies, daß ein Jobangebot eingegangen war, und in meinem Biz hatte das stets Vorrang.
"Ich bin ausgesprochen begierig, Sie und ihre Partner zu treffen. Ich benötige die Dienste eines Teams, das in der Lage ist, das ... Außergwöhnliche zu vollbringen, und ich kann Ihnen versichern, daß eine hohe Bezahlung geboten wird. Falls Sie interessiert sind, kommen Sie bitte mit ihren Partnern morgen früh um zehn zum Tor 12 des Seattle-Tacoma-International-Airport und fragen dort nach Anson Helm."
Unterzeichnet oder sonstwie signiert war der Text nicht. Nun ja: alles Wissenswerte war enthalten. Der Absender schien nicht viel von Schnörkeln zu halten. Sollte mir recht sein – wir wollten ja auch keinen Literaturclub gründen.
Der Name ließ mich allerdings aufhorchen. Nicht nur, daß Mr. Helm einen ausgesprochen guten Ruf als Schieber hatte, es hieß auch, daß er außergewöhnlich gut zahlen würde. Dennoch war ich überzeugt davon, daß jeder Nuyen teuer verdient werden musste. Aber hey, that’s biz!

Timecode 02.01.2054 / 09:35:00

Am Ende hatte selbst Jack eingesehen, daß es nicht zielführend war, mit irgendeiner Form von Hardware am Sea-Tac aufzuschlagen. Wir konnten schon froh sein, wenn uns unsere ‘ware nicht in Schwierigkeiten brachte. Irgendwie fühlten wir uns wohl alle “nackt”, als wir schließlich Tor 12 erreichten.
"Wir sind zu früh." stellte JD nüchtern fest.
"Das kannste aber laut sagen!", gähnte Jack und biss von seinem Frühstück in Form eines Soy-Riegels ab. Die Uhrzeit war allerdings auch wirklich ungewöhnlich, da wir es sonst vorzogen, erst am frühen Nachmittag den Tag zu begrüssen. Ator hatte den Kragen seines Trenchcoats hochgeschlagen und schien im hinteren Teil des von mir gemieteten Wagens zu schlafen.
"Habt euch nicht so! Das wird bestimmt ein Riesending."
"Meinst du nicht, wir haben noch genug Ballast, den wir mit uns rumschleppen, Silencio?", warf JD nicht ganz unbegründet ein. "Ich meine, weder haben wir die Hintergründe des Verschwindens des Pokerspielers aufklären können, noch wissen wir, wem wir unsere Entführung zu verdanken haben."
"Stimmt schon", erwiderte ich, "aber ehrlich gesagt habe ich irgendwie ein gutes Gefühl bei diesem Helm. Lass' uns einfach anhören, was er vorzuschlagen hat. Ablehnen können wir dann immer noch."
JD hob nur die Schultern und sagte nichts mehr.
"Also den Insekten sollten wir noch mal aufs Dach steigen, Jungs!" kam es von der Rückbank. Offensichtlich war Ator unserem Gespräch gefolgt. "Aber den Pokerspieler können wir wohl abhaken. Wenn der wirklich 'n Exec war, wird er wohl nicht aus dem Bordell entkommen sein. Zielperson tot, Fall erledigt, würde ich sagen. Lasst uns auf den vor uns liegenden Job fokussieren, da rieche ich 'ne Menge Nuyen."
Jack hob zustimmend den rechten Daumen. Damit war das Thema erledigt und wir näherten uns wie vereinbart Tor 12.

Der Schlipsträger, der uns in Empfang nahm, wirkte äußerst skeptisch, bis wir den Namen "Helm" fallen ließen. Plötzlich schien er äußerst dienstbeflissen und führte uns zu einem kleinen Wagen auf dem Rollfeld mit dem er uns den kurzen Weg zu einem Lear Platinum Custom fuhr, der mit offener Einstiegluke auf uns zu warten schien. Ich zog die linke Augenbraue hoch.
"Wenn das nicht für einen dicken Auftrag spricht, weiß ich auch nicht!", stieß ich mühsam mein Perplexsein unterdrückend hervor.
Jacks Augen sprachen Bände, während JD nur zögernd Zustimmung knurrte. Ator ging mit schnellen Schritten die wenigen Stufen zum Einstieg hinauf und verschwand in dem Flieger. Wir folgten und waren vom Inneren sichtlich beeindruckt. Da niemand als Empfangskomitee auf uns wartete, schenkten wir uns einen Drink ein und pflanzten unsere Hintern in die roten Plüschsessel in Erwartung dessen, was kommen sollte.

Plötzlich piepte das Intercom:"Wenn Sie sich jetzt anschnallen wollen, meine Freunde, können wir in Kürze abheben. Nach dem Start werde ich zu ihnen stoßen."
Die Geräusche veränderten sich, besser gesagt verstummten, als sich die Tür des Fliegers schloß. Offensichtlich war die Schallisolierung überragend, denn auch als die Turbinen hochfuhren, um den Start einzuleiten, war kaum etwas davon zu vernehmen. Die Beschleunigung drückte uns ein wenig in die Sessel, und kurz nach dem Start betrat ein makellos gekleideter Mensch Ende 40 die Kabine und begrüßte uns mit den Worten: "Hallo, ich bin Anson Helm."

Im Laufe der nächsten halben Stunde klärte er uns über die Modalitäten des Runs auf, für den er uns buchen wollte. Es ging um die Beschaffung einer Zuchtorchidee von einer Plantage tief im Regenwald des Amazonas. Mr. Helm hatte bereits alle notwendigen Reisevorbereitungen getroffen, und wir mussten eigentlich nur "ja" sagen, den Job erledigen und würden 150.000 NY pro Person kassieren. Allein ein winziges Detail ließ mich aufhorchen – und wie ich an den Mienen meiner Chummer feststellen konnte, nicht nur mich. Wir sollten einen Chip am Ort des Diebstahls zurücklassen. Irgendwie hatten wir in den letzten Monaten zu oft etwas erledigen und vor Ort zurücklassen sollen, als daß es Zufall sein konnte. Aber die gebotene Summe war einfach zu verführerisch und der Ort des Einsatzes lag soweit abseits unserer normalen Einsatzgebiete, daß wir letztlich doch zusagten.

Timecode 18.01.2054 / 00:30:00

Die Reise in die Tiefen des Dschungels war von Mr. Helm gut vorbereitet worden und alle von ihm benannten Kontakte hatten ihren Teil dazu getan, uns ein unbemerktes Vorankommen so leicht wie möglich zu machen. Nachdem wir verschiedene Beförderungsmittel genutzt hatten, waren wir vor 4 Tagen von einem Wasserflugzeug in ein Schlauchboot umgestiegen. Dies zwang uns aufgrund der Sonnenlichtallergie von JD, nun nachts aktiv zu sein und den Tag zur Ruhe zu nutzen.
Noch in der ersten Nacht hatten wir lernen müssen, daß das erwachte Amazonien mit Vorsicht zu genießen war. Ein Lindwurm war mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit durch das Blätterdach über uns auf uns herabgestoßen, und nur Jacks schnellen Reflexen und seiner geliebten Panther-Sturmkanone war es zu verdanken, dass wir nicht als Wurmfutter geendet hatten.
Die Moskitos schienen durch nichts davon abzuhalten zu sein, uns auch den letzten Tropfen Blut abzuzapfen und auch die sich kräuselnden Wellen an der Wasseroberfläche des träge dahinziehenden Flusses verhießen nichts Gutes.
Wir hatten angelegt, um eine kurze Pinkelpause mit festem Boden unter den Füßen abzuhalten, da niemand Bock hatte, seinen Schwanz an einen erwachten Amazonas-Barsch oder sonst ein Getier zu verlieren.
"Ich schwitz' wie 'n Schwein, selbst nachts isses hier kaum auszuhalten", gab Jack von sich, der sich aber auch unter keinen Umständen aus seiner Sicherheitspanzerung schälen wollte, um seinem Körper etwas Erleichterung zukommen zu lassen.
"Und du stinkst wie 'ne ganze Schweineherde, Alter", gab Ator zurück.
"Sicherheit geht vor Körperhygiene, aber wenn du willst kannste ja 'n kleines Bad im Fluss nehmen!" Jack stupste Ator in Richtung Flussufer und brachte ihn fast zu Fall.
"Könnt ihr euch das aufheben, bis wir wieder in der Zivilisation sind?", blaffte JD dazwischen. "Hier kann uns ein geprellter Knöchel zum Abbruch zwingen!" Er war offensichtlich genervt.
Während die anderen ihre Blase entleerten, hatte ich mit der UrbanCombat im Anschlag Wache gehalten, dennoch konnte ich nicht verhindern, daß wir urplötzlich von einer Gruppe von mit Schrotflinten, Bögen und Speeren bewaffneten, seltsam bemalten Eingeborenen umringt waren.
Ein kurzer Pfiff ließ meine Chummer ihr Gemächt loslassen und nach den Waffen greifen. Ein urkomischer Anblick, der in jeder anderen Situation sicher zu Gelächter geführt hätte, war hierbei Jack, der es nicht für nötig hielt, seinen riesigen Trollpenis wieder in der Sicherheitspanzerung zu verstauen und nun mit schussbereiter Panther-Sturmkanone und hängender "Jacks-Trollkanone" im Urwald stand.
Ein abgeranzter, kaum bekleideter Kerl, an dessen Lendenschurz verschiedene Knochen- und Federfragmente baumelten, erschien hinter einem der riesigen Bäume.
"Ihr seid Eindringlinge! Ihr seid hier unerwünscht!" Selbst mit der Linguasoft, die wir von Helm erhalten hatten, war sein Dialekt nur schwer zu verstehen, aber der unfreundliche Eindruck, den seine Stammesgefährten machten, hätte auch ohne Worte ausgereicht, um uns klar zu machen, was Sache war.
Ich zählte neun Gegner, inklusive Miss Lendenschurz, aber ich wollte nicht ausschließen, daß noch weitere Ziele irgendwo im Unterholz versteckt lagen. JD schien mindestens einen mehr entdeckt zu haben als ich, denn er zeigte mit seiner freien Hand 2*5. Jack schwenke seine Panther von einem Ziel zum anderen, was seinem Pimmel eine gewisse Dynamik verlieh, die Eingeborenen aber nicht zu beeindrucken schien. Ator schaute mit zusammengekniffenen Augenbrauen fragend in meine Richtung.
"Wir werden nicht umkehren! Wir sind besser bewaffnet und mehr als gewillt euch auszulöschen, sollte es notwendig werden!", versuchte ich mittels der Linguasoft mit Lendenschurz ins Gespräch zu kommen.
"Dann sterbt!" waren seine letzten Worte. Der alte Spruch "Kill the mage first!" liess meine UrbanCombat auf ihn einschwenken und eine Salve Hochgeschwindigkeitsmunition in seine Richtung abfeuern.
Jack zog den Abzug der Panther durch, JD feuerte mit seinem Predator schnell hintereinander auf zwei der Eingeborenen, während Ator einen Feuerball in die Richtung einer Dreiergruppe schickte.
Lendenschurz erwies sich als außerordentlich gewandt und schaffte es irgendwie, hinter dem Baum in Deckung zu gehen, so daß eine zweite Salve aus der UrbanCombat einen seiner Gefährten in die ewigen Jagdgründe schickte.
Es war kein ruhmreicher Kampf, aber es ging um Leben und Tod, auch wenn der Ausgang eigentlich nie in Zweifel stand. Nach nicht einmal zehn Sekunden war alles vorbei und der Dschungelboden getränkt mit Blut. Wir hatten keinen Kratzer abbekommen. Schade war nur, dass es der Lendenschurz-Pussy offensichtlich gelungen war, zu entkommen. Feigling!
Nachdem wir die nähere Umgebung gecheckt hatten, beschlossen wir, unsere Fahrt fortzusetzen.

Timecode 18.01.2054 / 03:45:00

Es war kurz vor Sonnenaufgang, als wir auf dem Fluss, dem wir nun seit mehreren Tagen mit unserem Schlauchboot folgten, erneut auf menschliche Wesen trafen. Einige hundert Meter vor uns wurden drei Kanus zu Wasser gelassen und mit kräftigen Paddelschlägen in unsere Richtung gelenkt. Im vordersten der Kanus saß ein Kerl, der neben der spärlichen Bekleidung, die hier anscheinend bevorzugt wurde und die nur unzureichenden Schutz vor Kugeln verlieh, mehrere Metallringe um seinen Stiernacken trug. Im hinteren Teil des selben Kanus hielt sich ein mit seltsamen Bemalungen und Federn geschmückter Kerl auf. Der alte Spruch liess den Lauf der UrbanCombat in seine Richtung wandern.
Als die Kanus nur noch wenige Meter von uns entfernt waren, begann Stiernacken irgendeinen Kauderwelsch von sich zu geben. Ich zuckte nur mit den Achseln, denn die Linguasoft schien hier nicht zu helfen. Stiernacken unternahm einen zweiten Versuch, bevor er dann im dritten Anlauf ein Sprachmuster wählte, das von der Linguasoft interpretiert werden konnte.
"Kommt mit und rastet mit uns am Strand. Gute Jagd, viel Essen."
Ich übersetzte kurz für meine Chummer und sah sie fragend an. Alle drei schienen einer Rast nicht abgeneigt und die Aussicht auf echtes Fleisch, gebraten über einem offenen Feuer, ließ Jack das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Klar war, daß wir sowieso alsbald einen Lagerplatz suchen mussten, wieso also nicht das Angebot dieser Eingeborenen annehmen und sie so im Auge behalten, anstatt sich irgendwo anders nieder zu lassen und damit rechnen zu müssen, von ihnen überrascht zu werden.
Wir steuerten also unser Schlauchboot in Richtung des Lagers der Eingeborenen und zogen es an Land.

Das uns angebotene Mahl war eine wirkliche Abwechslung zu den Soyriegeln, die seit einigen Tagen unsere Hauptmahlzeit darstellten und nachdem wir gegessen hatten, breitete sich eine allgemeine Müdigkeit unter uns aus, die gefährlich werden konnte.
"Sag mal," begann ich das Gespräch mit unserem Gastgeber, "es scheint ja fast so, als wenn ihr auf uns gewartet hättet oder ladet ihr jeden der auf dem Fluß vorbeikommt zu 'ner Mahlzeit ein?" "Der Lachende Mann hat gesagt, ihr kommt vielleicht. Er hat gesagt, ihr wärt vielleicht Arschlöcher!" Das letzte Wort konnte die Translatorsoftware offenbar nicht richtig deuten, denn in meinem Hirn entstand lediglich das Symbol für "Schimpfwort für schlechten Menschen / Fäkal" mit einer Relevanz von unter 50%.
"Der Lachende Mann?" Ich konnte beim besten Willen nichts mit dieser Bezeichnung anfangen und hielt sie für einen Übersetzungsfehler der Linguasoft. Möglicherweise war eine hiesige "Gottheit" oder sonstwas gemeint.
"Ja, er kommt nicht oft, aber wenn er uns beehrt, ist es nie ohne Grund!"
Ich bat um einen Moment Geduld, um für meine Chummer zu übersetzen, da niemand von ihnen in der Lage war, die Linguasoft zu nutzen.

"Und er hat wirklich "Lachender Mann" gesagt?" fragte Ator.
"So hab' ich es zumindest verstanden. Ist schon seltsam, dass wir selbst hier offensichtlich erwartet werden. Wir sollten mehr als vorsichtig sein. Irgendwie gefällt mir das nicht."
"Das kannst du aber laut sagen", gab JD mir Recht.
"Okay, aber spielt das irgendeine Rolle für das, was wir jetzt vorhaben?" Jack kam eindeutig nicht ganz so schnell mit.
"Naja, wenn wir tatsächlich angekündigt wurden, müssen wir damit rechnen, dass deutlich stärkere Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden. Ausserdem frage ich mich, wer der "Lachende Mann" ist und wieso er irgendwelchen Eingeborenen erzählt, dass wir Arschlöcher wären. Ich meine, woher weiß der das?" Den letzte Satz beendete ich mit einem breiten Grinsen.
"Wir sollten uns nicht so viele Gedanken um Dinge machen, die wir im Moment eh nicht beeinflussen können", warf der Alligatorschamane ein. "Letzten Endes scheint auch hinter diesem Run mehr zu stecken, als wir ursprünglich angenommen haben. Und das war uns doch eh klar, als wir gehört haben, daß wir wieder einmal etwas zurücklassen sollen, oder?" Ator schien ein wenig genervt, was aber dem entsprach, wie ich ihn kennengelernt hatte. "Nicht labern, handeln!" schien seine Devise zu sein.
"Okay, Ator, aber was machen wir jetzt aus der Situation?" Ich blickte ihn fragend an.
"Wir lassen uns jedenfalls nicht unnötig beeindrucken", erwiderte er. "Ich würde sagen, wir lassen das Schlauchboot hier, zumal der Plan eh vorsieht, daß wir auf einem anderen Weg wegkommen. Wenn die Jungs hier trotzdem auf unser Boot aufpassen umso besser, dann haben sie was zu tun und kommen uns nicht in die Quere." Ich fand, das klang nach einem guten Plan.

Timecode 18.01.2054 / 23:15:00

Nachdem wir uns mit der Jagdbeute der freundlichen Einheimischen den Bauch vollgeschlagen und von ihnen noch einige nützliche Tipps für unser weiteres Vordringen in den Dschungel erhalten hatten, wurden wir von ihnen noch vor den Jivaros gewarnt. Wie wir erfuhren, handelte es sich um jene unfreundlichen Gesellen, die während unserer Pinkelpause ihr Ende gefunden hatten.
Am Ende des wirklich hervorragenden Essens holte unser Gastgeber noch einen Beutel mit einer schäumenden Flüssigkeit hervor, die sich als ziemlich hartes Gebräu entpuppte. Jack und JD waren begeistert, während man Ator und mir hoffentlich nicht ansah, daß wir nur aus Höflichkeit so taten, als würden wir in kräftigen Zügen trinken. Mir kamen Bedenken, ob der Alkohol uns nicht nur zu leichteren Opfern machen sollte, aber wie sich herausstellte, erwiesen sich unsere Gastgeber als äußerst vertrauenswürdig.
Als JD uns kurz nach Sonnenuntergang geweckt hatte, hatte es keinerlei Zwischenfälle gegeben und so waren wir bald darauf mit den besten Wünschen der Einheimischen Richtung Plantage in den Dschungel vorgedrungen.
Wir erkannten recht bald, dass ein Marsch durch dichtes Unterholz alles andere als ein Kinderspaziergang war und wir schon nach kurzer Zeit alle komplett durchgeschwitzt waren. Das eine oder andere Mal sahen wir im Dunkel des Dschungels die Wärmeabstrahlung verschiedener Tiere, aber keins von ihnen war dumm oder groß genug, um sich mit uns anzulegen.
Plötzlich lichtete sich der Dschungel, und wir sahen vor uns eine annähernd 100m durchmessende Lichtung mit mehreren Gebäuden und einer Start-und Landebahn für kleine Flugmaschinen. Ein fünf Meter hoher Maschendrahtzaun, der, wie sich nach seiner Umrundung heraustellte, ohne jedweden Einlaß gebaut war, umgab die gesamte Lichtung, und man konnte den Strom fast spüren, der durch ihn floß.
"Dafür habt ihr ja mich!" JD griff in seinen Rucksack und zauberte sein Werkzeug hervor, mittels dessen es ihm gelang, ein Loch in den Zaun zu schneiden, ohne dass es einen bemerkbaren Alarm oder Stromschlag gab.
Plötzlich hörte ich ein wildes Schnaufen hinter mir. Ich drehte mich um und sah einen mich deutlich überragenden dunkel bepelzten Affen mit gefletschten Zähnen auf uns zurennen. Ohne zu zögern schickte ich ihm eine Salve aus meiner UrbanCombat entgegen und war doch erstaunt, dass ihn dies aufhielt. Die schallgedämpften Schüsse waren noch nicht ganz verklungen, als der Körper des Urwaldtieres, gerade noch in stürmischem Angriffslauf befindlich, sich zwei- bis dreimal überschlug und dann wenige Zentimeter vor meiner Stiefelspitze liegenblieb, wo das Wesen mit einigen leisen Ächz-, Pfeif- und Gluckerlauten sein Leben beendete.
"Was zum Fuck!!!", entfuhr es mir. Ich trat erst vorsichtig, dann fester mit dem Stiefel gegen den Kadaver.
"Bleib locker, Silencio." Ator war neben mich getreten und legte mir eine Hand auf die Schulter. "Mit sowas muss man im Dschungel eben rechnen. Jack, könntest du den bitte eben entsorgen?" Er deutete auf den toten Affen. "Nicht, dass uns der Kadaver am Ende noch verrät."
Jack fackelte nicht lange, griff sich den leblosen Körper und wuchtete ihn ins nahe gelegene Unterholz.
"Okay, alles sauber! Laßt uns los!" JD stand noch immer am Zaun, hatte seine Sinne aber mehr auf die Geschehnisse auf der Plantage gerichtet.
Wir huschten im Schutz der Dunkelheit Richtung Gewächshaus.

Das Schloß der äußeren Tür des Gewächshauses war zwar von guter Qualität, stellte JD aber keine zu große Herausforderung. Nach einer knappen halben Minute hatte er es überbrückt und uns Zutritt verschafft. Drinnen war die Luft noch feuchter und wärmer als draußen, und wir suchten eilig nach der beschriebenen Orchidee. Wir hielten den Run schon für fast erledigt, als plötzlich unter einem der Blumentische ein Barghest heulend hervorsprang. Ator beendete dessen Leben mit einem schnellen Hieb seines Katanas, aber die Laute, die das Vieh von sich gegeben hatte, waren nicht zu überhören gewesen. Wieder einmal hatte sich innerhalb einer Sekunde das Blatt um mindestens 180° gewendet. Ich wollte gerade in den Turbo-Suchmodus wechseln, als ich einen deutlich erleichterten Ausruf von JD hörte: "Hier ist sie!"
"Pack ein, leg den Chip ab und los!", antwortete ich hastig. "Wir sind sicher aufgeflogen!" Ein Blick zu Ator zeigte mir, dass er unverletzt war, aber das konnte sich jede Sekunde ändern, sollten wir mit den Sicherheitspersonal der Plantage Kontakt bekommen. Immerhin kannten die den alten Spruch auch.
Jack richtete seine Panther Richtung Ausgang und nahm mit wenigen Schritten dort Position ein.
"Ich bin dafür, daß wir den Hubschrauber nehmen." Ator, stets pragmatisch, hatte sich bereits Detailgedanken über die Flucht gemacht. "Wenn ich das richtig gesehen habe, ist der bewaffnet und mit der Cessna entkommen wir dem im Zweifel nicht."
Ich konnte ihm die Entscheidung nicht abnehmen. "Du bist der Pilot, Ator. Deine Party. Bring uns nur hier raus!" Ich hatte die UrbanCombat im Anschlag und rechnete jeden Moment mit dem Eintreffen der Sicherheitsleute.
"Okay, Abflug, wir sind hier fertig!" kam von JD, der sich gerade seinen Rucksack mit der gestohlenen Orchidee auf den Rücken geschnallt hatte.
Wir verließen das Gewächshaus, und Ator legte mit einem Zauber eine Gruppe gerade noch rechtzeitig heranstürmender Söldner schlafen.
40 Meter bis zum Helikopter.
Jack rannte vor und suchte mit seiner Panther nach weiteren Zielen. JD folgte ihm, während Ator und ich den Abschluss bildeten.
30 Meter bis zum Helikopter.
Hinter einer Häuserecke kam ein weiterer Söldner in Sicht. Jack schoß aus vollem Lauf, verfehlte, zwang den Söldner aber in Deckung.
20 Meter bis zum Helikopter.
"Hoffen wir, dass der Heli nicht besonders gesichert ist!", überlegte Ator laut und ungefragt.
"Für diese Bedenken ist es jetzt zu spät", stieß ich keuchend hervor. "Wir sind nicht auf einen Stellungskrieg vorbereitet! Renn und hoff'!" Dabei war ich mir über das ungünstige Verhältnis der Beinlängen der anderen zu meinen eigenen durchaus im Klaren und wußte, dass im Zweifelsfall ich derjenige sein würde, auf den gewartet werden mußte.
"Ooch...,sag das nicht. Ich hab' 'nen 50er Gurt dabei! Wenn's sein muss, leg' ich dir hier alles in Schutt und Asche." Jack grinste dabei breit, und ich konnte nicht verhindern, dass ich im Laufen wieder daran denken mußte, wie bescheuert das jetzt ausgesehen hätte, wenn er wieder seine Hose...
10 Meter bis zum Helikopter.
Aus der Deckung heraus gab der Söldner eine Salve in unsere Richtung ab, die aber gut 5 Meter neben uns einschlug. Jack antwortet mit einem gezielten Schuß aus der Panther und beendete das Leben des Söldners. Das war keine schlechte Leistung für einen nachts davonrennenden Troll, der praktisch nach hinten schießen mußte. Zu allem Überfluss waren jetzt auch noch schwere Stiefelschritte von irgendwoher zu hören.
Wir erreichten den Heli.
"Super!" Unser Krokoschamane jubelte vernehmlich. "Sieht aus, als wäre der Hubi für nen Alarmstart bereit! Keine Verriegelung oder sonstige Sicherung. Springt rein!" Ator öffnete den Helikopter, als wäre es sein eigener, und schwang sich auf den Pilotensitz. Wir folgten ihm, und wenige Sekunden später startete Ator den Heli.
"Wir sind tatsächlich bewaffnet!", triumphierte Ator.
"Lass uns hoffen, daß wir keine Waffen brauchen. Schnellster Kurs Richtung Lima würde ich sagen!" Irgendwie hatte ich ein mulmiges Gefühl im Magen, und der sich vor uns aufbauende Sturm schien meine dunkelsten Befürchtungen zu bestätigen. Innerhalb von kürzester Zeit waren wir in einer dunklen Wolkendecke verschwunden, was uns auf der einen Seite zwar Sichtschutz gab, gleichzeitig aber auch unser aller bedingungsloses Vertrauen in die Instrumente des Helis verlangte.
Erste Blitze zuckten um uns durch den Himmel. Plötzlich gab es einen schweren Schlag und es wurde, mit Ausnahme der rot blinkenden Notbeleuchtung, dunkel.
"Scheiße, die Navigationsinstrumente sind ausgefallen!" Ator schien ernsthaft in Sorge, als ein zweiter Blitz unser Fluggerät erschütterte.
"Zwei so kurz hintereinander? Da steckt was anderes dahinter." Er drehte sich zu mir um und winkte mich zu sich. "Silencio, übernimm das Steuer, ich schau mal nach!"
Er ließ mir kaum Zeit die Steuerung des Hubschraubers zu übernehmen, als er zusammensackte und wohl in den Astralraum wechselte, um dort nach dem Rechten zu sehen.
Die Sekunden verstrichen und ich versuchte unseren Kurs beizubehalten, was ohne jegliche Instrumentenunterstützung praktisch nicht möglich war.
Plötzlich lichteten sich wie durch Zauberei die Wolken, die Instrumente sprangen wieder an und Ator schlug die Augen auf.
"Jetzt sollten wir sicher sein", gab er mit erschöpfter Stimme von sich. "Irgendein Arsch hat uns 'nen Sturmgeist auf den Hals gehetzt, aber ich konnte ihn bannen. Auf nach Lima und dann weiter in die Heimat. Ich kann die Kohle praktisch schon riechen." Ich war heilfroh, ihm seinen Platz wieder zur Verfügung stellen zu können, denn die Steuerung eines Helikopters war mir unheimlich und ich war mir sicher, dass ich die Mühle ohne die verbliebenen Assistenzsysteme nicht drei Sekunden länger hätte in der Luft halten können.

[Und dies war für lange Zeit das Letzte, woran meine Chummer und ich uns erinnern konnten. Alles was nach diesem letzten Satz von Ator bis zu unserem Treffen mit einem gewissen Mr. Hans Brackhaus am 29.05.2054 geschah, wurde aus unseren Gedächtnissen magisch entfernt und konnte erst viel später wiederhergestellt werden. Doch dazu zu gegebenem Zeitpunkt mehr.]

Sicher ist, daß wir den Auftrag zur Zufriedenheit von Mr. Helm abschlossen, unser Geld kassierten und die Orchidee für einen Folgeauftrag, der uns wenig später erreichte, in unserem Besitz behalten sollten.


Zukunft

Timecode 22.01.2054 / 06:00:00

Meinem Gefühl nach waren wir gerade erst wieder in Seattle gelandet und hatten uns einige Drinks gestattet, als viel zu früh am Morgen ein Anruf bei mir einging: “Sie haben die Blume? Das ist sehr gut. Mr. Johnson möchte Sie sehen, um einen weiteren Run zu besprechen. Seien Sie im Tacoma Style, pünktlich um acht. Ich weiß, daß ich Sie nicht daran erinnern muß, die schweren Spielzeuge zu Hause zu lassen. Es herrscht übrigens eine strenge Kleiderordnung. Lassen Sie nicht zu, daß ich zu ihnen kommen muß. Die Folgen wären höchst unangenehm. Und bringen sie die Blume mit. Sie werden sie brauchen.“
Ich warf einen Blick auf die Uhr. 6:00:27 Uhr. Was für ein Verrückter rief um diese Zeit einen Runner an? Egal, jetzt brauchte ich dringend noch ein paar Stunden Schlaf, um den Alkohol der letzten Nacht aus meinem Körper zu bekommen. Ich schickte noch schnell eine Nachricht an meine Chummer, die besagte, dass wir ein berufliches Meeting um 20.00 Uhr im Tacoma Style hätten, drehte mich um und schlief meinen Rausch aus.

Timecode 22.01.2054 / 19:45:00

Auch wenn wir uns einig waren, dass irgendetwas hier ganz gewaltig nach Verarsche roch, kamen wir nicht umhin, der Einladung zu folgen, wenn wir dem geheimnisvollen Auftraggeber auf die Schliche kommen wollten, den wir hinter all den Runs vermuteten, die wir im Laufe der letzten Monate absolviert hatten. Wir hatten uns also in unseren besten Zwirn geworfen, ich hatte die Blume eingesteckt, und jetzt parkten wir etwas zu früh unweit des Tacoma Style.
Entweder hatte unsere Reputation einen ordentlich Schub erhalten, unser Auftraggeber war weitaus bedeutender als ich dachte oder Betty hatte einen ihrer guten Tage, was man bei ihr nie wirklich wusste, denn sie grinste immer. Jedenfalls verzichtete sie auf die sonst üblichen Neckereien, während sie uns nach versteckten Waffen absuchte und berührte uns nicht mal. Ein Novum!
Einer der ebenfalls ständig grinsenden, manche nannten es lächelnden, Elfen des Style nahm uns mit den Worten in Empfang:”Sie gehören zu Mr. Johnson? Folgen Sie mir bitte.” Ehe wir uns versahen, saßen wir an einem Fenstertisch, bekamen von Mr. Johnson, der in Kürze erscheinen sollte, bereits vorbestellte Vorspeisen serviert und waren halb durch den Salat durch, als ein geschniegelter “Standard”-Johnson auf den einzigen leeren Stuhl an unserem Tisch glitt.
Was wir nun erlebten, war eine der am konsequentesten durchgezogenen Auftragsbesprechungen, die ich jemals erlebt habe. Sie endete mit den Worten:”Genießen Sie das Essen, mit meinen besten Empfehlungen.”
Mr. Johnson hatte uns in weniger als einer Minute damit beauftragt, eine Konzernsekretärin namens Jane Foster in Columbia, Missouri, in “Gewahrsam” zu nehmen, die Blume anstelle ihrer zurückzulassen, hatte uns 70.000 NY geboten, 10.000 als Vorschuß dagelassen und war verschwunden, bevor wir überhaupt “Piep” sagen konnten.

Was blieb uns auch anderes, als den Job anzunehmen, sonst hätten wir der Einladung nicht Folge leisten müssen. Der Flug, den Mr. Johnson für uns gebucht hatte, ging in knapp vier Stunden und wir wollten noch einige Vorbereitungen treffen, also verließen wir das Style und trennten uns.
Da ich weder vorhatte, ohne Bewaffnung in Columbia unterwegs zu sein, noch mein Glück an den Waffenscannern des Sea-Tac-Airport checken wollte, wandte ich mich an Empty Space. Auch wenn er ein wenig die Stirn runzelte, als ich ihm vom Ziel meines Ausflugs berichtete, schien es ihn vor keine unlösbaren Probleme zu stellen, uns dort über eine seiner Connections mit Waffen zu versorgen. Allerdings kostete mich dieser Freundschaftsdienst 30 Riesen und damit war nicht nur der Vorschuss weg, sondern auch schon fast die Hälfte des ausgelobten Gewinns. Aber wir waren uns einig, diesen Run nicht des Geldes wegen zu unternehmen.

Timecode 23.01.2054 / 06:35:00

Wider Erwarten war Jack tatsächlich vernünftig genug gewesen, ohne sein übliches Arsenal am Flughafen aufzutauchen, so dass es keinerlei Schwierigkeiten gegeben hatte. Auch wenn ich ein wenig nachdenklich war, weil Ator kurzfristig seine Teilnahme an dem Unternehmen abgesagt hatte, betrachtete ich den Silberstreif der aufgehenden Sonne am östlichen Horizont als gutes Omen. Wie vereinbart wurden wir von Empty Spaces Connection an dem kleinen Flughafen mit einem Lieferwagen abgeholt.
Der Fahrer murmelte uns ein auswendig gelerntes kurzes Statement zu: “Die Bestellung ist wie angefordert in zwei Koffern im Laderaum. Ich krieg’ noch 210 NY für den Lieferwagen, lasst ihn einfach stehen, wenn ihr ihn nicht mehr braucht.”
Der junge Mann schien es eilig zu haben, wieder von uns wegzukommen. Möglicherweise lag das aber auch an Jacks Eigenart, zur Begrüßung mit den Fingern zu knacken, was einem Norm durchaus den Angstschweiß auf die Stirn treiben konnte. Ich beglich die Summe, während Jack und JD den Inhalt der Koffer kontrollierten. Jacks erhobener Daumen war mein Zeichen, den Lieferanten mit einem freundschaftlichen Klaps zu verabschieden.

Wir fuhren in nördlicher Richtung den Highway 63 Richtung Innenstadt von Columbia. Ich hatte die durchgeladene HK227S, die ich für mich bestellt hatte, in der Fahrertür untergebracht. JD saß neben mir auf dem Beifahrersitz und schien mit der gelieferten Ares Viper zufrieden, während Jack im hinteren Teil des Lieferwagens damit beschäftigt war, das FN-MAG5 zusammenzubauen und auf dem mitgelieferten Dreibein zu montieren. Nur so für alle Fälle. Die bestellte Wallacher hatte er nach einigen geübten Schwüngen als geeignet betrachtet, aber mit seiner HK war er irgendwie unzufrieden.
Ich holte tief Luft. "So, Jungs, wohin als erstes? Ich würde ja vorschlagen, wir versuchen unser Glück bei Comtech. Als gute Konzernsekretärin sollte sie so langsam auf dem Weg zur Arbeit sein."
"Jepp, da bin ich dabei", stimmte JD mir zu.
"Macht mal", grummelte der Troll von hinten, “mich braucht ihr da ja nicht.”
Ich schaute über die Schulter in den Laderaum und fragte mich, was mit Jack los war. Sonst sprühte er doch immer vor Aktionismus.

Timecode 23.01.2054 / 08:50:00

Wir hatten bei Comtech wenig Glück gehabt. Obwohl wir sogar zu Ms. Fosters direktem Vorgesetzten vorgedrungen waren, hatte sich nicht mehr ergeben als ihre Privatanschrift und die Erkenntnis, daß sie heute nicht zur Arbeit erschienen war. Offensichtlich arbeitete sie als einfache Sekretärin und hatte mit nichts Kontakt, was einen Run mit einem Team wie uns rechtfertigen würde. Ich war deutlich irritiert!

Als wir vor dem alten Backsteinhaus in Columbias Innenstadt vorfuhren, in dem sich Ms. Fosters Wohnung finden sollte, fiel mir auf, wie verhältnismäßig sauber und ordentlich hier alles war und wie niedrig der Metamenschenanteil auf den Straßen war. Kleinstadtidylle halt!
Jack sprang aus dem hinteren Teil des Lieferwagens und streckte sich, was bei einigen Passanten zu deutlichen Panikattacken führte. JD hatte seine Sinne bereits auf das Gebäude gerichtet und signalisierte uns "Alles clean".
Während Jack als "Türsteher" vor dem Gebäude Position bezog, eilten JD und ich die drei Treppen bis zu Ms. Fosters Wohnung nach oben.
Oben angelangt, fiel JD sofort ins Auge, dass das Schloss an Ms. Fosters Wohnungstür offensichtlich amateurhaft geknackt worden war. Alarmsirenen gingen in meinem Hirn los, und ich informierte Jack über die Neuigkeiten.
"Laßt mir was übrig", war sein kurzer und trockener Kommentar.
"Nein, du bleibst … ach Shit!" Ich hörte ihn bereits die Stufen in den dritten Stock hochlaufen.
Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Apartment unserer Zielperson. Navaho-Töpferkunst und wertvolle Bilder an den Wänden des geschmackvoll eingerichteten Raumes ließen mich ein wenig über die Vermögensverhältnisse von Ms. Foster nachdenken, als mein Blick auf einige Tonscherben und eine nicht unerhebliche Menge Blut auf dem Boden fiel. Waren wir nicht das einzige Team, dass hinter Ms. Foster her war?
Wir verteilten uns in der Wohnung und suchten nach Anhaltspunkten für ihren Verbleib, da sie sich offensichtlich nicht in ihrer Bude aufhielt.
JD inspizierte die Tonscherben und das Blut und kam zu dem Ergebnis, dass hier wohl irgendjemand ordentlich eins übergezogen bekommen hatte, aber nicht notwendigerweise tot war.
In der Küche fand sich nichts Bedeutsames, wenn man von einer Gehaltsabrechnung von Comtech absah, aber dort waren wir ja schon gewesen.
Im Schlafzimmer stießen wir auf ein ungemachtes Bett und ein über einen Hocker geworfenes Konzernkostüm mit dem Logo von Comtech. Eine der Schubladen der Kommode stand offen, und als ich mich ihr näherte, um nach dem Inhalt der Schublade zu schauen (Jeans und Pullover), entdeckte ich neben der Kommode ein fast volles Feuerzeug mit der Aufschrift "B.K. – Bar und Grill".
JD stieß zu mir, während Jack etwas mißmutig, weil es nicht zu einer Auseinandersetzung gekommen war, an der Wohnungstür Stellung bezog. Er ließ noch einmal den Blick durch den Raum schweifen. "Sieht so aus, als hätte Ms. Foster bereits Besuch gehabt. Und er war wohl nicht willkommen."
"Hmm … ", brummte ich, die Situation innerlich drehend und wendend, "die Frage ist: haben sie sie mitgenommen oder konnte sie entwischen? Irgendwelche Ideen, JD?"
Der Angesprochene schüttelte verneinend den massigen Schädel. "Nicht wirklich. Wenn das andere Team sie hat, haben wir wohl verloren und wenn nicht … hm … wird sie bestimmt untergetaucht sein."
"Wieso machen wir’s nicht wie zuhause und hören uns ein wenig um?" fragte Jack von der Tür aus.
Ich antwortete etwas genervt "Weil wir hier keinen Arsch kennen … vielleicht?"
"Okay", verteidigte sich unser Riesenbaby, "aber besser als hier in der Bude hocken und Däumchen dreh’n ist es allemal."
"Jack hat recht", warf JD ein,"Wir sollten uns einfach mal umhören. Vielleicht bringt uns das ja weiter…"

Timecode 23.01.2054 / 23:30:00

Tatsächlich führten die Erkundigungen im Umkreis von Ms. Fosters Wohnung zu wenig mehr, als dass sie eine völlig durchschnittliche, aber nette, junge Frau zu sein schien. Allerdings konnte niemand etwas über ihren Verbleib sagen, nur ein Hinweis auf die Location, in der sie sich ab und zu herumtrieb, ließ mich aufhorchen: B.K. – Bar und Grill.
Das hatte auch auf dem Feuerzeug gestanden, das ich gefunden hatte, und da ein Ertrinkender in der Not nach jedem Strohhalm greift, hatten wir beschlossen, dort heute abend mal vorbeizuschauen.
Als wir die Location erreichten, deren Logo bereits auf Kilometer Entfernung zu sehen war, war der Platz davor schon mit dutzenden Leuten gefüllt. Ein Hubschrauberlandeplatz und ein Parklatz, auf dem wir unseren Lieferwagen parkten, schienen zu dem Laden zu gehören. Wir bahnten uns den Weg zum Eingang und waren doch überrascht, welcher Schallpegel uns empfing, als wir die Tür öffneten. Offensichtlich wurde hier nicht am Soundsystem gespart. Zwei Türsteher musterten uns kurz und verlangten dann 20 NY Eintritt. Einer schien sich kurz an Jack’s Axt stören zu wollen, beließ es dann aber bei einem kritischen Blick.
Wir steuerten direkt die Bar an. Wenn man irgendwo neu ist, spricht man am Besten zuerst mit dem Mann hinter dem Tresen, denn der kennt sie alle. Und tatsächlich konnte er uns weiterhelfen, nachdem er uns mit einigen Kamikazes versorgt hatte. Er schickte uns zu den "Pretenders", einer ortsansässigen Gang, die das B.K.’s wohl als ihr Wohnzimmer betrachteten und in einer Ecke zusammenstanden. Angeblich waren sie mit Ms. Foster befreundet, was es möglicherweisse etwas unangenehm werden lassen würde. Mit Jack und JD im Rücken machte ich mir aber keine Sorgen, als ich auf sie zusteuerte.
Ein großer, bärtiger Mann drehte sich zu mir um, und die Gespräche der Ganger in ihren verblichenen Lederjacken mit dem Logo "Pretenders" fanden mit unserer Ankunft ein abruptes Ende.
"Hi…ich bin Silencio. Man hat mir gesagt, ihr könntet mir vielleicht weiterhelfen. Ich suche Jane Foster.", versuchte ich es auf die freundliche, unverbindliche Art.
"So, ihr seid das. Hey, Jungs, diese Pfeifen suchen Frosty. Was stimmt nicht? Habt ihr beim ersten Mal, als ihr ihre Wohnung umgepflügt habt, nicht gefunden, was ihr sucht? Nun, die Pretenders passen auf ihre Leute auf, und Frosty ist eine von unseren Leuten.", erklärte der Bärtige breit grinsend, und ich wusste, dass er gleich einen Fehler machen würde.
Wie aus dem Nichts schleuderte er einen Zauber auf uns, den die anderen Mitglieder seiner Gang als eine Art Angriffssignal zu verstehen schienen, bei uns aber wenig Eindruck hinterließ. Der alte Spruch ging mir wieder durch den Kopf. Dieses Mal eben mit bloßen Händen.
Ich machte einen schnellen Schritt nach links vorn und trieb meine Faust in den Unterleib des Bärtigen. Entgegen meinen Erwartungen klappte er nicht sofort zusammen, und ich sah mich genötigt, ihm meinen Ellenbogen in die rechte Niere zu rammen. Nun würde er eine Weile Blut pissen.
Vier der Ganger hatten Jack als Ziel auserkoren, aber sie waren keine Gegner, eher lästige Fliegen für unseren Teamtroll. JD war in ein Handgemenge mit zwei weiteren Gangern verstrickt, als mich ein Strahl magischer Energie traf. Drei der Ganger standen plötzlich zwischen mir und einem weiblichen Mitglied der Gang, das der Ursprung des magischen Angriffs zu sein schien. Ich schüttelte mich kurz und bekam von einem der drei voll eins in die Fresse. Meine Lippe platzte auf, und ich schmeckte Blut auf meiner Zunge. Mutig, Jüngelchen! Aber doch ziemlich dumm. Ein Tritt mit meinen Stahlkappenboots in seine Weichteile ließ ihn Familienplanung ganz ans Ende seiner Überlegungen setzen.
Jack hatte zwei der "Fliegen" bereits erledigt und zog nun breit grinsend seine Wallacher, was die verbliebenen beiden Ganger zu einem plötzlichen Abbruch ihrer Angriffsbemühungen bewog. JD nahm gerade seinen zweiten Gegner in den Schwitzkasten, und ich sah mich noch immer drei Gegnern gegenüber. Ich ignorierte die Angriffe der beiden Ganger, um mich voll auf die Frau zu konzentrieren. Immer erst die Magier!!!
Drei schnelle Schritte brachten mich in Angriffsreichweite, und ich plante ihr eine ordentliche Schelle zu geben, als mich ein weiterer magischer Angriff von ihr traf. Wie von einer Keule getroffen sah ich Sternchen.
"Mach jetzt keinen Fehler, Schätzchen!", hörte ich JD durch den Raum brüllen. Er hatte seinen Gegner mit der Linken im Schwitzkasten und mit der Rechten zielte er mit der Viper abwechselnd auf meine drei Gegner. Jetzt konnte es ganz schnell sehr häßlich und sehr blutig werden.Ich bewegte mich mit äußerster Vorsicht, um JD in diesem heiklen Moment keine falschen Singnale zu geben. Seine Stimme hatte eh schon sehr gestresst geklungen.
"Hört zu! Hier liegt ein Missverständnis vor. Wir waren in Fosters Wohnung, aber da war sie schon weg. Wir haben nichts mit ihrem Verschwinden zu tun." Soweit war das alles sogar die Wahrheit. "Wir wollen nur wissen, wo sie sich jetzt aufhält und ob sie dort sicher ist." Na gut, hier fingen die Lügen an.
Die angerückten Rausschmeißer des Ladens schienen sich nicht so recht entscheiden zu können, wie sie mit der entstandenen Situation umgehen sollten und verlegten sich erstmal aufs Abwarten.
"Von umf erfahrt ihr nifftf!", nuschelte einer der Ganger, der mit Jacks Faust kollidiert war.
Die Zauberschleuder stand wie erstarrt da und der Bärtige schien sich von meinem Nierentreffer noch nicht erholt zu haben. Also griff ich mir einen der noch stehenden Ganger und drückte ihm meinen Zeigefinger aufs Auge.
"Okay, Jüngelchen, dein Auge, deine Entscheidung. Ich kann jetzt die Klinge in meinem Zeigefinger ausfahren und aus deinem Auge Gelee machen oder du sagst mir einfach ganz freundlich, wo wir Ms. Foster finden."

Timecode 24.01.2054 / 00:55:00

Meine Verhörmethode hatte schnell Erfolg gezeigt und wir hatten die Information die wir wollten. Nachdem wir uns friedlich zurückgezogen hatten, waren wir mit dem Lieferwagen in die Nähe der genannten Adresse gefahren und gingen nun zu Fuß die letzten Meter zum St.-James-Heim, wo die Pretenders Ms. Foster untergebracht hatten. Da es sich um ein Auffangheim für Strassenmädchen handelte, ging ich davon aus, auch zu dieser späten Stunde dort jemanden anzutreffen.
Ich klopfte an die Eingangstür, und ich hoffte, die HK unter der Panzerjacke einigermaßen verbergen zu können. Die Lichtverhältnisse sollten ihr Übriges tun.
An einem kleinen Seitenfenster erschien erschien ein kleines Gesicht, dann wurden mehrere Riegel geöffnet und die Eingangstür von einer älteren Frau in Jogginghose und T-Shirt geöffnet.
"Guten Morgen. Ich bin Schwester Ann. Kann ich ihnen helfen?" Schwester Ann schien schon so einiges in ihrem Leben erlebt zu haben und sich nicht durch drei Metamenschen, die nachts an ihre Tür klopften, aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich versuchte es also mit der Wahrheit.
"Entschuldigen Sie, Schwester. Wir suchen Jane Foster."
Offensichtlich ein schlechter Ansatz, denn sie knallte uns die Tür vor der Nase zu und ich hörte sie drinnen rufen: "Verschwinde, Janey, sie sind da!"
Damit war klar, dass wir kurz vor unserem Ziel standen. Ich trat zur Seite und ließ Jack mit einem gezielten Tritt die Tür aus den Angeln treten, während sich JD auf den Weg zur Rückseite des Gebäudes machte, wo er einen Hinterausgang vermutete. Ich zückte die HK und trat in ein geräumiges Wohnzimmer in dem sich, neben Schwester Ann, drei Frauen aufhielten.
Kurz schienen sie versucht sich auf mich zu stürzen, aber entweder war es meine HK oder mein Chummer Jack, der nach mir ins Wohnzimmer trat, was sie davon abhielt. Ich folgte den Geräuschen schneller Schritte in die Küche und sah gerade noch, wie die Hintertür wieder zu fiel. Von draußen kam ein kurzer Aufschrei. Ich konnte nur hoffen, dass JD schnell genug gewesen war.

Timecode 24.01.2054 / 01:15:00

Natürlich war JD an Ort und Stelle gewesen und hatte sich unsere Zielperson geschnappt, ohne ihr ein Haar zu krümmen. Wir geleiteten sie zu unserem Lieferwagen, nachdem Jack sich ein paar Mal bei den Schwestern für die demolierte Tür entschuldigt hatte und waren froh, unser schon verloren geglaubtes Ziel doch noch zu erreichen. Ich rief wie vereinbart die von Mr. Johnson ausgehändigte Nummer an, um unseren Rückflug zu ordern, als ein Westwind uns mit einem gewagten Manöver zum Anhalten zwang und dabei den Lieferwagen beschädigte.
Fuck! Fuck! FUCK!!!
Aus dem Wagen sprangen ein Mensch und ein Ork bewaffnet mit schweren Revolvern.
JD öffnete die Beifahrertür und rollte nach draußen.
"Watt is’ los?", kam von Jack aus dem hinteren Teil des Lieferwagens, wo er die gut verschnürte Ms. Foster im Auge behielt.
"Wir haben Besuch!", rief ich zurück. "Zeig denen doch mal kurz dein Rohr."
Jack, der sonst nicht immer der Schnellste im Begreifen war, grinste breit, zeigte mir den erhobenen Daumen und griff nach dem auf einem Dreibein montierten Maschinengewehr.
Zwei Kugeln durchschlugen die Windschutzscheibe und hätten meinen Schädel in Brei verwandelt, wäre ich nicht abgetaucht.
JD eröffnete das Feuer aus seiner Viper, und die Flechettemunition hinterließ einige üble Kratzer im Gesicht des gegnerischen Orks.
Ich kam mit der HK im Anschlag wieder hoch und schickte zwei Salven in die Richtung des Fahrers des Westwind, der zuvor meinen Schädel als Ziel auserkoren hatte.
Der zweite Bewaffnete war aus meinem Blickfeld verschwunden. Der Ork feuerte auf JD und zwang ihn hinter einem parkenden Wagen in Deckung. Aus dem hinteren Teil des Westwind sprang ein Frau und richtete ihre Hände in unsere Richtung. KILL THE MAGE FIRST, verdammte Scheiße!!!
Jack öffnete die rückwärtige Tür unseres Wagens und sprang, das MG im Anschlag, auf die Straße. Der Typ, der aus meinem Blickfeld gelaufen war, eröffnete das Feuer auf Jack.
JD schickte mit zwei gezielten Schüssen aus der Viper den Ork in die ewigen Jagdgründe. Ich legte die HK an und wollte gerade die Zauberschleuder hinterher schicken, als sich aus ihren Händen ein hellblau leuchtender Energieball löste und auf mich zu raste. Die magische Energie ließ mich fast das Bewustsein verlieren. Ich hörte das Maschinengewehr rattern, dann zwei Schüsse aus der Viper, dann war Stille…

Timecode 24.01.2054 / 08:10:00

JD hatte die nur schlecht geschützte Zauberschleuder mit seiner Viper außer Gefecht gesetzt und somit den letzten der Angreifer ausgeschaltet. Wir waren zum Flughafen gefahren, nicht ohne vorher nochmal an Ms. Fosters Wohnung zu halten, um wie vereinbart die Blume dort zu hinterlegen, hatten dort unseren Lieferwagen abgegeben und waren gemeinsam mit Ms. Foster in den wartenden Lear Platinum gestiegen.
Jetzt, sechs Stunden später, stiegen wir auf dem Privatbereich des Sea-Tac-Flughafens aus dem Lear Platinum und waren uns nicht sicher, das Richtige getan zu haben. Ms. Foster schien nicht die geringste Ahnung zu haben, weshalb sie von uns entführt worden war und war uns somit keine Hilfe bei der Klärung der Identität unsereres ominösen Auftraggebers. Als sich die Rampe des Jets senkte, wartete bereits eine Nightsky-Limousine auf uns. Zwei Dreierreihen in schwarze Anzüge gekleidete Muskeln eskortierten unseren Johnson, der uns freundlich zu sich winkte.
"Schön zu sehen, daß sie Erfolg hatten." Er machte eine kleine entschuldigende Pause. "Ich muss sie leider von einer kleinen Planänderung in Kenntnis setzen."
Meine Nackenhaare sträubten sich. Wir hatten mit Ausnahme der Axt, von der Jack sich nicht trennen wollte, sämtliche Waffen im Lieferwagen gelassen und hatten nicht den Hauch einer Chance gegen die mitgebrachten Muskeln, sollte Mr. Johnson sich entschlossen haben, hier und jetzt ein paar lose Enden zu verknüpfen.
"Wir hören.", gab ich so cool wie möglich zurück, während ich Ms. Foster zwischen mich und die Muskeln schob, um sie notfalls als Kugelfang zu benutzen.
"Mein Auftraggeber möchte Sie gern persönlich kennenlernen und ihnen seinen Dank für ihre geleisteten Dienste zum Ausdruck bringen. Daher bittet er sie, Ms. Foster die nächsten vierundzwanzig Stunden in Gewahrsam zu behalten. Er wird sich bei ihnen melden…"
Ich war Profi. Meine Kinnlade blieb oben.


Gegenwart Part 1

Timecode 25.01.2054 / 03:35:00

Seit Stunden hockten wir mit Jane im Schlepptau, deren Laune sich von Minute zu Minute verschlechterte, in unserem Unterschlupf und warteten auf den Anruf unseres ominösen Auftraggebers. Wir hatten versucht, ein wenig Licht in das Wirrwarr der Aufträge zu bekommen, mit denen er uns betraut hatte.
Wir waren uns relativ sicher, dass alles mit dem Run auf Sylvan Information Systems im Juli letzten Jahres begonnen hatte. Wie sich herausgestellt hatte, war Ehran das Ziel dieses Runs gewesen.
Der Folgeauftrag hatte die Auslöschung der PNG zur Folge und schien somit auch mit Elfen in Verbindung zu stehen. Aber war die PNG nicht eher ein Gegenspieler Ehrans, bzw. der von ihm unterstützten YET? Handelte es sich möglicherweise um einen Gegenschlag, für die Entwendung von Ehrans Manuskript?
Dann waren wir Ende Oktober in die ADL geschickt worden. Wieder sollten wir etwas stehlen und etwas zurücklassen. Diesmal schien es keine Verbindungen zu irgendwelchen Elfen zu geben, aber mein Gefühl sagte mir, dass hinter dem “Pandaemonicus Faustus” vielleicht mehr steckte, als wir wussten. Es gab da ja diese Gerüchte über unsterbliche Elfen, die sich möglicherweise seit Jahrhunderten unter den Menschen versteckt hatten.
Spätestens der Run auf die YET im Dezember stellte die Verbindung her. Auch wenn der Run völlig in die Hose gegangen war und wir Cloud verloren hatten, hatten wir die Verbindung durch den Einband des “Pandaemonicus Faustus” herstellen können. Dieser Run schien sich wieder gegen Ehran zu richten. Aber was sollte das Ganze? Wieso dieser Aufwand, um einem Soziologen und Autor ans Bein zu pissen?
Ende Dezember kam dann die Reaktion von Ehran oder den YET. Da waren wir nicht sicher, aber unsere Gefangennahme stand auf jeden Fall in Zusammenhang mit dem Run auf die YET, wie die Anwesenheit des Elfenschönlings bewiesen hatte, dem ich ein neues “Antlitz” verpasst hatte.
Anfang diesen Jahres dann unser Ausflug an den Amazonas, der spätestens durch das Hinterlassen der gestohlenen Blume in Janes Wohnung mit unserem aktuellen Run in Verbindung stand. Tja, und dann diese seltsame Entführung einer scheinbar völlig bedeutungslosen Konzernsekretärin….
Wie stand dieser ganze Drek in Zusammenhang? Wir diskutierten und unsere Köpfe qualmten, aber wir fanden keine sinnvolle Erklärung für all diese Geschehnisse. Auch Ator, der mittlerweile wieder zu uns gestoßen war, konnte keine neuen Erkenntnisse beitragen.

Dann klingelte endlich mein Telefon.
“Ja?” meldete ich mich.
“Ah, Silencio“, sprach mich eine unbekannte Stimme an. “Ich bin sehr glücklich, dass Sie antworten. Verzeihen Sie den abgedroschenen Satz, aber: haben Sie das Mädchen?”
“Natürlich”, antwortete ich knurrig. Der wollte mich doch verarschen, oder?
“Bravo! Gut investiertes Geld. Eine Sache noch, und Ihre Geschäfte mit mir sind beendet. Bringen Sie Ihre Kollegen und das Mädchen bei Sonnenaufgang zum alten Southwind-Komplex in Tarislar. Kommen Sie nicht vorher oder Sie riskieren die Rache der dort Ansässigen. Sie erwarten Sie, aber erst mit der Sonne. Ich freue mich auf unser letztes Treffen.”
Dann wurde die Verbindung unterbrochen.

Die anderen hatten mitgehört, und Ator ergriff das Wort.
“Scheint so, als wären wir wirklich in irgendeine Elfenkacke geraten. Tarislar heißt in elfischer Sprache “Gedenken”. Ich bin wirklich gespannt, was uns erwartet.”
“Gespannt?” Ich lachte kurz auf. “Das ist ja wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Aber was soll das mit dem Sonnenaufgang? Etwas theatralisch, oder?”
“Ich glaube, wir haben es mit einem Magier zu tun”, antwortete mir Ator. “Und dann ist dieser Zeitpunkt bewusst gewählt, denn die Geister sind schwach während der Dämmerung.”
“Geister hin oder her, ich nehm’ auf jeden Fall meine Panther mit”, machte Jack seinen Standpunkt zum Thema Bewaffnung klar.
“Ja, wir sollten auf alles vorbereitet sein. Es kann gut sein, dass wir in einen Hinterhalt gelockt werden sollen, und in Tarislar wird es schwierig, Unterstützung zu erhalten”, gab JD zu bedenken.
“Ich glaube”, widersprach der Alligatorschamane, “wenn er uns hätte töten wollen, wären wir schon nicht mehr hier. Wir sind aus irgendeinem Grund wichtig für ihn. Aber es kann nicht verkehrt sein, mit dem Schlimmsten zu rechnen.” Ator schien nachdenklich, was für unseren Krokophilen schon etwas Besonderes war.
“Okay, dann rüsten wir uns mal fürs letzte Treffen. So oder so wird es heute morgen enden.” Ich musste daran denken, dass ich genau an jenem Tag geboren worden war, an dem der Große Geistertanz stattgefunden hatte und die Vulkane ausgebrochen waren, die Tarislar zu dem gemacht hatten, was es heute war. Hoffentlich hatte da nicht irgendein verrückter Elfenmagier irgendwelchen Opferhokuspokus geplant.

Timecode 25.01.2054 / 07:45:00

Wir näherten uns Puyallup von Norden. Wie immer hing eine dichte Wolke aus Smog, Asche und Verzweiflung über dem Ort, und je weiter wir nach Süden vordrangen, desto dichter schien sie zu werden. In wenigen Minuten musste die Sonne aufgehen, und wir waren kurz vor Tarislar, wo seit der Nacht des Zorns immer wieder Metamenschen, insbesondere Elfen, Zuflucht gesucht hatten.
Auf den Straßen, durch die wir Richtung Southwind-Komplex fuhren, standen eine Menge vermummter in dunkle Kleidung gehüllte Gestalten mit über die Gesichter gestülpten Atemmasken, die unsere Fahrt zu beobachten schienen. Mir stellten sich die Nackenhaare auf.
Im Osten schien die Sonne langsam aufzugehen, denn die Lichtverhältnisse änderten sich von grau-schwärzlich hin zu grau-grünlich, gerade als wir die drei Gebäude des Southwind-Komplexes erreichten.
Wir verließen den Wagen und waren froh, dass JD an Atemmasken für uns alle gedacht hatte. Jack winkte dankend ab. Sein leichter Körperpanzer war dank des Helmes besser als die Masken, aber uns anderen kamen sie gerade recht. Schwer bewaffnet und in Erwartung eines Hinterhaltes gingen wir mit Jane Foster auf die drei Gebäude zu. Irgendwie fühlte ich mich an den Abend auf der Konsulatsbaustelle erinnert. Es war ein Fiasko gewesen – und hatte nicht vielleicht bereits da alles begonnen?
Ator riß mich aus meinen Gedanken. “Hey, da steht einer!”, rief er überrascht.
Im Hof zwischen den drei Gebäuden stand eine einsame Gestalt, gehüllt in eine weiße Robe. Wir näherten uns, in alle Richtungen so gut es eben ging sichernd, und stellten fest, dass die Gestalt wohl schon einige Stunden hier stand, wenn man den Aschehaufen auf ihrem Kopf und den Schultern glauben durfte.
Reglos nahm der Unbekannte unsere Annäherung hin und wickelte sich, als wir noch 2 Meter von ihm entfernt waren, das Tuch, das er um seinen Kopf getragen hatte ab, um blinde milchig-weiße Augen zu enthüllen.
Wir blieben abrupt stehen. Der Unbekannte wandte sich Jane Foster zu, nickte und lächelte sie kurz an, bevor er sich an uns wandte.
“Er erwartet Euch auf der Spitze hinter mir. Geht mit der Frau zu ihm.”
Kaum ausgesprochen wickelte er sich das Tuch wieder um den Kopf und schwieg.

Die Fahrstühle des scheinbar verlassenen Bürogebäudes waren natürlich schon vor langer Zeit außer Betrieb gegangen und so blieb uns nur der mühsame Aufstieg über die Treppen. Die Atemmasken und die mitgeführte Ausrüstung machten das zu einer anstrengenden Prozedur.
Jane, die sich bisher sehr zurückhaltend verhalten hatte, schien nun beschwingt. Anscheinend hoffte sie auch auf die Auflösung ihres ganz persönlichen Puzzles.
Im 20.Stockwerk legten wir eine kurze Pause ein, doch Jane schien ungeduldig zu werden – und auch Ator zeigte wenig Bereitschaft, weitere Sekunden zu verschenken.
Zehn Stockwerke weiter stießen wir auf einen Schriftzug an der Wand, der von einem, durch einen Mauerriss einfallenden Sonnenstrahl erhellt wurde: “Man muß das Chaos in sich selbst erkennen, um einen tanzenden Stern zu gebären.”
Ator blieb kurz davor stehen und reckte den Hals. Ich war versucht, ihn anzusprechen, aber er schien in seiner eigenen Welt zu sein, und ich wollte ihn jetzt lieber nicht stören.
“Hey, hört ihr auch die Musik?”, unterbrach JD meinen Gedankengang.
Tatsächlich schien von irgendwo weiter oben Musik zu erklingen. Wir alle bis auf Jack, dessen Panther seit dem Austieg aus unserem Fahrzeug feuerbereit war, aktivierten unsere Smartgun-Verbindungen und sonstige Cyberware. Ator ging unbeirrt weiter gefolgt von Jane.
Je höher wir kamen umso lauter und deutlicher wurde die Musik. Es handelte sich eindeutig um den Klang einer Gitarre. Wir erreichten das 40. Stockwerk ohne Zwischenfälle. Die Decke dieses Stockwerks war deutlich in Mitleidenschaft gezogen, und durch mehrere große Löcher sahen wir den wolkenverhangenen Himmel über Tarislar. Wir folgten der Musik durch das Stockwerk bis in das Büro, in dem einst wohl der Präsident der Firma residiert hatte.
Dort stand ein einzelner Mann. Ein Elf! Er hatte uns den Rücken zugewandt, und wir sahen zunächst nicht mehr als den langen grünen Mantel, das graumelierte, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundene Haar und den schlanken Hals der Gitarre von ihm.
Er spielte das Instrument mit einer Kraft und Melodie, die etwas Majestätisches hatte. Selbst Jack, den sonst nichts so schnell stoppte, blieb stehen und lauschte bis zum letzten langen Akkord.
Dann drehte sich der Elf um. Sein Gesicht trug die klassische Bemalung eines Harlekins. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte!
Unser Gegenüber grinste breit.
“Gentlemen! Willkommen auf dem Olymp. Ich habe Sie erwartet.”
Anschließend begrüßte er jeden Einzelnen von uns mit Namen und den Worten: “Es freut mich, mich Ihnen endlich persönlich vorstellen zu können. Mein Name ist Harlekin.”
Danach wandte er sich an Jane. Mein Blick ging zu Ator. Ich meine, seine Haut hatte eine leicht grünliche Farbe und ledrige Struktur angenommen, aber vielleicht lag es auch nur an den herschenden Lichtverhältnissen.
Der so sonderbar Bemalte nahm die angebotene Hand und führte sie zu seinen Lippen.
Kein Zeichen von Ator. Ich signalisierte Jack und JD “Abwarten”.
“Miss Foster, ich habe ein Leben lang darauf gewartet, Ihnen zu begegnen.” Er nahm ihre Hand und führte sie in die Mitte des Raumes.
Ator schien alles gelassen hinzunehmen. Bevor Jack etwas Unüberlegtes tun konnte, sendete ich ihm ein erneutes “Abwarten”-Zeichen. Irgendwie wurde ich den Gedanken nicht los, dass selbst eine Panther möglicherweise nicht genug Power hatte, um Harlekin Einhalt gebieten zu können. Der Kerl war verdammt selbstsicher!
JD lenkte meinen Blick in Richtung eines Schriftzugs an einer der Wände:
Das Ritual, soweit ich mich erinnern kann
von -H-

Aus dem Fokus meines Herzens rufe ich die Worte
Im Ärger gesprochen und voll Begierde enthüllt
Durch meine Herausforderung in Wort und Tat
Durch mein Blutopfer Dein Bann erweckt
Deine Gestalt und Form gab es nie

Auf Deinen Körper rufe ich die Worte des Bedenkens
Auf Deinen Haß rufe ich Gerechtigkeit,
den unbefriedigten Haß
Auf deine Vergangenheit und ihre Schatten
leuchte ich das entlarvende Licht
Auf Deine Liebe und Freude gebe ich Trennung
Auf Deinen Geist gebe ich Einsamkeit
Auf Deine Zukunft bringe ich Angst und Trauer
Auf Dich beschwöre ich alles

Die Winde sollen Deinen Namen löschen
Der Sand die Spuren Deines Gangs
Die Sonne die Kühle Deines Schattens
Den Wassern übergebe ich Deine Essenz
Deine Gestalt und Form gab es nie.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das etwas mit dem zu tun hatte, was wir gerade erlebten, aber ich bekam es nicht zusammen.

Schließlich war es Ator, der das Wort ergriff.
“Okay, Harlekin, bis hierhin sind wir gekommen. Meinst du nicht, es ist an der Zeit, uns ein wenig in das einzuweihen, was hier wirklich abgeht?”
Der Angesprochene wandte sich ihm zu. “Ich weiß gar nicht, ob Sie das wirklich wissen wollen, denn manchmal ist man glücklicher, wenn man nicht alles weiß. Aber Sie haben sich das Recht auf ein wenig Aufklärung verdient.”

Was jetzt folgte war eine der wenigen Begründungen für einen Run, die ich jemals erhalten habe und ließ mir dir Haare zu Berge stehen. Harlekin hatte mit Ehran ein “Spiel”, wie er es nannte, gespielt, bei dem es darum ging, die Vergangenheit und Zukunft, die Liebe und den Hass, das körperliche und spirituelle Ich zu treffen.
Mein Blick wanderte abermals über die Zeilen an der Wand.
“Ja, ich wollte wissen, wie es sich in Englisch liest. Aber machen Sie sich keine Gedanken, die Regeln des Chal'han verbieten Ehran jegliche Form der Rache an Ihnen persönlich."
Harlekin schien vollkommen unbefangen, hatte uns aber gerade mitgeteilt, daß wir im Rahmen seiner Aufträge mehrere Menschen getötet hatten und dies nur, weil er und ein anderer Körnerfresser ein Machtspielchen zu laufen hatten. Ich war ziemlich angepisst! Manchmal ist es besser, nicht zu wissen, warum man etwas tut.
Ich begann mich zu fragen, welche Rolle Ms. Foster in dem Ganzen spielte.
Als schien Harlekin meine Gedanken zu erraten, wandte er sich an Ms. Foster.
“Nun, meine liebe Miss Foster, was Sie nicht wissen, ist, dass Sie die lang verlorene Tochter des Autors Ehran sind, wie er sich zur Zeit nennen läßt. Ich sollte hinzufügen, daß nicht er Sie verloren sondern vielmehr gestattet hat, daß Sie ihn verlieren.”
Mein Blick streifte Ms Foster, die sichtlich erblasste und mit ihrer Fassung rang und blieb dann an Ator haften, der mit einer Geste “Astralraum sauber!” signalisierte.
“All die Jahre hat er allerdings Ihre Spur verfolgt. Wie? Sehr einfach. Bevor er Sie als Kind so schmächlich im Stich ließ, oder besser, bevor er gestattete, daß Sie durch den frühen Tod Ihrer wunderbaren Mutter verlassen wurden, hat er einen machtvollen Zauberspeicher in Ihnen verborgen. Es ist kein gewöhnlicher Zauberspeicher, Jane, wenn Sie etwas von diesen Dingen verstehen. Als Sie noch ein Kind waren, ließ er besondere Materialien in Ihren linken Hüftknochen einweben. Diese verzauberte er, einen Spruch zu halten, den er selbst entwickelt hat; einen Spruch, der ihn nicht nur Sie finden ließ, sondern Sie vor neugierigen Augen verbarg. Nun, dieser Spruch liegt weit jenseits der Fähigkeiten eines heutigen Zauberers, und so konnte er sich sicher sein, daß Sie sicher seien. Er vergaß jedoch, daß er und ich denselben Lehrer hatten. Ich verstehe die Wirkung dieser Verbindung. Es hat Zeit gekostet, diese Geheimnisse aus der Ferne zu lüften, aber ich habe es geschafft. Und ich bin mir sicher, dass er es nicht erwartet. Ehran glaubt, daß ich Sie benutzen werde, um ihn ins Freie zu locken, wo ich die letzte Herausforderung gegen sein physisches Ich beginnen kann. Statt dessen werde ich ihn durch Sie treffen. Durch die Verbindung, die er so sorgsam verborgen hat.”
“Der labert aber ‘ne Menge gequirlte Kacke! Darf ich ihn endlich wegpusten?” knurrte Jack von rechts hinter mir. “Absolut nicht”, entgegnete ich hastig. “Wir sind noch nicht bezahlt worden.”
“Oh. Hm.” Jack schien diese relevante Information erst einmal verdauen zu müssen. Immerhin verzichtete er jetzt aber auf erneute Fragen, wann er loslegen dürfe.

Ich war mir nicht ganz sicher, wem unsere Loyalität gelten sollte, aber im Zweifel war es nicht gut für die Reputation, den Auftraggeber auszuknipsen – und das war nun einmal eindeutig Harlekin. Mein Blick ging von JD, der sich links vor mir positioniert hatte, und nur mit den Schultern zuckte, zu Ator. Dieser schien seine Sinne noch immer in den Astralraum gerichtet zu halten, wirkte aber irgendwie entspannt.
“Es wäre mir eine Freude, Sie an dem Ritual, welches meine Bemühungen vollenden wird, teilhaben zu lassen.”, sprach Harlekin den Schamanen an.
Ators Zustimmung überraschte mich ein wenig, mehr jedoch verblüffte mich Harlekins Frage, ob auch JD, Jack und ich an dem Ritual teilnehmen würden. Ich blickte die anderen beiden fragend an. Schließlich siegte aber die Neugier der Mundanen und wir willigten ein.
Die nächste halbe Stunde verbrachten wir damit unter Harlekins Anleitung einen bestimmten Ton zu summen. An sich kein schweres Vorhaben, aber der Elf schien immer wieder etwas an unserem Summen auszusetzen zu haben und das immer breiter werdende Grinsen von Ator ließ mich vermuten, daß wir gerade in irgendeiner Weise verarscht wurden.
Gerade als ich kurz davor war die Schnauze voll zu haben, schien Harlekin zufrieden und rief Ator zu sich in einen Ritualkreis, in dessen Mitte Ms. Foster von ihm positioniert wurde.

Das, was wir als das Ritual wahrnahmen, war alles andere als eine spannende Angelegenheit. Ein bissl Gesinge und Gehampel, ein paar Ermahnungen, nicht mit dem Gesumme aufzuhören und noch mehr Gehampel. Mir tat es schon wieder leid, meine Zustimmung zu diesem lausigen Hokuspokus gegeben zu haben, aber in diesem Stadium war ein Rückzug schlechterdings noch möglich. Trotzdem witterte ich Verrat, denn Ators Gegrinse ging mir allmählich auf die Nerven.
Und gerade, als ich mir dessen bewusst wurde, dass es mich wirklich nervte, begann der Drek zu dampfen. Harlekin stoppte gerade sein Gehampel und Gesinge und streckte seine Hand in Richtung Jane Foster aus, als ein Blitz erst aus Jane Fosters Körper auf Harlekin übersprang, und dann unter erschrecktem Fluchen des Getroffenen eine hastige Handbewegung Harlekins dafür sorgte, dass ein gleichartiger Blitz wieder Ms. Foster traf. Das allerdings hatte einen wesentlich hässlicheren Effekt als die erste Darbietung, denn mit einem hässlichen Krachen brach irgendwo in ihrer Körpermitte ein Knochen, und Blutspritzer sowie sonstiges Gewebe verteilten sich großzügig über den improvisierten Ballsaal. Mit einem plötzlich abbrechenden Schmerzensschrei brach sie zusammen und blieb verkrümmt liegen. Eine Druckwelle trieb uns alle auseinander, und Harlekin wurde von ihr zu Boden geschleudert. Ich wunderte mich ein wenig über den Umstand, dass ich gar keine Explosion gesehen hatte, die diese Druckwelle rechtfertigen würde, aber ich hatte einige Mühe gehabt, auf den Beinen zu bleiben, und ich konnte auch ziemlich klar sehen, wie ein ziemlich bestürzt aussehender Harlekin sich mühevoll aufrappelte und mit gehörigem Entsetzen die ziemlich aus dem Ruder gelaufene Szenerie überblickte. Er fluchte sogleich in schauerlichsten Färbungen (und in einer uns unbekannten Sprache) und stürzte zu der schwerverletzten und bewußtlosen Sekretärin. Dann drehte er sich nach Süden und schaute in die Ferne. Wieder stiess er einen Schwall Worte aus, die sicher nicht zu einer Liebeserklärung gehörten, aber diesmal konnte ich das Wort “Ehran” identifizieren. Während er mit verbissener Miene einen Heilzauber auf Jane Foster legte, sprach er uns an, ohne uns anzusehen.
“Meine Herren, ich muß Sie um einen weiteren Dienst bitten. Sie müssen zu Ehran gehen und sehen, was aus ihm geworden ist. Wenn er verwundet ist, wie ich vermute, helfen Sie ihm, so gut Sie können. Die Form der Herausforderung, die ich gewählt habe, darf nicht in körperlichem Schaden für ihn enden. Wenn das geschehen ist, habe ich verloren, und meine Ehre ist vertan. Wenn Ehran noch lebt, darf ich nach den Regeln des Rituals nicht direkt eingreifen. Deshalb müssen Sie gehen.”
Noch während er sprach, erhob sich ein starker Luftzug, der sich zu einem ernsten Sturm auswuchs.
Ator versuchte, gegen den anschwellenden Lärm anzuschreien: “Ich weiß nicht, ob ich jetzt beruhigt sein soll, wenn ich merke, daß das kein natürlicher Sturm ist… da kommt ein Elementar angerauscht.”
Als er bemerkte, daß Harlekin sich und die immer noch bewußtlose Ms. Foster abreisebereit machte, schien ihm ein Licht aufzugehen. Schließlich nahm Harlekin die Frau auf die Arme und ging mit ihr zu einem Loch in der Wand.
“Als der Spruch traf, war Ehran am Nordhang des Mount St.Helens. Es scheint, als sei er teilweise ausgebrochen, was nahelegt, daß Ehran Macht durch ihn gewoben hat. Sie müssen dorthin gehen, ihn finden und auf eine Nachricht von mir warten. Wenn Sie nicht tun, was ich sage, werde ich Sie ans Ende der Welt jagen, und Sie werden Schmerzen erleiden, von denen diese Zivilisation nicht einmal träumen kann.”, mit diesen Worten drehte Harlekin sich um, machte einen Schritt durch das Loch in der Wand und fiel, Ms Foster auf den Armen haltend, in die Tiefe.
Jack stürmte vor. “Das Arschloch wird von nem Luftwirbel weggetragen! Noch isser in Reicheweite!”
Kurz war ich versucht, mich Jacks Sicht der Dinge anzuschließen. Aber erstens die Kohle und zweitens die Reputation.
“Laß ihn!”, rief ich Jack über den abflauenden Wind zu.
“Ja, Jackieboy, laß ihn!”, mischte sich Ator ein. “Der Kerl hat mehr auf dem Kasten, als irgendwer, den ich bisher getroffen hab. Wahrscheinlich würdest du ihn nur ärgern.”

Wir hielten einen kurzen “Kriegsrat”.
Ator erklärte, daß er Harlekin für einen hochstufigen hermetischen Initiaten hielt, dessen Macht weit größer war als seine eigene. Ein Eingeständnis, daß jeden von uns überraschte. Normalerweise hielt sich unser Alligator-Schamane für unbesiegbar.
Auch wenn das Ritual Humbug gewesen war und die einzige magische Handlung, die Harlekin vollbracht hatte, die Aktivierung eines Fokus in oder an der Hüfte von Ms Foster war, sprachen der Luftgeist und die Fähigkeit Harlekins, seine eigene magische Aura zu tarnen, eine eigene Sprache. Ator schien ausreichend beeindruckt, um den “Befehlen”, denn als solche empfand ich Harlekins letzte Sätze, folge leisten zu wollen, was uns ein weiteres Mal überraschte.
“Ich bin dabei, wenn ich ihm am Ende ordentlich in die Fresse hauen darf!” war Jacks Beitrag zu unserem kurzen Austausch.
Ich blickte zu JD, die Stimme der Vernunft, wie ich hoffte.
“Auch wenn mir die Worte von dem Spitzohr nicht gefallen, erstens, wir wurden noch nicht bezahlt und zweitens interessiert es mich schon irgendwie, wie die ganze Sache ausgeht. Wir sollten zum Mount St.Helens und wir sollten uns beeilen, da wird es in Kürze von Schaulustigen wimmeln. Oder hast du ernsthafte Einwände, Silencio?”
Nein, hatte ich nicht. Nur ein mulmiges Gefühl ganz tief in den Eingeweiden…


Gegenwart Part 2

Timecode 25.01.2054 / 11:30:00

Der Grenzübertritt war Dank Ators Connections kein größeres Problem. Wir konnten sogar unsere Ausrüstung ohne Probleme transportieren, da er irgendeinen Deal hatte, der es ihm erlaubte, mit seinem Ares Dragon die Grenze zu passieren.
Wir hatten alles in Wanderrucksäcke verpackt, und es gelang uns, den Patrouillen des Salish-Shidhe Council auszuweichen, die ausgeschickt worden waren, um allzu neugierige und unbedarfte Wanderer und Schaulustige vom Vulkan fernzuhalten. Zwei Mal musste uns Ator mit einem Unsichtbarkeitszauber vor überfliegenden Drohnen verbergen, aber nun standen wir am Eingang zu den Höhlen, die sich bei dem Ausbruch von 2017 gebildet hatten.
“Ob ihr es glaubt oder nicht”, bemerkte der Schamane verwundert, “aber aus diesen Höhlen sickert Mana.” Ator hatte auf Astralsicht gewechselt, um einen Eindruck der Astralebene zu erhalten und eventuell patrouillierende Geister aufzuspüren. “Aber sonst ist es hier verhältnismäßig ruhig. Ich hätte mehr erwartet. Lasst uns dem Mana folgen.”
Da niemand von uns einen besseren Vorschlag hatte, überließen wir Ator die Führung und begaben uns in den Berg.

Wenige Meter hinter dem Höhleneingang holten wir unsere Ausrüstung aus den Rucksäcken und machten uns gefechtsbereit. Jack legte seine Sicherheitspanzerung an und machte seine Panther feuerbereit, während der Rest von uns Panzerjacken und deutlich kleinere Kaliber bevorzugte.
“Alter”, keuchte JD im Bemühen, nicht ins Straucheln zu kommen. “Nach unserem Ausflug an den Amazonas hättest du deine Panzerung ruhig mal reinigen können!”, er war derjenige, der aussprach, was jedem von uns durch den Kopf ging, nachdem wir der olfaktorischen Folter zum Opfer gefallen waren, die von Jack ausging. Jacks Antwort bestand nur aus dem erhobenen Mittelfinger der linken Hand.

Wahrscheinlich wären wir Stunden durch die Höhlen geirrt, wäre Ator nicht der Spur des Manas gefolgt, die uns schließlich zu einer scheinbar natürlich entstandenen Felsbrücke über einem mehrere hundert Meter tiefen Abgrund führte. Heiße Winde schlugen uns entgegen, und ein Blick in den Abgrund offenbarte einen Lavastrom, der dort unten träge floß. Ator ließ sich nicht beirren und setzte seinen Weg fort. Da die “Brücke” nur einen knappen Meter breit und ohne Geländer geliefert worden war, blieb uns nichts anderes übrig, als sie brav hintereinander zu passieren. Ator ging, gefolgt von mir, voran, dann kam JD, und Jack bildete den Abschluss.

Wir waren vielleicht 10 Meter weit gekommen, als uns Getrampel hinter uns herumfahren ließ. Während JD und ich fast zeitgleich unsere Drehung vollendeten und eine rötlich-metallen glänzende, haarlose Kreatur auf Jack zurasen sahen, schien dieser deutliche Schwierigkeiten zu haben, mit der Panther im Anschlag seinen Körper die notwendigen 180° rotieren zu lassen. Fast wirkte es, als bewegte er sich in Zeitlupe. Das Viech erreichte ihn, als er dreiviertel des Weges zurückgelegt hatte und schlug mit seiner Pranke, die nur unwesentlich kleiner war, als das, was Jack seine Hand nannte, nach dem Troll. Die Wucht des Schlages ließ ihn taumeln, und er musste mit beiden Händen Halt im Felsen suchen, um nicht in den Abgrund zu segeln.
Nicht gut für das mit Hörnern auf dem Kopf versehene Viech. Die zuvor durch Jack verstellte Schußbahn wurde so frei. Mit zwei Kugeln in die Brust, gefolgt von einer Salve aus meiner UrbanCombat, stoppten JD und ich den Angriff des häßlichen Monsters. Der Körper klappte zusammen und wurde von seinem verbleibenden Schwung über den Rand der Brücke getrieben. Schlaff trudelte der gegen das Licht der glühenden Lava weit unter uns dunkel scheinende Körper in die Tiefe, bis er im grellroten Kontrast unsichtbar wurde. Jack richtete sich auf und stellte zufrieden fest, daß die Panther noch an seinem Schultergurt hing.
“Netter Versuch, Monster!” Er zog hoch und spuckte dem Wesen noch einen ziemlich ekligen letzten Trollgruß hinterher.
“Immerhin hat es gereicht, uns die Klingel drücken zu lassen” zischte Ator verärgert. “Oder glaubt ihr, die Schüsse sind überhört worden?”
“Mach mal halblang, Ator”, wagte ich den Versuch, ihn zu beruhigen. “Was hätten wir denn tun sollen?” Auch wenn ich wusste, daß unsere Reaktion sicherlich nicht unbemerkt geblieben war, hätte ich immer wieder so reagiert, denn das Risiko, einen von uns an den Lavastrom zu verlieren, war mir in jedem Fall zu groß.
Ator ließ es darauf beruhen, und wir erreichten ohne weitere Konversation oder Unterbrechungen die andere Seite der Brücke.

Waren die Höhlen, durch die wir bisher gegangen waren, eindeutig natürlicher Herkunft, so schien sich hier jemand die Mühe gemacht zu haben, einen schlauchartigen Gang anzulegen, dessen Wände eine edelsteinartige Oberfläche aufwiesen.
“Ich bin mir ziemlich sicher, daß dieser Gang mittels Magie in den Fels getrieben wurde”, gab Ator seine Erkenntnisse zum Besten. “Hier ist ein sehr mächtiger Hüter eingewoben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jenseits des Eingangs noch Geister beschwören kann. Jedenfalls blockiert der Hüter meine astralen Sinne. Vielleicht sollte jemand von euch vorgehen.” Er sah uns fragend an.
JD und ich wechselten einen kurzen Blick, aber wir waren uns einig, daß wir keinesfalls Jack vorgehen lassen wollten.
Nach kurzer Kalkulation entschied ich mich. “Okay, ich gehe vor. Jack, du schützt Ator, sollte es Probleme geben, und JD macht die Nachhut. Einwände?”
“Immer muss ich den Babysitter machen, Silencio. Irgendwie finde ich das nicht fair”, maulte Jack.
“Noch so’n Spruch und ich schick dich dem Viech hinterher”, empörte sich Ator mit mühsam unterdrückter Wut.
“Hey, kommt mal wieder runter” mischte ich mich ein. “Am Ende wollen wir das hier alle nur heil überstehen. Jack, wenn du ‘n Problem mit meiner taktischen Einteilung hast, können wir das gern ein anderes Mal diskutieren.” Ich hatte echt keinen Nerv, hier und jetzt mit unserem Riesenbaby eine Grundsatzdiskussion zu beginnen.
“Wir sind alle ganz schön angespannt”, versuchte JD, die Situation zu beruhigen.”Vielleicht gehen wir einfach weiter und unsere Probleme lösen sich von ganz allein.”

Wir folgten also dem Tunnel, der schließlich leicht bergauf führte, um dann unerwartet in einem großen Raum zu enden. Die bestimmt fünf Meter hohen Wände und Decken wirkten wie aus Marmor, durchsetzt mit feinen Goldadern. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, etwa sechs Meter entfernt, sahen wir eine hohe aus Bronze und geschwärztem Metall gefertigte Tür und davor eine Vierergruppe bekleideter Waldteufel.
So langsam kam ich mir wie in einem schlechten Fantasy-SIM vor.
Tatsächlich unterschied sich die Bekleidung der vier nur in der Farbgebung. Zwei von ihnen, “Smaragdgrün” und “Grau” hielten Tabletts mit Erbeeren und irgendeinem Prickelwasser, während die anderen beiden, “Türkis” und “Braun”, uns mit leeren Händen, aber breit grinsend begrüßten.
“Bereitet haben wir Getränke von feinem Champagner und Geschmack von erlesenen Erdbeeren für unsere Gäste”, sprach Braun uns mit einem mir unbekannten Akzent an. “Willkommen in Althain. Kommen Sie, mein Herr erwartet Sie im Inneren.”
Profi hin oder her, jetzt klappte meine Kinnlade runter.
Jack schob sich an mir vorbei und griff nach einem der Champagnergläser.
“Mach den Mund zu und genieß es einfach!”, kicherte Ator nun ebenfalls grinsend.
“Die Gläser sind zwar zu klein, aber die Brause fetzt!” Jack hatte drei der Gläser bereits geleert und rülpste ungeniert beim Sprechen.
“Halt dich ein bischen zurück, Großer!” JD kam mir mit der Ermahnung um eine Sekunde zuvor. “Es gibt vielleicht doch noch was für dich zu tun.”
Entweder hatten die anderen keine Ahnung, oder es interessierte sie einfach nicht, daß wir hier gerade von einer Gruppe Hominider auf Primatenniveau mit Champagner und warmen Worten begrüßt wurden.
Ich straffte mich und versuchte, energisch auszusehen. “Okay, ich weiß zwar nicht, wer euer Herr ist, aber wir sind hier, um nach dem Rechten zu schauen.” Währenddessen schaute ich von einem der Waldteufel zum nächsten, da ich ja nicht wußte, wer der vier der Wortführer sein würde.
“Dann folgt mir!” erwiderte Braun und drehte sich um. Während er die offenbar sehr massive Tür langsam öffnete, bot Türkis an, unsere Mäntel zu nehmen, die wir sicher hier nicht bräuchten. Wir lehnten dankend ab. Und ich wunderte mich ein wenig, daß wir nicht gebeten wurden, unsere offen getragenen Waffen abzugeben. Es schien so, als würden diese von den Waldteufeln komplett ignoriert.

Die Tür führte in ein großes Foyer mit einer nach oben führenden Wendeltreppe. Aus Deckenfenstern schien Tageslicht in den Raum zu fallen, was seltsam war, denn meiner Einschätzung nach sollten wir uns nach wie vor tief im Inneren des Mount St.Helens befinden.
Der gesamte Raum war altertümlich eingerichtet. An den Wänden hingen Gemälde von Personen aus einer anderen Zeit, und auf mehreren kleineren Säulen standen filigrane Kunstobjekte.
Ator gab ein leise pfeifendes Geräusch von sich.
Eine doppelflüglige, goldverzierte, weiße Tür direkt uns gegenüber schien das Ziel von Braun zu sein, der weiter voranschritt, während die anderen drei hinter uns blieben. Dies verleitete Jack immer wieder, einen Blick über die Schulter zu werfen. Offensichtlich traute er den Waldteufeln nicht.
Hinter der Tür schloß sich ein kurzer Flur an, der links und rechts jeweils eine Tür aufwies und nach wenigen Metern an einer weiteren Tür endete. Grauer Marmor diesmal, aber ich konnte den Gedanken nicht abschütteln, daß die Gemälde, die auch hier an den Wänden hingen, für den einen oder anderen feuchten Traum eines Kurators würden sorgen können.
Braun öffnete eine der seitlichen Türen und bat uns einzutreten. Der Kontrast hätte nicht größer sein können. Schwarze und weiße Möbel modernster Machart, eine gut bestückte Snack- und Getränkebar, sowie ein Audio-Video-System, das keine Wünsche offen ließ, hießen uns willkommen zurück im 21. Jahrhundert.
“Mein Herr ist im Moment verhindert und bittet Sie zu warten, bis er es nicht mehr ist.” entschuldigte sich Braun bei uns, bevor er sich aus dem Raum zurückzog.
Ziemlich verdutzt nahmen wir Platz und bemerkten erst dann die Anwesenheit von Grau, der uns nun ansprach: “Ich bin ihr Diener. Was sind ihre Wünsche?”

Ich schaute Ator fragend an. “Haben wir irgendwelche Wünsche? Und wieso grinst du die ganze Zeit so?”
“Hmm…” Ators Stimmung schien durch nichts getrübt werden zu können. “Wünsche hätte ich ne Menge, aber ich glaub' nicht, daß diese Burschen hier die richtigen sind. Laßt uns den Kleinen einfach ignorieren. Ich glaube sie sind eh nur dafür da uns zu blenden, bzw. aufzuhalten.”
“Wie meinste das denn jetzt?”, fragte Jack, der gerade damit beschäftigt war, eine Pfundpackung Erdnüsse zu zerkauen. Seine Panther hatte er zwar nicht abgestellt, aber er schien den Waldteufel nicht für eine ernsthafte Bedrohung zu halten.
“Naja”, er räusperte sich, “ich meine, hier drin wird ne Menge Hokuspokus veranstaltet und zwar sinnbildlich wie wörtlich gesprochen. Der Astralraum hier ist so dicht, daß mir selbst astrale Wahrnehmung schwer fällt. Und das ganze Ambiente hier ist doch ein Durcheinander verschiedener Stile, die eindeutig vor unser aller Geburt in Mode waren. Dazu die vier Dudes hier”, er deutete lässig mit dem Daumen auf Grau, “die aussehen, als wären sie einem Fantasytrid entsprungen.” Endlich sprach mal einer aus, was mir die ganze Zeit schon durch die Birne ging.
“Okay” warf ich ein, “aber das erklärt nicht dein Gegrinse.” Ich warf einen Blick auf Grau, der unserem Gespräch nur bedingt zu folgen schien und den Eindruck machte, darauf zu warten, endlich einen unserer Wünsche zu erfüllen.
“Also ich glaub ja, das is' 'ne reine Übersprungshandlung von Ator.” JD konnte sich diese eine Spitze nicht verkneifen. “Wenn ich das richtig sehe, hat Mr. Almighty Alligator die Hosen gestrichen voll. Spätestens seit wir vorhin diesen Harlekin-Kaspar getroffen haben.”
Der so Verhöhnte drehte sich zu dem Ork um und fixierte ihn. “Auch wenn du dafür eigentlich eins in die Fresse verdienst, JD, hast du nicht ganz unrecht. Ich werd das Gefühl nicht los, daß wir hier verarscht werden und am Ende selbst gar nichts ausrichten können.” Er räusperte sich erneut. “Mal im Ernst, vor ein paar Stunden dieses vermeintliche Ritual, dann ein Vulkanausbruch und jetzt ein geheimes Refugium mit Fantasytridwächtern im Mount St. Helens. Was jetzt eigentlich nur noch fehlt, ist so'n feuerspeiender Drache, der aus seinem tausendjährigen Schlaf erwacht.” Im Nachhinein schien das einer dieser prophetischen Momente unseres Schamanen gewesen zu sein, für die wir ihn zugleich hassten und liebten. Und es wäre mir durchaus lieb gewesen, wenn er sich dieses eine Mal doch geirrt hätte.
“Schön”, seufzte ich, “letzteres wollen wir mal nicht hoffen. Aber was machen wir jetzt und wieso zeigen diese Jungs hier kein Interesse an unseren Waffen?” Mein fragender Blick in die Runde blieb unbeantwortet.

Timecode 25.01.2054 / 13:20:00

Nachdem wir uns entschlossen hatten, zunächst einmal abzuwarten, hatte auch ich mir ein Bier gegönnt. Jack hatte die Erdnüsse mit einer Zweiliterflasche Cola runtergespült und JD sich ein Wasser genommen. Nur Ator schien kein Interesse an einer Erfrischung zu haben, obgleich ihn die Hitze im Berg nahe dem Lavastrom ähnlich mitgenommen haben musste wie den Rest von uns.
Grau blieb die ganze Zeit über an Ort und Stelle wie ein unaufdringlicher Diener, der nur darauf wartet, seinem Herrn einen Wunsch erfüllen zu können.
Nach einer halben Stunde, in der sich absolut nichts tat, riß mir der Geduldsfaden.
“Hey, was ist jetzt mit deinem Herrn? Wir sind nicht zum Rumsitzen her gekommen”, fuhr ich den mit nur neunzig Zentimetern Körpergröße selbst im Vergleich zu mir kleinen Waldteufel an.
“Ich weiß es nicht, aber ich werde nachschauen gehen, wenn ihr es wünscht”, antwortete Grau dienstbeflissen.
“Ja, wünschen wir”, fuhr ich ihn unwirsch an.
“Genau, schwing die Hufe” grölte Jack dazwischen. “Und am Besten bringst du uns gleich zu ihm.” Er wurde offensichtlich nun auch etwas zappelig.
“Einen Moment.” Grau verbeugte sich und verließ den Raum.
“Vielleicht sollten wir ihm einfach folgen”, schlug Ator vor und war schon an der Tür, bevor ich etwas erwidern konnte.

Wir folgten Grau durch den Korridor in eine Halle, die nochmal ein gutes Stück größer als das Foyer, aber ebenso wie dieses mit Kunstwerken unterschiedlichster Herkunft ausgestattet war. Besonders ins Auge fiel ein riesiger Wandteppich, der eine Stadt aus Kristall und Gold darstellte und sich nahezu über die gesamte unserem Eingang gegenüberliegende Wand zog.
Im Stillen registrierte ich drei weitere Türen und zwei Durchgänge.
Wie groß war diese Anlage eigentlich? Und wie hatte jemand das alles errichten können, ohne Aufsehen zu erregen?
Wir folgten Grau durch den rechten der beiden Durchgänge und gelangten über einige Stufen zu einer weiteren Halle. Diese war bestimmt noch einmal doppelt so groß wie jene, durch die wir gerade hindurch waren. Der gleiche helle Marmor kleidete die Wände, war aber scheinbar von mehr Goldadern durchzogen. Von der Decke hing in etwa zehn Metern Höhe ein riesiger Kronleuchter aus Gold und Kristall, und ein über zwei Treppen erreichbarer Balkon mit nur kniehohem, aber reich verziertem Geländer, fiel mir sofort ins Auge.
Die Wände waren mit zahlreichen Nischen versehen, in denen scheinbar lebensgroße Statuen verschiedener Personen und mythologischer Wesen aus schwarzem und grauen Marmor standen. Eine davon fiel mir auf, erinnerte sie mich doch stark an unseren Auftraggeber, was aber möglicherweise auch nur an der Gleichartigkeit der Gesichtsbemalung lag.
Der Boden schien aus poliertem Marmor mit dunklen Intarsien zu bestehen. In der Mitte des Raumes befand sich exakt das, was ich mir unter einem Ritualkreis vorstellte. Ein Achteck aus Silber und dunklem Metall, versehen mit verschiedensten Symbolen und Schriftzeichen. Im Zentrum des Achtecks lag eine umgestoßene Feuerschale mit ehemals glühenden Kohlestücken. Daneben ein Elf, auf dem Rücken liegend, gehüllt in eine weiße Tunika, Hose und schwarze Lederstiefel, mit offenen, aber blicklosen Augen: Ehran?

“Ator?” Ich brauchte eine Bestätigung, daß hier kein magischer Hokuspokus mehr lief, bevor ich bereit war, mich der liegenden Gestalt zu nähern.
“Hier ist alles ruhig. Selbst die Hintergrundstrahlung ist hier geringer als im Rest der Anlage. Seltsam eigentlich…” antwortete Ator mit einem leichten Zögern in der Stimme.
“Wie es aussieht, kommen wir zu spät!”, stellte JD fest, der mit wenigen Schritten zu dem offensichtlich toten Elf geeilt war. “Keine Lebenszeichen.”
“Irgendwas stimmt hier nicht. Bei dem, was hier abgegangen ist, müsste ich etwas spüren können.” Ator schien sichtlich beunruhigt. Plötzlich weiteten sich seine Augen, und ich folgte seinem Blick.
In der Tür, durch die wir gerade gekommen waren, stand Harlekin, unser Auftraggeber. In sichtlich düsterer Stimmung und ohne uns eines Blickes oder Wortes zu würdigen, ging er an uns vorbei direkt zu dem leblosen Elf. Nach kurzer Betrachtung kniete er sich nieder und legte seine linke Hand auf den Kopf des Toten. Nach unendlichen Sekunden des Schweigens sprach er uns an: “Er ist, wie ihr ihn gefunden habt?”
Ein stummes Nicken unsererseits ließ ihn wieder verstummen. Dann erhob er sich, legte den Kopf in den Nacken und schrie. Ich kann bis heute nicht sagen, was er schrie, aber es klang nach einer Mischung aus Frustration, Wut und Trauer. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, und die Knöchel traten weiß hervor.
Ich schaute zu Ator. Irgendwie hatte ich die Sorge, Harlekin würde in seinem momentanen Gefühlschaos die Kontrolle verlieren und hier gleich alles in Schutt und Asche legen. Nicht daß ich eine Idee hätte, wie dies durch uns zu verhindern sei, aber ich wollte bereit sein.
Ator bedeutete mir jedoch lediglich, die Ruhe zu bewahren, als plötzlich Braun in der Halle erschien. Eiligen Schrittes näherte er sich der leblosen Gestalt zu unseren Füßen.
“Meister, es kamen Männer aus dem Land der Verheißung. Sie warten im modernen Raum auf euch.” Anscheinend den Zustand seines Meisters komplett ignorierend, verschwand Braun auf demselben Wege, auf dem er gekommen war.
Harlekin starrte Braun kurz hinterher und begann leicht zu lächeln: “Nun, für den Versuch hat er einen Punkt verdient.” Er wandte sich uns zu. “Es sind wahrscheinlich Schläger von Ehran. Kümmert euch drum!”

“Silencio, entweder du klärst den Grashalmknicker jetzt mal auf, was Sache ist – oder ich mach das!”, platzte es aus Jack heraus, der seine Panther nun ohne das geringste Zittern auf Harlekin ausrichtete. Harlekin jedoch schien dieser Ausbruch in keinster Weise zu interessieren. Er hob nur die rechte Augenbraue und sah mich fragend an.
“Tja, Harlekin”, ich kratzte mich am Hals, “was mein Chummer zum Ausdruck bringen will und was auch mir unter den Nägeln brennt: Erstens, wir sind noch nicht bezahlt worden. Zweitens, wir lassen uns nicht gern drohen. Und wir haben absolut keinen Bock, für lau die Marionetten von dir oder sonstwem zu sein. Was also sollte uns davon abhalten, dich wegzupusten, uns hier unter den Nagel zu reißen, was wir kriegen können und nen Abflug zu machen?”
“Selbst wenn ich dies zuließe, würdet ihr nicht weit kommen”, war Harlekins lapidare Antwort, bevor er sich wieder dem leblosen Körper zuwandte. “Ich frage mich…”, begann er ruhig.
Weiter kam er nicht, denn die Tür zur großen Halle schwang plötzlich auf, und ein in uralte Duellkleidung gekleideter sowie mit zwei Rapieren bewaffneter Elf tauchte in der Öffnung auf: Ehran!

Er betrat den Raum und sagte etwas, das wie:”Te meravilhas, Har’lea’quinn? Que’t destrui e’t coton?” klang. Harlekin reagierte darauf mit einem lauten, freudlosen Lachen.
“Ich frage mich, ob dein Geist genauso tot ist wie dieses Faksimile hier, Eh’he’ran. Diese verdammte Sprache ist es ganz sicher. Sollen wir es herausfinden?” Harlekin griff sich ans Ohr und entfernte es, um es scheppernd zu Boden fallen zu lassen. “Wenn es beendet werden soll, dann so, wie es begonnen hat. Du”, er deutete auf Jack,”bist Ehrans Sekundant und du, Freund der Stille”, er deutete auf mich,”hast die Ehre, der meine zu sein.” Ich fühlte mich etwas in meiner Souveränität eingeschränkt, denn ich hatte nirgendwo eine Nachfrage, ob ich damit einverstanden war, gehört.
Ehran deutete dem verdutzten Jack, etwa einen Meter hinter ihm in Position zu gehen.
“Ihr habt echt 'ne Vollmeise, wenn ihr glaubt, ich mach hier 'nen anderen als den Abzugsfinger krumm, solange ich nicht bezahlt worden bin!”, stellte Jack sich stur.
Bevor ich etwas erwidern konnte, mischte sich Ator ein, der wieder diese seltsame grünliche, echsenhafte Hautfarbe bekommen hatte: “Jack, Silencio… auch wenn es mir nicht gefällt, glaube ich, im Moment ist es das Beste, wir folgen einfach ihren Anweisungen.”
Etwas verunsichert schaute ich Ator fragend an, doch er schien alles gesagt zu haben.
Ein Blick zu JD zeigte mir, daß er seinen Predator zwischen den beiden Elfen hin- und herwandern ließ, offensichtlich nicht bereit, eine Entscheidung zu treffen. Ich steckte die UrbanCombat ein. “Okay, Jack, mach’s einfach!”
“Aber Silencio….wir sind in der Überzahl, wir sind besser bewaffnet…” versuchte Jack zu feilschen.
Ein strenger Blick der beiden Elfen ließ ihn verstummen und er nahm die ihm zugewiesene Position ein.
“So sei es!”, rief Ehran und warf Harlekin eines der beiden Rapiere zu, welches dieser geschickt aus der Luft fing, um es grüßend vors Gesicht zu halten.
“Sie sollten gehen.” Harlekin sah Ator und JD an. “Ihre Verwicklung in die Geschehnisse ist zu Ende!”
Ator schüttelte verneinend den Kopf. “Wir gehen gemeinsam”, er zögerte eine Millisekunde, “oder gar nicht!”

Die beiden Elfen nahmen eine klassische Fechtpose ein, zumindest erschien es mir so, und näherten sich einander.
“Ich denke, ich nehme das andere auch noch”, sagte Ehran mit spöttischem Unterton in der Stimme, während er das Rapier zweimal zischend durch die Luft schwingen ließen.
Harlekins Antwort bestand aus einem Lachen und einem plötzlichen Ausfall.
Was nun folgte, war eine Lehrstunde in Fechtkunst. Die beiden Kontrahenten nahmen sich offensichtlich nichts und waren beide Meister in dieser Waffengattung. Der Kampf führte beide durch den gesamten Raum, wobei sie keinerlei Rücksicht auf Einrichtungsgegenstände oder Personen nahmen. Schließlich erschien eine Kugel aus goldenem Licht um die beiden herum, welches diese aber in keinster Weise zu beeinflussen schien. Sie setzten ihren Kampf die Treppe hinauf auf den Balkon fort. Dort gelang es schließlich Harlekin, mit einer Reihe von Attacken und Finten Ehran in die Enge zu treiben. Mit einem überraschenden Hieb trennte er Ehran das linke Ohr ab, ging zwei Schritte zurück und hielt das Rapier, wohl als Zeichen des Endes des Kampfes, abermals vor sein Gesicht.
Schreiend vor Schmerz und Wut griff Ehran an seinen blutenden Kopf, während Harlekin vor Freude lachte.
“Du hast nicht gewonnen! Wir sind lediglich im Gleichstand!”, versuchte der Verletzte seine Ehre zu verteidigen.
Harlekin sparte sich jedes weitere Wort. Er wandte sich Ehran zu, verbeugte sich einmal kurz und schien ihm einen Kuß zuzuhauchen, warf Ator das Rapier zu und trat einen Schritt zurück.
Dann geschah etwas, was weder Ator noch sonst jemand von uns erwartet hatte und eigentlich unmöglich sein sollte: Harlekins Aussehen veränderte sich, als würden wir ihn alle durch ein Prisma betrachten – und dann verschwand er einfach.
Ehran heulte erneut auf, ob aus Wut oder Schmerz, konnte ich nicht sagen und verschwand dann auf gleiche Art und Weise.

Wir brauchten alle ein paar Sekunden, um das gerade Erlebte zu verarbeiten. Dann war es Ator, der als erster die Worte wieder fand.
“Also… wenn ich das richtig sehe, sind wir gerade bezahlt worden.” Beinah andächtig sprach er diese Worte, während er den kunstvoll mit Edelsteinen besetzten Griff des Rapiers begutachtete.
Plötzlich vernahmen wir alle ein dumpfes Rumpeln und spürten ein leichtes Zittern des Untergrundes.
“Und vielleicht sollten wir jetzt zusehen, daß wir hier wegkommen”, fügte er deutlich nüchterner hinzu. “Ich weiß zwar nicht genau, was hier abgegangen ist, aber ich glaube, es hat beide einiges an Konzentration gekostet, und einige von Ehrans aufrechterhaltenen Zaubern sind den Bach runter.” Sein Gesicht zeigte wieder diesen besorgten Ausdruck, der gemeinhin zu Vorsicht oder Eile mahnte. Diesmal schien Eile der größere Faktor zu sein.
“Dann lasst uns schnell Land gewinnen. Ich hab' keine Lust, am Ende doch noch von diesem Vulkan gegrillt zu werden”, gab ich meine Zustimmung.
Wir verließen eiligst die große Halle, als vor uns ein Geräusch erklang, dass mich an eine Abrissbirne erinnerte, die ihren Job macht.
Wir erreichten die kleinere Halle, durch die wir gekommen waren, genau in dem Moment, als die Ursache der Geräusche sichtbar wurde. Der Kopf eines westlichen Drachen reckte sich von unten durch den Hallenboden.
Ich zögerte. Mir war klar, daß unsere Chancen, hier heil und ohne Grillaroma herauszukommen, durch diese unerwartete Wendung der Situation mit jeder verstreichenden Millisekunde dramatisch schrumpften, und meine sich auf der Suche nach einem Ausweg überschlagenden Gedanken wurden von einer dumpfen Wolke beginnender Panik überlagert.
An diesem Punkt zeigte sich, daß man sich manchmal auch zu viele Gedanken machen kann. Dieses Problem hatte unser Troll fürs Grobe ja nun beileibe noch nie gehabt, und dieser Umstand sollte uns das Leben retten.
Während ich noch mit dem Bild beschäftigt war, daß Ator unseren Barbecue-Tod ziemlich exakt vorausgeahnt hatte, drängte sich Jack einfach an mir vorbei, rammte dem Drachen die Pantherkanone direkt zwischen die Augen und drückte ab. Begleitet von einem dröhnenden Wummern verteilten sich Schädelsplitter und Gehirnmasse des bereits auf Leistung schaltenden Drachen durch den Raum. Der riesige Körper des Schuppentieres verschwand wieder in der Öffnung des Bodens, aus dem er erst wenige Sekunden zuvor hervorgebrochen war. Dann überschlugen sich die Ereignisse noch schneller.
Eine Tür wurde von unbekannten Elfen aufgerissen.
Ator wirkte einen Zauber.
JD feuerte auf die Elfen, die zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt auftauchten. Ehrans Schläger, hatte Harlekin behauptet. Garantiert nicht unsere Freunde, hieß das. Also taten wir, was zu tun war.
Ich schloß mich JD an und feuerte zwei Salven in Richtung der Neuankömmlinge.
Ators Zauber nahm in Form eines Feuerballs inmitten der Elfen Gestalt an und bereitete ihnen ein endgültiges heißes, unangenehm nach Brand stinkendes Ende.
Wir nahmen uns nicht die Zeit, sie näher zu untersuchen. Wir hatten hier nichts mehr verloren, waren bezahlt worden und wollten nun nur noch unsere Haut retten. Wer konnte schon sagen, was für Überraschungen hier noch auf uns warteten.
Wir rannten also, so schnell uns unsere Füße trugen, durch den Korridor, das Foyer und die Eingangshalle. Meine größte Sorge war, daß es die Felsbrücke möglicherweise nicht mehr gab und wir einen anderen Weg ins Freie finden mussten, doch meine Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht.
Glücklicherweise.


MeL 12: Nachbeben[3]

Timecode 26.01.2054 / 17:30:00

Nachdem Ator seinen Hubi in seiner alten Fabrikhalle abgestellt hatte, waren wir uns zunächst einig, erst mal ordentlich einen draufzumachen. Explodierende Vulkane, Drachen und teleportierende Elfen hatten wir für diesen Tag zur Genüge gehabt und wollten nun lieber die Realität einer gemütlichen Bar genießen.
Wir trennten uns also, um uns für einen chilligen Abend im “Joey’s” schick zu machen. Unterwegs rief ich kurz bei Walter, einen mir bekannten Barkeeper des “Joey’s” an, um für den heutigen Abend eines der Hinterzimmer für eine kleine private Feier zu reservieren. Nachdem dies erledigt war, freute ich mich auf eine Dusche und frische Klamotten…

Timecode 26.01.2054/22:00:00

Nach und nach trudelten die anderen im "Joey's" ein und wurden von Walter in das von mir angemietete Hinterzimmer geschickt. Als wir komplett waren, hatte ich bereits vier Bier und ein paar Kurze intus und begann mich langsam wohlzufühlen.
Nachdem alle mit Getränken und Snacks versorgt waren, war es Ator, der das Wort ergriff:"Ich bin zwar kein Experte, aber ich denke, allein der Materialwert der Steine am Schwert dürfte sich auf rund 100.000 NY belaufen. Wobei ich nicht sicher bin, ob ich es hergeben möchte. Es ist wirklich ein schönes Stück und wahrscheinlich antik."
Strenge Blicke unsererseits ließen ihn hinzufügen:"Keine Sorge, ich werde euch ausbezahlen, sollten wir uns entscheiden, das Rapier zu behalten."
"Vielleicht sollten wir erstmal den Wert bestimmen lassen, bevor wir uns darüber unterhalten", warf JD ein. "Kennt jemand von euch ‘nen Experten für antike Waffen?" Er warf einen fragenden Blick in die Runde.
Alle verneinten.
"Ich könnte Empty Space bitten, sich mal umzuhören.", bot ich an.
Jack, der einen seiner helleren Momente zu haben schien, merkte an, daß dies vielleicht keine so gute Idee sei, da der Schieber schließlich den ersten Job vermittelt hatte, der mit den beiden Elfen zu tun gehabt hatte. Wir einigten uns also darauf, das Rapier zunächst in der Obhut von Ator zu belassen und widmeten uns dann der Vernichtung verschiedenster Alkoholika.
Der Abend entwickelte sich zunächst so, wie wir alle es erwartet hatten und wir waren guter Stimmung, bis eine kurze Mitteilung von Walter mich aufhorchen ließ.
"Hier sind grad ein paar Elfen vorbeigeflattert und haben sich nach dir erkundigt.", erschien als Text auf meinem Handgelenk-Telefon. Ich fluchte innerlich und unterichtete den Rest des Teams von der Nachricht.
"Die komm' mir gerade recht." Jack ließ die Finger beider Hände knacken. "Los, wir schnappen uns die und vermöbeln sie ordentlich!"
"Laß mich das kurz checken.", wandte Ator ein, bevor er wie leblos auf seinem Stuhl zusammensackte.
Ich nahm einen weiteren Schluck Bier und fragte mich, ob es Ehran vielleicht doch nicht so genau nahm mit den Regeln des Rituals.
Jack, der offensichtlich seinen Reflexbooster aktiviert hatte, stand an der Tür und schien nur darauf zu warten, daß Ator Bericht erstattete, um nach draußen zu stürzen und sich mit den Elfen zu messen, während JD fast meditativ sein Bier anstarrte.
"Was geht dir denn durch den Kopf?", sprach ich ihn an.
"Hmmm, wenn das wirklich was mit Ehran und diesem Harlekin zu tun hat, waren sie echt flott. Und haben anscheinend einen Glückstreffer gelandet. Schließlich sind wir ja tatsächlich hier.", antwortete der Ork nachdenklich.
Ator schlug die Augen auf. "Haben sich offensichtlich flott vom Acker gemacht. Draußen ist alles ruhig."
"Ach Mann,", stöhnte Jack, "wären wir mal gleich raus."
Es klopfte an der Tür zum Hinterzimmer und Jack hätte sie beinahe eingeschlagen.
"Alter, fahr mal den Booster runter. Das ist nur Walter.", fuhr ich Jack an und öffnete die Tür.
Ein kurzes Interview mit Walter ergab, daß er die beiden Elfen noch nie gesehen hatte und sie explizit nach mir gefragt hatten. Sie schienen eine ziemlich genaue Vorstellung meines Äußeren gehabt zu haben, hatten aber nicht durchblicken lassen, warum sie mich suchten. Ich beglich unsere Rechnung bei Walter und gab ein üppiges Trinkgeld, während ich die fragenden Blicke meiner Chummer geradezu spürte.
Kaum hatte Walter das Hinterzimmer verlassen, wollten sie wissen, ob es irgendetwas gäbe, was sie wissen müssten. Natürlich gab es das nicht. Neben dem Trouble, den wir alle hatten, hatte ich in den letzten Monaten keine Probleme mit irgendwelchen Elfen gehabt.
"Vielleicht hätteste dem Schönling im Folterkeller nicht die Birne wegblasen sollen? War echt nicht nett…", suchte Jack breit grinsend eine Erklärung.
"Ach komm, das war notwendig.", versuchte ich eine in dieser Runde unnötige Rechtfertigung. "Und wenn’s danach geht haben wir wohl alle Elfenblut an den Fingern."
JD winkte ab. "Scheißegal, warum sie hinter dir her sind. Sie sind auf jeden Fall zu dicht dran. Wir sollten den Zahnstocher loswerden und untertauchen, bis Gras über die Sache gewachsen ist." Und damit brachte er zum Ausdruck, was ich mir auch dachte.

Timecode 27.01.2054/23:45:00

Nachdem wir am Vorabend auseinander gegangen waren, hatte ich einen kurzen Abstecher zu Dr.Pille gemacht. In Zeiten höchster Not waren Freunde das Wichtigste. Wie ich von ihm erfuhr, hatte auch er Besuch von ein paar Elfen gehabt, die sich nach mir erkundigt hatten, was nicht unbedingt zu meiner Beruhigung beitrug.
Schließlich hatte ich mich entschieden, Empty Space zumindest telefonisch zu kontaktieren, auch wenn die anderen mir davon abgeraten hatten. Als er ebenfalls von Elfen sprach, die er für Angehörige eines militärischen Geheimdienstes hielt, war bei mir endgültig Schluss. Wir mussten raus aus der Stadt. Empty Space hatte auch hierfür eine Lösung. Er plante per Luftfracht einen Container über Pretoria nach Johannesburg zu schicken und bot mir an, meine Chummer und mich gegen eine gewisse Aufwandsentschädigung mitreisen zu lassen.
Ich hoffte also, daß es Ator und JD gelungen war, das Rapier zu Geld zu machen, um für unsere "Flucht" flüssig zu sein, als ich zum vereinbarten Zeitpunkt in Jacks Wohnung eintraf.
"Hey Silencio, alles klar soweit?", begrüßte mich Jack an der Tür. "Die anderen sind schon da."
Ich betrat Jacks Wohnung und empfand den Geruch nach Trollschweiß, der wie immer in seiner Bude hing, zum ersten Mal nicht als belästigend, sondern als beruhigend, denn wo es so nach Troll roch, würde sich so schnell kein Elf blicken lassen.
JD und Ator hatten es sich auf einer abgewetzten Couch gemütlich gemacht und strahlten nicht gerade Zuversicht aus.
"Wir sind das Rapier nicht losgeworden.", begann JD."Es scheint so, als wenn die Körnerfresser 'ne ordentliche Wut im Bauch haben. Unsere Connections haben uns zu verstehen gegeben, daß es im Moment wohl besser wäre, keine Geschäfte mit uns zu machen."
"Nicht, daß ich jetzt besonders traurig bin.", warf Ator ein."Ich wollte es ja sowieso behalten. Aber daß selbst meine Taliskrämerin mich aus ihrem Laden rauskomplimentiert, macht mich doch ein wenig sauer!"
"Ich will ja eure Laune nicht noch weiter in den Keller treiben,", begann ich mit der Silencio-Version der Bad news of the day, "aber nach allem, was ich so gehört habe, kann es sein, daß wir es tatsächlich mit 'nem militärischen Dienst zu tun haben. Was mich nicht wundert, schließlich hat Ehran ja Kontakte nach ganz oben im Tir. Vielleicht ist er einfach sauer, daß du seinen Hausdrachen erledigt hast, Jack", versuchte ich den schwarzen Peter loszuwerden.
"Jetzt mach mal halblang, Kurzer!" Der Angesprochene hob eine Augenbraue und fuhr fort: "Der hätte uns gegrillt, wenn ich nicht schneller gewesen wäre." Ziemlich entspannt gab Jack mir damit meinen schwarzen Peter zurück.
Ator hob die Hand. "Es hat überhaupt keinen Sinn, sich jetzt gegenseitig die Schuld für unsere Situation in die Schuhe zu schieben. Die Frage ist vielmehr, was wir jetzt machen." Und wie schon vorher sah ich nur ratlose Gesichter.

Timecode 30.01.2054/21:00:00

Letztendlich war uns nichts anderes übrig geblieben, als das Angebot von Empty Space wahr zu nehmen. Für die lächerliche Summe von 25.000 NY pro Person hatten wir also die Passage nach Johannesburg gebucht und waren auch ohne Probleme dort angelangt. Irgendwie behagte mir zwar die Nähe zur Zulu-Nation, die man durchaus auch als Tir-Nation bezeichnen konnte, nicht, aber vielleicht war es ja eine gute Strategie, sich praktisch unter den Augen seiner Häscher zu verstecken.
Nun schritten wir gemeinsam durch die Straßen von Johannesburg und schnupperten erstmals die Luft des afrikanischen Kontinents.
"Hey Jungs, jetzt lasst mal den Kopf nicht so hängen.", versuchte Jack uns aufzubauen."Es hat hier wohlige 24°C, es gibt Nutten und soweit ich gehört habe, soll das Bier auch nicht das schlechteste sein." Dabei machte er ein vergnügtes Gesicht. Selten war es in letzter Zeit geworden.
"Deine Sorgen möchte ich haben." JD leistete sich den Anflug eines Lächelns. "Aber du hast Recht: wir sollten erstmal ankommen, uns ‘ne Bleibe suchen und ein wenig chillen.". Es hatte den Anschein, als wolle er noch etwas hinzufügen, doch ohne jegliche Vorwarnung ging das Licht aus…

Timecode ??.??.2054/??:??:??

"Wir wissen, daß ihr wieder bei Bewusstsein seid, also öffnet die Augen!", sagte eine befehlsgewohnte Stimme, kaum das ich das Bewusstsein wiedererlangt hatte.
Was blieb mir also anderes übrig? Meine langsam wiederkehrenden Sinne meldeten, daß ich an Händen und Füßen aufgehängt an einer Wand hing und praktisch nichts am Körper trug. Als ich die Augen aufschlug erblickte ich zwei Elfen und einen Menschen kaukasischer Abstammung mit schon fast leuchtenden goldenen Augen, die mir einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen ließen, da sie praktisch nichts Menschliches ausstrahlten. Eher wirkten sie wie die Augen eines Raubtieres, welches auf seine erlegte Beute hinabblickt. Die Umgebung des Raumes hingegen war kaum zu erfassen. Weder sah ich Raumkanten noch Einrichtungsgegenstände noch konnte ich definierte Lichtquellen ausmachen. Es gab nur uns, die Wand, die Ketten und sie.

Einer der Elfen ergriff das Wort."Wir verlangen Kompensation!" Das letzte Wort wiederholte er. "Kompensation … für uns und die Hinterbliebenen der Toten. Ein Leben für ein Leben, so wie es unser Gesetz vorsieht."
"Fick dich, Müsli", ertönte Jacks Stimme, der offenbar nicht weit rechts von mir in ähnlicher Weise wie ich an der Kerkerwand aufgehängt worden war.
Eine Geste des Elfen ließ Jacks Hinterkopf mit solcher Wucht gegen die Wand knallen, daß er eine Platzwunde davontrug und ich die heftige Erschütterung an meinen Schultern, die den intensivsten Kontakt mit der Wand hinter mir hatte, sehr deutlich spüren konnte. Die durchaus unangenehme Erkenntnis, daß die Wand selbst kein Geräusch gemacht hatte, als Jack seinen unfreiwilligen Rammstoß an ihr ausprobiert hatte, zeigte mir, daß diese Wände stabil und massiv genug waren, um deutlich größere und schwerere Objekte aufzuhalten als geworfene Trolle. Mir wurde plötzlich bewußt, daß ich am Arsch war. So am Arsch wie noch nie in meinem Leben, das mit nur einem Hauch weniger als obszön unverschämt viel Glück wahrscheinlich nur noch Minuten andauern würde.
"Überlaßt den Trog mir.", warf der Goldäugige ein. "Er hat einen meiner Art getötet und soll auch durch mich sein Urteil erfahren."
Verdammte Scheiße, fuhr es mir durch den Kopf. Mit wem hatten wir es hier eigentlich zu tun? Und was zum Henker war eigentlich in Johannesburg passiert? Ich hatte keine Ahnung und in diesem Moment auch wirklich keine Zeit, darüber nachzudenken. Nur diese goldenen Augen erinnerten mich an etwas…

"Wir hatten uns doch geeinigt.", mischte sich der zweite Elf ein.
"Sean hat Recht, Drache! Laß uns unser Angebot machen. Gehen sie nicht darauf ein, sollst du bekommen, wonach du verlangst.", bestätigte der eine Elf den anderen. Kurz nahm ich ein gefährliches Funkeln in den goldenen Augen wahr, doch offensichtlich waren wir einen Streit unter den dreien nicht wert.
"Na, da bin ich ja mal gespannt.", meldete sich nun auch Ator, den ich zuvor ebenfalls nicht bemerkt hatte, da ich zu sehr mit mir und meiner Misere beschäftigt war, zu Wort. "Für mich sieht es so aus, als wenn ihr alle Trümpfe in den Händen haltet."
"Ja, was genau ist eigentlich euer Problem?" Natürlich war auch JD hier. Und er schien zu versuchen, eine Art "geordnetes Gespräch" anzufangen."Ich hab’ keinen von euch jemals auch nur gesehen, aber ihr scheint ordentlich angepisst zu sein.", nahm er die Verhandlungen auf.
Der erste Elf ergriff wieder das Wort:"Ihr seid unschuldig in die Belange von Leuten geraten, die ich zu meinem Volk zähle. Und dieser Unschuld verdankt ihr, daß ihr noch am Leben seid. Dennoch habt ihr Entscheidungen getroffen und Handlungen vollführt, für die ihr allein die Verantwortung tragt. Als ich vom Chal'han zwischen Har’lea’quinn und Eh’he’ran erfuhr, schickten wir", hierbei deutete er auf den anderen Elfen und sich selbst,"unsere Gefolgsleute aus, um nach dem Rechten zu sehen und das Schlimmste zu verhindern, sollte es dazu kommen. Ihr habt ihnen das Leben genommen und einen der seinen getötet." Bei den letzten Worten deutete er auf den vermeintlichen Menschen.
Scheiße, Scheiße, Scheiße!!! Also waren es doch nicht Ehrans Schläger gewesen, wie Harlekin behauptet hatte, sondern ganz andere Jungs, und da der Elf den Menschen mit "Drache" angesprochen hatte, war auch klar, was er mit "einen der seinen getötet" meinte. Ich hatte plötzlich das Gefühl, einen Einlauf mit Eiswasser zu bekommen.
"Okay, aber wir leben noch. Also gibt es irgendwas, was wir für euch tun können. Und wie es aussieht scheint das der einzige Weg zu sein, wie wir hier lebend rauskommen. Also laßt hören!" Ich versuchte, meine Stimme selbstbewußt klingen zu lassen, bin mir aber ziemlich sicher, daß es mir nicht gelang.
"Es ist ganz einfach", erwiderte der scheinbare Anführer der drei."Ihr zahlt 500.000NY an die Hinterbliebenen der vier gefallenen Paladine und tretet in unsere Dienste, bis eure Schuld bei uns beglichen ist. Natürlich nehmen wir euch das Wissen um unsere heutige Begegnung und vielleicht noch ein wenig mehr, aber ihr dürft weiterleben. Überlegt es euch. Wir haben Zeit!" Kaum geendet, verließen die drei den Raum, in dem wir uns befanden, und überließen uns uns selbst.

"Ator, wie sieht's aus?", waren die ersten Worte, die über meine Lippen kamen, nachdem wir unter uns waren.
"Kannst du voll vergessen, Alter." Ein sarkastisches Auflachen des Schamanen folgte. "Die drei Jungs hier eben scheinen sowas von mundan zu sein, daß es geradezu nach Maskierung schreit, und im Astralraum wartet ein Feuerelementar, der Luzifer persönlich sein könnte. Von mir könnt ihr keine Hilfe erwarten." Die tiefe Niedergeschlagenheit, die ihn ergriffen hatte, war ihm deutlich anzuhören.
Damit sanken unsere Chancen, aus eigener Kraft hier herauszukommen, von sehr knapp über Null auf nicht vorhanden.
"Okay, wenn ich ehrlich bin, habe ich auch nicht viel anderes erwartet." Ich versuchte, ruhig Luft zu holen, um mir meine eigene Angst nicht anmerken zu lassen. "Laßt uns abstimmen."
Ich sah alle meine Kameraden an, und sie signalisierten Einigkeit darüber, daß unsere einzige Chance darin bestand, auf das Angebot unserer "Gastgeber" einzugehen.
FUCK!!!

Fortsetzung

Die Fortsetzung der Story um die Runner findet sich unter Memoiren eines Lichtträgers / A Killing Glare / Das Urban Brawl Massaker und lauter lose Enden

Quellen

Die geschilderten Geschehnisse beruhen auf den Erlebnissen der SC-Gruppe von Benutzer Goronagee. Neben den oben genannten Romanen und Abenteuern fanden folgende Sourcebooks Verwendung:

Liste der Sourcebooks:

Quellendetails


^[1] - Dies kommt so im eigentlichen Harlekin-Kampagenband nicht vor, führt aber zu dem gewünschten Ergebnis, wie es im Kapitel “Gegenschlag” dargestellt wird. Und mich hat es damals einfach in den Fingern gejuckt, die Insektengeister schonmal auftauchen zu lassen. Schön waren die Gesichter der Spieler, als sie realisierten, mit wem sie sich gerade amüsiert hatten…
^[2] - Im Gegensatz zur aktuellen Mossberg Schrotflinte verfügte diese Waffe in den 50ern nur über eine Ladekapazität von 8 Schuss (s.Strassensamurai Katalog).
^[3] - Dies ist nicht mehr Teil des Harlekin-Kampagenband, sondern wurde stellt eine völlige Eigenerfindung von mir dar.

Weblinks